Süddeutsche Zeitung

Ehemaliger Premierminister von Italien:Renzi will zurück

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Der italienische Ex-Premier will es allen zeigen, die in ihm einen Verlierer sehen: den politischen Gegnern und den Rivalen in seiner Partei. Er hofft daher auf Neuwahlen, und das lieber früher als später.

Von Oliver Meiler

Da kommt einer zurück, der eigentlich nie weg war. Matteo Renzi ist den Italienern in den vergangenen zwei Monaten, seit seinem Rücktritt als Premierminister, immer mal wieder in den Klatschheftchen begegnet. Mal sah man ihn mit vollem Einkaufswagen in einem Supermarkt von Pontassieve, seinem Wohnort bei Florenz, vor dem Gestell mit den bunten Geschirrspülmitteln. Mal ließ er sich im Skiurlaub in Val Gardena fotografieren, mit Helm. Auch das politisch interessierte Publikum wurde ständig unterrichtet über die wahren und vielleicht auch nur herbeifabulierten Absichten des jungen Toskaners. Die italienischen Medien führen dafür das Genre der "Retroscena", was wörtlich Hinterbühne bedeutet und auch so gemeint ist: Darin wird verhandelt, was angeblich hinter den Kulissen der Macht passiert und parliert wird. Nicht selten setzen Journalisten dabei Sätze zwischen Anführungs- und Schlusszeichen, die kein Politiker so gesagt hat. Auch von Renzi gab es solche Zitate, jeden Tag.

Er war also nie wirklich weg gewesen, obschon es ihm, der die Vorderbühne liebt, persönlich so vorgekommen sein muss. Nun ist er ganz zurück. In seiner Rolle als Generalsekretär des sozialdemokratischen Partito Democratico, Italiens noch immer größter und zur Zeit tief gespaltener Partei, kann Renzi sein Comeback selber gestalten. Er kann den Kongress vorziehen, Urwahlen anberaumen, Prozesse beschleunigen. Wenn man den Analysten der großen italienischen Zeitungen glauben darf, dann brennt Renzi auf Revanche.

Renzi zeigt sich selbstkritisch

Die Schmach vom 4. Dezember, als die Italiener in einer Abstimmung seine Verfassungsreform überraschend klar mit 59 zu 41 Prozent verworfen haben, schmerzt ihn offenbar wie ein plötzlicher Liebesentzug. Er hatte die Niederlage nicht kommen sehen. Vor Weihnachten soll Renzi sogar darüber nachgedacht haben, ein Jahr zu verreisen, ein Buch zu schreiben oder gleich ganz aufzuhören mit der Politik.

Vielleicht hatte er auch die Worte von Silvio Berlusconi noch im Ohr, der unlängst sagte, Renzi gäbe einen großartigen Fernsehmoderator ab: "Ich würde ihn sofort einstellen." Natürlich schwang in dieser Offerte des Medienunternehmers auch eine boshafte Note mit: Als Politiker hatte sich Renzi, den man für einen strategischen Jungmeister gehalten hatte, zum ersten Mal kolossal verrechnet. "Der 4. Dezember war wie ein Elfmeter", sagte Renzi dem Corriere della Sera in einem selbstkritischen Moment, "und ich habe ihn schlecht getreten, ja grottenschlecht." Malissimo.

Nun möchte er es allen zeigen: den bösen Auguren, die in ihm einen Verlierer ohne Aussicht auf schnelle Erholung sehen; den politischen Gegnern, die ihre Chance wittern; und, vor allem, den internen Rivalen vom linken Parteiflügel, die ihn noch nie leiden konnten und ihn nun gerne "verschrotten" würden, um es mit einem Begriff aus dem Renzianischen zu sagen, seinem eigenen Sprachgebrauch. Letzteren geht es nicht nur um den ideologischen Richtungsstreit, wie er die Sozialdemokratie auch in anderen Ländern durchzieht. Der Zwist lebt von schier abgründiger persönlicher Abneigung.

