Süddeutsche Zeitung

Massenproteste in Ägypten:Präsident Mubarak lässt Panzer rollen

Wegen der gewalttätigen Proteste hat Ägyptens Regierungschef Mubarak eine landesweite Ausgangssperre verhängt, doch die wütende Menge ignoriert sie: Das Gebäude der Regierungspartei in Kairo brennt, Demonstranten haben versucht, ein Ministerium zu stürmen. Panzer fahren auf. Die USA überdenken ihre Finanzhilfe für Ägypten, das Auswärtige Amt rät deutschen Urlaubern von Reisen in die Metropolen des Landes ab.

Hosni Mubarak steht mit dem Rücken zur Wand. Nach schweren Straßenschlachten zwischen der Polizei und Demonstranten mit Hunderten Verletzten ordnete der Präsident am Freitagabend erstmals den Einsatz des Militärs zur Unterstützung der Polizei an. In der Stadt Suez und der Hauptstadt Kairo fuhren daraufhin Panzer auf.

Von Ausgangssperre und Militäreinsatz ließen sich viele Demonstranten aber nicht beeindrucken: In Kairo stürmten sie sogar auf Panzerfahrzeuge und skandierten von dort aus Parolen, ohne dass die Soldaten eingriffen.

Ebenfalls in Kairo haben ging der Sitz der Regierungspartei in Flammen auf. Zuvor hatten bereits regierungskritische Demonstranten in der Hafenstadt Alexandria den Sitz des dortigen Gouverneurs in Brand gesteckt.

Außerdem haben tausende Menschen versucht, das Außenministerium und das Gebäude des staatlichen Fernsehens zu stürmen. Wie der Nachrichtensender al-Arabija am Freitagabend meldete, wurden sie jedoch von Sicherheitskräften daran gehindert. Mitglieder der Regierungspartei NDP sagten dem Sender, ein Teil der Demonstranten werde "von Elementen gesteuert, die diese Form der Sabotage geplant" hätten.

Angesichts der massiven Proteste hatte die ägyptische Regierung nächtliche Ausgangssperren verhängt - zunächst nur für Kairo sowie die Städte Suez und Alexandria, dann für das ganze Land. Die Ausgangssperre gilt von 18 Uhr bis 7 Uhr morgens, doch viele Ägypter hielten sich nicht daran. Auf den Straßen waren am Abend immer noch Autos und Demonstranten unterwegs.

Am internationalen Flughafen von Kairo hieß es unterdessen, alle Flughafenmitarbeiter und Touristen, die zum Flughafen wollten, seien von der geltenden Ausgangssperre ausgenommen. Auch Reisende, die am Abend und in der Nacht in Kairo landen, dürften den Flughafen verlassen. Die staatliche ägyptische Fluggesellschaft Egypt Air teilte unterdessen mit, dass sie ihren Flugbetrieb von 21 Uhr Ortszeit (20 Uhr MEZ) an für zwölf Stunden einstellen wird.

Das Auswärtige Amt rät angesichts der Gewalt von Reisen in die größeren Städte Ägypten ab. Die Demonstrationen richteten sich zwar nicht gegen Touristen, hieß es auf der Internet-Seite des Amtes. "Von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sollte derzeit dennoch Abstand genommen werden." Reisenden werde dringend empfohlen, Menschenansammlungen und Demonstrationen weiträumig zu meiden und die örtlichen Medien aufmerksam zu verfolgen.

Auch in Washington lösen die Straßenkämpfe in Ägypten Unruhe aus: US-Präsident Barack Obama hat sein Sicherheitsteam zu einer Sondersitzung einberufen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AP überdenken die USA angesichts der Unruhen ihre Hilfen für das Land. Die Regierung von Präsident Husni Mubarak erhält Milliarden Dollar US-Hilfe, Ägypten ist einer der wichtigsten Partner der USA im Nahen Osten.

Am Freitag hatten landesweit Zehntausende Menschen den Rücktritt des seit fast 30 Jahren regierenden Präsidenten gefordert. Erstmals nahm auch der am Donnerstag nach Ägypten zurückgekehrte Oppositionspolitiker Mohamed ElBaradei an den Protesten teil. Das Regime hält ElBaradei offenbar für eine ernsthafte Gefahr: Der Friedensnobelpreisträger steht seit Freitagnachmittag unter Hausarrest, wie ägyptische Sicherheitsbehörden bestätigten. Zuvor war er beim Gebet in einer Kairoer Moschee festgesetzt worden.

Das Land wartet auf eine Rede Mubaraks. Der Präsident will nach den schweren Zusammenstößen offenbar am Freitagabend im Fernsehen zu seinem Volk sprechen.

Bei den massiven Protesten wurde am Freitag gab es mehrere hundert Verletzte, Augenzeugen zufolge wurde auch ein Mensch getötet. Wütende Menschen trugen seine Leiche durch die Straßen von Suez, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Der etwa 30-Jährige starb, als die Sicherheitskräfte versuchten, eine Kundgebung mit Tausenden Menschen aufzulösen.

Zuvor waren die Proteste in Suez eskaliert: Die Demonstranten zündeten mehrere Polizeifahrzeuge und einen Polizeiposten an. Die Menschen seien dann in das Gebäude eingedrungen und hätten sich der dort gelagerten Waffen bemächtigt.

Mit dem Toten von Suez wären bei den seit Dienstag anhaltenden Protesten insgesamt acht Menschen gestorben, unter ihnen zwei Polizisten. Die unabhängige ägyptische Zeitung Al-Masry al-Youm berichtet sogar von insgesamt drei Menschen, die am Freitag in Suez und Kairo gestorben seien. Die englische Online-Ausgabe der Zeitung ist eine der wenigen Webseiten, die Mubaraks Behörden noch nicht gesperrt haben.

Allein in Kairo wurden Ärzten zufolge bis zu 500 Menschen bei Ausschreitungen verletzt. Die Polizei war mit gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz, setzte Wasserwerfer mit Tränenengas und Gummigeschosse gegen die Menge ein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1052666
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/dapd/Reuters/AFP/dpa/jab/liv
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.