Debatte über NPD-Verbot:"Abziehen der V-Leute wäre fatal"

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In der Koalition ist offener Streit über den Umgang mit der NPD ausgebrochen: Die FDP spricht sich für einen Verbotsantrag aus, die CSU dringt stattdessen auf eine rasche Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Niedersachsens Innenminister Schünemann will auch künftig V-Leute einsetzen. Die Ermittlungen zur Neonazi-Mordserie könnten heute entscheidend vorankommen - Beate Z. will angeblich auspacken.

Schwarz-Gelb debattiert über das richtige Mittel gegen rechtsextremistische Gewalt: Während sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der Süddeutschen Zeitung für ein Zentralregister für gefährliche Neonazis ausspricht, empfiehlt sein niedersächsischer Kollege Uwe Schünemann (CDU) ein "Qualitätsmanagement" für Verbindungsleute (V-Leute) des Verfassungsschutzes.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußerte sich skeptisch zu Friedrichs Vorschlag. "Was soll das Neue an so einer Datei sein?", monierte die FDP-Politikerin im Südwestrundfunk. "Also zunächst einmal muss man doch mal klarstellen, welche Register gibt es schon", sagte die FDP-Politikerin. Für angebracht hält es die Bundesjustizministerin, "sich über die Sicherheitsarchitektur 'Verfassungsschutz' Gedanken zu machen".

Offener Streit ist in der Koalition über einen neuen Anlauf zu einem NPD-Verbotsverfahren und den Umgang mit V-Leuten ausgebrochen: Während die Bundes-CDU die Erfolgsaussichten eines solchen Schritts prüfen lassen will, wandte sich der Innenexperte der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), dagegen. "Es gibt kein besseres Signal für die Demokratie, als bei jedem Wahlsonntag zu zeigen, dass sich die Deutschen von der NPD abwenden", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Das ist der edlere Weg."

Statt eines Verbots fordert Uhl eine rasche Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung: "Wer die NPD nicht verbieten will, muss sie beobachten." Dazu zähle auch weiter das Instrument der V-Leute des Verfassungsschutzes.

Niedersachsens Innenminister Schünemann kündigte an, er wolle auch künftig V-Leute zur Beobachtung der rechten Szene einsetzen. "Ein Abziehen der V-Leute würde bedeuten, dass wir kaum Informationen über das Tun und Handeln der rechtsextremen Szene erhalten würden, und das wäre fatal", sagte Schünemann der Rheinischen Post. Vielmehr solle man "darüber nachdenken, ein Qualitätsmanagement für V-Leute bundesweit zu implementieren".

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigte den Einsatz von V-Leuten. "Insgesamt brauchen wir solche Leute. Das gilt für den gesamten extremistischen Bereich, das gilt erst recht beispielsweise für den islamistischen Bereich", sagte Herrmann im ZDF- Morgenmagazin. Dort sei es noch schwieriger, in der Szene, die in fremden Sprachen kommuniziere und aus einer anderen Kultur komme, Informationen zu erhalten.

V-Leute blockieren Verbotsverfahren

Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sprach sich in der Zeitung gegen ein Zurückziehen der V-Leute aus. Dagegen sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, der Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene habe offenbar nichts gebracht und stehe einem NPD-Verbotsverfahren im Weg. "Es kann nicht richtig sein, dass ein Verbotsverfahren trotz klarer Verfassungsfeindlichkeit der NPD nicht in Gang kommt, weil der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten zur Bestandsgarantie für die Partei geworden ist", sagte Ahrendt der Passauer Neuen Presse.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hält ein NPD-Verbot zum jetzigen Zeitpunkt für aussichtslos. Die Innenminister sollten aber darüber nachdenken, auf V-Leute bei der NPD zu verzichten. "Ich glaube, das ist etwas, was alle rechtsstaatlich Denkenden irgendwo unangenehm aufstößt", sagte die Ministerin. zum jetzigen Zeitpunkt für aussichtslos. Die Innenminister sollten aber darüber nachdenken, auf V-Leute bei der NPD zu verzichten. "Ich glaube, das ist etwas, was alle rechtsstaatlich Denkenden irgendwo unangenehm aufstößt", sagte die Ministerin.

Auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner dringt auf eine Klärung der Rolle von V-Leuten. Ein neuerliches Verbotsverfahren werde "nur dann erfolgreich sein können, wenn Ungereimtheiten beim Verfassungsschutz, gerade beim Einsatz von V-Leuten, vollständig aufgeklärt sind, sagte er der Welt.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), kritisierte die Debatte. "Der Staat wirkt saft- und kraftlos, wenn Politiker alle drei Monate ein NPD-Verbot fordern, der Verbotsantrag dann aber doch nicht gestellt wird", sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es sei nach wie vor ein unvertretbares Risiko, Informanten für die Dauer eines Verbotsverfahrens aus der Partei abzuziehen.

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, will V-Leute in der rechtsextremen Szene stärker kontrollieren lassen. "Das sind keine verdeckten Ermittler, sondern oftmals überzeugte Neonazis", sagte sie im ZDF- Morgenmagazin. Somit würde der Staat die rechtsextreme Szene mit öffentlichen Geldern unterstützen.

Wegen des "ungeheuren Versagens" des Verfassungsschutzes bei den Neonazi-Morden forderte Künast zudem einen Untersuchungsausschuss. Nur so könne die Rolle der Verfassungsschützer und das Wissen anderer Bundesbehörden aufgeklärt werden.

Mangelnde Kooperation zwischen Verfassungsschutz und Polizei

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hingegen warnte vor zu schnellen Schlussfolgerungen aus der Mordserie und vor dem übereilten Aufbau neuer Strukturen bei den Sicherheitsbehörden. Schon jetzt sei ein Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei möglich, "wenn Hinweise auf bevorstehende oder auch stattgefundene terroristische Aktivitäten vorliegen", sagte Schaar der Nachrichtenagentur dpa.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, kritisierte hingegen die mangelnde Kooperation zwischen den Behörden. "Es gibt keine gute Zusammenarbeit oder es gibt überhaupt keine Zusammenarbeit", sagte Wendt im Deutschlandfunk. Das sei partiell, da wo man sich kenne, möglicherweise anders, aber es gebe keine Struktur der Zusammenarbeit.

Verfassungsschützer fühlen sich Wendt zufolge oftmals "geheim". "Die erzählen sich noch nicht einmal untereinander, was sie tun. Das halte ich in einem Rechtsstaat für unwürdig", fügte Wendt hinzu.

Die Bundesanwaltschaft könnte bei ihren Ermittlungen zu der Neonazi-Mordserie an diesem Mittwoch deutliche Fortschritte machen. Das mutmaßliche Mitglied der Zwickauer Terrorzelle, Beate Z., will nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten eine umfassende Aussage machen. "Sie will auspacken und berät sich deshalb mit ihrem Anwalt", zitierte das Blatt einen Beamten aus Ermittlerkreisen.

Z. gehörte laut Bundesanwaltschaft gemeinsam mit ihren inzwischen toten Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zur Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Die Gruppe soll für Morde an neun Geschäftsleuten türkischer und griechischer Abstammung sowie an einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich sein. Offen ist, wie viele Helfer das zuletzt in Zwickau lebende Trio hatte. Ein Mann in Niedersachsen wurde bereits festgenommen.

Nach einem ARD-Bericht hatte das Trio auch einen Unterstützer in Sachsen - ebenfalls einen Neonazi, der für die Verdächtigen in Zwickau Wohnungen angemietet haben soll. Mitglieder des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste hatten am Dienstag nach einer Sitzung in Berlin deutlich gemacht, dass sich die Zwickauer Terror-Zelle womöglich auf weit mehr Helfer stützen konnte als bisher bekannt. Nach Informationen der Berliner Zeitung haben die Fahnder etwa eine Handvoll Verdächtige im Visier.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland forderte aus Angst vor weiteren Anschlägen aus dem rechtsradikalen Milieu Schutz vom Staat an. "Wir haben die Sicherheitsbehörden gebeten, für den Schutz muslimischer Einrichtungen und deren Repräsentanten Vorkehrungen zu treffen", sagte der Vorsitzende Aiman Mazyek den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe.

Zudem habe der Zentralrat die Sicherheitsbehörden um eine neue Gefahreneinschätzung gebeten. "Wir haben Angst um unsere Familien, Repräsentanten und Einrichtungen", sagte Mayzek. "Ich hoffe nicht, dass künftig jede Moschee von der Polizei geschützt werden muss", sagte Grünen-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele der WAZ-Gruppe. "Man kann das aber nicht ausschließen, wenn die Ermittlungen Anhaltspunkte für die Gefahr weiterer Anschläge geben sollten."

© sueddeutsche.de/dapd/dpa/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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