Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam hat sich verrechnet. Nachdem am Sonntag Hunderttausende friedlich demonstriert hatten, reagierte sie auf die Massenproteste mit Herablassung: Sie habe das Gesetz ausreichend erklärt. Wer dagegen sei, habe es nur nicht kapiert.
Die Eskalation war abzusehen. Für viele Hongkonger ist Lam eine Marionette Pekings. Die letzten Tage werden sie bestätigt haben. Gleichzeitig scheint die Regierungschefin von der Kommunistischen Partei zu lernen. Sie ignoriert den Willen der Bevölkerung, lässt Protest niederschlagen und Aktivisten verfolgen. Das ist das Handwerkszeug Pekings.
Lam droht mit ihrem Kurs, die Zukunft Hongkongs zu zerstören. Die meisten Demonstranten sind junge Menschen. Die Regierung hat ihre Sorgen zu lange ignoriert. Das Auslieferungsabkommen ist nur der Auslöser für ihre Wut. Peking raubt ihnen ihre Freiheit. Die chinesische Regierung will die Stadt ausbluten.
Das ist aber nicht der einzige Grund. Vielen fehlt eine wirtschaftliche Perspektive. Die Gehälter stagnieren. Die Konkurrenz durch chinesische Uniabsolventen ist hoch. Die Wohnungspreise sind astronomisch. Sie kämpfen auf den Straßen, weil sie das Gefühl haben, nichts mehr verlieren zu können.
Umso entscheidender sind die kommenden Tage. Wie die Regierung nun mit den Protesten umgeht, wird den Kurs der Stadt über Jahre bestimmen. Hongkongs Stärke sind seine rechtsstaatlichen und freiheitlichen Werte. Reagiert die Regierungschefin mit neuer Härte, wird sich das nicht für sie auszahlen. Einzige Gewinner wäre Peking.