Süddeutsche Zeitung

Materialien:Graspapier und Palmblätter

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Händler und Hersteller arbeiten an Alternativen zu Plastik, doch die Ergebnisse sind meist noch nicht sichtbar.

Von Michael Kläsgen

So gut wie jeder kennt das Problem: Der Aufschnitt, abgepackt in Plastik. Der Käse ebenso. Joghurt? Ganz schlimm: Der Becher aus Kunststoff, ringsherum Papier, oben ein Deckel aus Metall, meist Aluminium. Ganz schwierig zu recyceln. Bei Bio-Äpfeln ist es nicht besser: Eingezwängt zwischen Pappschale und Plastikfolie wirkt ihre Verpackung oft nicht sehr "bio".

Immerhin haben die Supermärkte, Discounter und Hersteller erkannt, dass all dieser Müll auf Dauer ein Problem für die Umwelt darstellt. Der Wille, weniger Verpackungsmüll zu produzieren und dadurch die Natur zu schonen, ist vorhanden, zumindest nach offizieller Darstellung. Allein: Vorzeigbare Ergebnisse lassen noch auf sich warten.

Der Müllberg aus Papier, Karton und Plastik in Deutschland ist nach Angaben der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung in den vergangenen Jahren stark gewachsen, die Mehrwegquote hingegen gesunken. Der Mülleimer zu Hause ist dafür ein guter Gradmesser. Er scheint irgendwie immer voll zu sein.

Immerhin haben sich die großen Handelsketten in Deutschland und auch manche international tätigen Markenhersteller für die kommenden Jahre ehrgeizige Ziele gesteckt. Den Angaben vieler Konzernen zufolge wollen sie den Trend umkehren. Bemerkenswerterweise tun sich dabei vor allem die Discounter hervor. Aldi Nord und Süd kündigten Ende vergangenen Jahres an, Plastik-Einwegprodukte wie Geschirr, Besteck, Becher und Trinkhalme "ab sofort" ganz aus ihrem Sortiment zu verbannen. Plastik-Wattestäbchen wollen sie bis Mitte des Jahres durch umweltfreundlichere Varianten etwa mit Papierschaft ersetzen.

Aldi-Konkurrent Lidl und der zur Edeka-Gruppe gehörende Discounter Netto wollen das Wegwerfplastik noch in diesem Jahr komplett aus den Regalen räumen. Die Händler scheinen sich fast ein wenig darum zu rangeln, wer in der öffentlichen Wahrnehmung als besonders umweltfreundlich dasteht. Denn klar ist: Die Verbraucher wollen einer Studie der Wirtschaftsprüfer von PwC zufolge so wenig Verpackungsmüll wie möglich, sie kommen aber nur schwer daran vorbei. Weil die öffentliche Meinung so eindeutig ist, scheint den Händlern die kürzlich beschlossene EU-Regelung zum Einwegplastik nun ein willkommener Anlass zu sein, sich als besonders fortschrittlich zu präsentieren. Aldi, Lidl und Netto wollen Wegwerfplastik aussortieren, noch bevor das Verbot 2021 in Kraft tritt.

Aldi will auch die Verpackungen seiner Eigenmarken bis 2022 vollständig recycelbar machen und bis 2025 insgesamt fast ein Drittel weniger Verpackungsmaterial benutzen. Lidl hat sich ein ähnlich hohes Ziel gesetzt: Bis 2025 will der Discounter ein Fünftel weniger Plastik einsetzen. Dazu ist der Discounter eigens ins Müllgeschäft eingestiegen. Mitte vergangenen Jahres übernahm die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, den fünftgrößten Entsorger Deutschlands, Tönsmeier aus Porta Westfalica. Zusätzlich gründete Lidl ein eigenes duales System. Ziel ist es, einen Kunststoff-Kreislauf zu entwickeln, in dem benutzte Plastik-Verpackungen wiederverwertet werden können. Der Discounter kann so Kosten für die Entsorgung sparen und über das duale System sogar vielleicht noch Lizenzgebühren einnehmen.

Auf kostenlose Einkaufstüten verzichten inzwischen so gut wie alle

So weit wie Lidl hat sich bislang kein Händler oder Hersteller vorgewagt. Keiner sonst klinkt sich aktiv in das Recycling mit ein. Der große Trend hingegen ist, nach einem Plastikersatz zu suchen. Edeka etwa setzt auf nachwachsende Rohstoffe wie Bambus. Obst und Gemüse will der größte deutsche Lebensmittelhändler immer öfter per Laser beschriften, vor allem wenn es sich um Bio-Ware handelt. Auch so lässt sich Müll vermeiden. Rewe erprobt alternative Materialien aus Graspapier oder Palmblatt und will bis 2030 sämtliche Eigenmarkenprodukte auf diese Weise umweltfreundlich verpacken.

Das Plastikproblem ist von der Industrie also erkannt worden. Auf kostenlose Plastiktüten verzichten inzwischen so gut wie alle Händler. Bei Rewe und Lidl gibt es überhaupt keine Einkaufstaschen aus Kunststoff mehr. Edeka testet als einer der ersten Händler in kleinem Stil zudem, wie Mehrwegboxen an der Frischetheke beim Verbraucher ankommen. Die Unternehmen haben angefangen, vieles auszuprobieren. Die Drogeriemarktkette dm zum Beispiel gründete im vergangenen Herbst ein Rezyklat-Forum, das sich die Vermeidung von Verpackungsmüll zum Ziel gesetzt hat. Rezyklate sind wiederverwertbare Kunststoffbestandteile. Sogar Rivale Rossmann schloss sich dem Forum an. Das galt als Signal dafür, dass die Branche verstanden hat, um welch wichtiges gesellschaftliches und umweltpolitisches Thema es sich hier handelt. Mit dabei sind auch Markenhersteller wie Henkel, Beiersdorf, Colgate und Weleda.

Nestlé schuf 2018 in Lausanne ein eigenes Forschungslabor, um biologisch abbaubare und andere nachhaltige Verpackungen herstellen zu können. Alle Verpackungen des Schweizer Lebensmittelherstellers sollen bis 2025 recycelbar sein. Der US-Konzern Procter&Gamble wirbt schon mit einer Waschmittelflasche, die zu hundert Prozent aus recyceltem Kunststoff besteht. Ein Teil des Plastiks dieser Flasche stammt von den Stränden der Weltmeere. Manche Umweltschützer halten das für zynisch. Der Konzern sammele hier einen Teil seines eigenen Mülls wieder ein und lasse die Drecksarbeits von Freiwilligen leisten. Aber das Beispiel zeigt auch: Es tut sich was.

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SZ vom 14.01.2019
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