Elf Strömungen zerren an der Einheit des Partito Democratico, und fast alle leben vom Anti-Renzismus. Mehrheitsfähig wären sie nicht einmal zusammen, aber alle drohen mit ihrer Abspaltung. So halten sie Renzi hin und zermürben ihn, während sein Nachfolger im Regierungspalast, Paolo Gentiloni, das Land bis zum regulären Ende der Legislaturperiode regieren soll. Bis Februar 2018.

Renzi ist das eigentlich viel zu weit weg. Er würde gerne früher wählen lassen. Das mag von außen wie Roulette wirken, zumal die dringenden Probleme des Landes während der Wahlkampagne monatelang ausgeblendet werden würden. Doch Renzi ist kein geduldiger Mann. Am liebsten wäre ihm ein Termin im kommenden Juni gewesen. Sehr wahrscheinlich ist der aber schon deshalb nicht, weil das Parlament davor neue Wahlgesetze formulieren muss und bereits 18 Vorschläge dafür zur Debatte stehen. Ein Datum im Oktober wäre da schon plausibler. Doch ist der Staatspräsident tatsächlich bereit, die Kammern kurz vor der Verabschiedung des Haushalts aufzulösen? Bleibt Februar 2018. Und das ist eine halbe Ewigkeit hin, gerade in diesen Zeiten. In einem Jahr können alle Gewissheiten zerrinnen, auch das Kapital der Gunst.

Noch ist Matteo Renzi von allen politischen Führungsfiguren Italiens der populärste. In den Umfragen liegt er weit vor Luigi Di Maio von der Protestpartei Cinque Stelle, vor Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord und vor Silvio Berlusconi von der bürgerlichen Forza Italia. Seit der Abstimmungsniederlage ist Renzis Beliebtheit noch gestiegen, was sich freilich auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren lässt. Manche halten ihn wohl einfach für sympathischer, seitdem er nicht mehr Regierungschef ist. Andere finden, er sei momentan der einzige Politiker im Land, der das Zeug für den Job habe - trotz Niederlage, trotz Fehlern, trotz Selbstgefälligkeit. Immerhin habe er sein Versprechen wahr gemacht und sei zurückgetreten. Das kam noch nicht oft vor in Italien.

Berlusconi ist schon 80. Aber ans Aufhören mag er nicht denken

Vor allem aber mangelt es an überzeugenden Alternativen zu Renzis Partito Democratico, so chaotisch sich dieser auch gerade präsentiert. Es geht nämlich noch chaotischer - zum Beispiel bei Beppe Grillos Cinque Stelle. Vor Kurzem hatte man ihnen noch beste Chancen eingeräumt, die nächsten nationalen Wahlen zu gewinnen. In Rom, wo die Bewegung seit acht Monaten die Stadtregierung stellt, zeigt sich täglich, dass sie wohl noch nicht bereit ist für den großen Sprung. Es fehlt den "Grillini" an fähigen Leuten, denen man zutrauen würde, das ganze Land zu regieren. Und das schlägt sich nun auch in den Umfragen nieder: Manche Institute berichten von einer langsamen, aber konstanten Erosion des Zuspruchs. Grillos Ruf nach baldigen Neuwahlen ist leiser geworden.

Auch im rechten Lager der nach dem Aufstieg der Cinque Stelle nunmehr tripolaren italienischen Politlandschaft ist gerade mal wieder alles offen. Berlusconi mag auch mit 80 Jahren noch immer nicht ans Aufhören denken, was alle potenziellen Nachfolger und möglichen Allianzpartner fast verrückt macht. Allein wiegt seine Forza Italia nur noch etwa 14 Prozent. Zusammen mit der zunehmend fremdenfeindlichen Lega Nord würde er es auf 28 Prozent bringen.

Doch Berlusconi mag sich nicht festlegen, die Lepenisierung des Partners missfällt ihm. Am besten gefiele ihm wohl, wenn er zum Schluss noch einmal mitregieren könnte - zum Beispiel in einer großen Koalition mit Renzi.

In dieser verwirrenden Gemengelage ist es kein Wunder, dass der junge Mann mit dem Einkaufswagen aus Pontassieve an sein Comeback glaubt, an eine Revanche.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2017
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