Massenvernichtungswaffen in Nahost:Wege aus der Sackgasse

Massenvernichtungswaffen in Nahost: Chemiewaffenexperten der UN in Damaskus Ende September

Chemiewaffenexperten der UN in Damaskus Ende September

(Foto: AFP)

Die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, das gesamte Arsenal syrischer Chemiewaffen vernichten zu lassen, darf als historisch bezeichnet werden. Doch haben sich dadurch auch die Chancen auf einen Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen erhöht? Es gibt einen Weg zur Abrüstung. Mit Assads C-Waffen hat er aber nichts zu tun.

Ein Gastbeitrag von Shimon Stein

Es liegt in der Natur mancher Krisen, dass sie Möglichkeiten eröffnen, die vorher nicht denkbar erschienen. In diese Kategorie gehört zweifelsohne die Krise, die das Assad-Regime durch den Einsatz chemischer Waffen ausgelöst hat. Die katastrophalen Folgen des Giftgaseinsatzes ließen es nicht zu, dass die internationale Gemeinschaft zur Tagesordnung überging, sondern führten zu der historischen Entscheidung des UN-Weltsicherheitsrates, dass das gesamte Arsenal syrischer Chemiewaffen vernichtet werden soll.

Ob diese Resolution erfolgreich und vollständig umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Dennoch sprach Russlands Präsident Putin davon, dass nun nicht nur Syriens Chemiewaffen, sondern auch Israels Nuklearwaffen vernichtet werden sollten - als ob das eine mit dem anderen vergleichbar wäre. Und auch Irans Präsident Rohani und Ägyptens Außenminister Fahmy forderten Israel auf, sich dem Atomwaffensperrvertrag anzuschließen und seine nuklearen Waffen aufzugeben, um einen Nahen Osten zu schaffen, der frei von Massenvernichtungswaffen ist.

Die Vorschläge sind nicht neu. Haben sich die Rahmenbedingungen tatsächlich so grundlegend verändert, dass Israel sich dazu bereit erklären könnte, seine bisherige Haltung einer "nuklearen Ambiguität" aufzugeben? Und stehen die Chancen für einen Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen wirklich besser als in vergangenen Jahrzehnten?

Paradigmenwechsel in den arabischen Ländern

Wer über Rüstungskontrolle und Abrüstungsverhandlungen spricht, oder gar über eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone - für die es übrigens keinen Präzedenzfall gibt -, darf die allgemeine sicherheitspolitische Lage nicht aus dem Blick verlieren. Die ohnehin schon instabile Lage in der Region ist durch den arabischen Frühling noch instabiler, wesentlich gefährlicher, unübersichtlicher und unberechenbarer geworden.

Der Umbruch in den arabischen Ländern hat schon jetzt zu einem Paradigmenwechsel geführt, dessen Folgen noch gar nicht abzusehen sind. Die zentralen Regierungen wurden geschwächt, immer mehr Gebiete sind nicht mehr regierbar, beispielsweise die Halbinsel Sinai. Das Selbstbewusstsein nicht staatlicher Organisationen wie der Hisbollah wächst. Gesellschaften spalten sich entlang konfessioneller, ethnischer oder Stammeslinien. Die Gefahr des Staatsverfalls nimmt zu.

Wir haben es mit einer gleichsam anarchischen Region zu tun. Traditionelles Sicherheitsdenken aber beruht auf der Existenz von Staaten und auf Beziehungen zwischen den Staaten, auf der berechtigten Annahme, dass Verpflichtungen eingehalten werden und auf der Existenz einer Rechenschaftspflicht - darauf also, dass Zuverlässigkeit vorausgesetzt werden kann. Es beruht auf einem Vertrauen zwischen den Akteuren, das Abrüstung und Rüstungskontrolle überhaupt erst ermöglicht. Diese Voraussetzungen sind hinfällig geworden.

Dazu kommen die seit mehr als zwei Jahrzehnten fast unüberwindbaren ideologischen Meinungsverschiedenheiten zu Fragen der Sicherheit und über die Ursachen für die Spannungen und Bedrohungen zwischen Israel und Ägypten, das sich lange als Vormacht unter den arabischen Staaten sah.

Für Ägypten und Israel geht es in der Frage um verschiedene Dinge

Für Ägypten ist klar: Israels Nukleararsenal ist Ursache aller Sicherheitsbedrohungen in der Region - weshalb es nur einen Weg zur Beseitigung dieses Problems gibt, nämlich den Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag und damit zu einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone. Dies wäre (nach Ägyptens Ansicht) die beste "vertrauensbildende Maßnahme". Israel ist der Auffassung, dass man mit dem anfangen muss, was die zwingende Voraussetzung für einen Abrüstungsprozess ist (wie auch die Erfahrungen in Europa lehren), nämlich Vertrauen schaffen.

Es sollte sich um einen stufenweisen Prozess handeln, der mit vertrauensbildenden Maßnahmen beginnt, die die Sicherheit der Beteiligten nicht gefährden und die durch Verhandlungen über Rüstungskontrolle im konventionellen Bereich fortgesetzt werden. Die Erfahrungen, die die Parteien im Laufe des Prozesses machen werden, und das Vertrauen, das dabei aufgebaut wird, könnten dazu führen, dass sich die Beziehungen zwischen den Staaten qualitativ verändern.

So werden Rahmenbedingungen geschaffen, die es möglich machen könnten, sich mit dem ambitionierten Vorhaben einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone zu befassen. Für Ägypten geht es vor allem um die Abschaffung der israelischen Abschreckungswaffen, alles andere ist nebensächlich. Für Israel geht es um eine politische Bedrohung, nämlich um die Tatsache, dass die meisten arabischen Staaten Israels Existenz ablehnen. Solange diese existenzielle Bedrohung nicht beseitigt ist, wird Israel auf die atomare Abschreckung als Versicherung beharren.

Regionale Konferenz für Sicherheitsfragen

Kann man aus dieser Sackgasse herauskommen? Ja, aber nicht, indem man, wie Wladimir Putin das andeutete, syrische Chemiewaffen, das iranische Nuklearprogramm und Israels sicherheitspolitisches Konzept der Abschreckung miteinander verknüpft. Der Tabubruch, den Syrien mit dem Einsatz chemischer Waffen begangen hat, muss ohne Verquickung mit den anderen Problemen gelöst werden, genau wie die Geschichte des Betrugs und der Verschleierung im Fall des iranischen Nuklearprogramms. Der Versuch, eine Verbindung zu Israel herzustellen, ist zum Scheitern verurteilt.

In den vergangenen vierzig Jahren blieben alle arabischen Versuche erfolglos, eine nuklearwaffenfreie Zone zu schaffen. Ebenso vergeblich hat man in den vergangenen zwanzig Jahren versucht, eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone zu schaffen. Diese Tatsachen und die veränderten Rahmenbedingungen in der Region sollten Anlass für neue Überlegungen zu Sicherheitsstrukturen im Nahen Osten geben. Eine Möglichkeit wäre, mit Hilfe der USA, Russlands, Chinas und der EU eine regionale Konferenz einzuberufen, die sich mit Sicherheitsfragen befassen soll. Die Agenda sollte umfangreich sein und sich mit allen harten und weichen Themen befassen, die die Stabilität in der Region unterminieren könnten.

Ein besseres politisches Klima oder Fortschritte in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen würden die Einberufung einer regionalen Konferenz erleichtern - solche Fortschritte sollten aber nicht zur Bedingung gemacht werden. Ein Vorbild für diese Art der regionalen Zusammenarbeit könnte das Asian Regional Forum sein, ein Staatenverbund, der auch als sicherheitspolitischer Dialograhmen dient. Für dessen Einberufung sind regionale Probleme ebenfalls kein Hindernis. Weitermachen wie bisher ist sicherlich kein Weg.

Shimon Stein, 65, war 2001 bis 2007 Botschafter des Staates Israel in Deutschland. Zurzeit ist er am Institute für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Universität Tel Aviv tätig.

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