Massendemonstration in Louisiana:Prügel, die nationale Wunden aufreißen

Die US-amerikanische Provinzstadt Jena wird zum Symbol latenten Rassenhasses - und zum Geburtsort einer neuen Bürgerrechtsbewegung.

Reymer Klüver

Sie kamen in Bussen und langen Autokonvois. Sie kamen im Morgengrauen und hatten schon Hunderte Meilen hinter sich. Am Ende waren es 20000, vielleicht sogar 50000 Menschen in Jena. Das ist ein kleines, ärmliches Provinznest im Herzen Louisianas mit gerade einmal 3500 Einwohnern, mit dessen Namen vor Jahresfrist kaum einer in den USA etwas anfangen konnte.

Massendemonstration in Louisiana: Zehntausende demonstrierten im Herzen Louisianas für die sogenannten Jena Six. Die sechs schwarzen Jugendlichen, die sich wegen eines Angriffs auf einen Weißen verantworten müssen, beschäftigen nun sogar Washington.

Zehntausende demonstrierten im Herzen Louisianas für die sogenannten Jena Six. Die sechs schwarzen Jugendlichen, die sich wegen eines Angriffs auf einen Weißen verantworten müssen, beschäftigen nun sogar Washington.

(Foto: Foto: Reuters)

Jetzt, so sagen manche bereits, könnte Jena Symbol nicht nur für das zähe Fortleben des Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft werden, sondern für die Rückkehr der Bürgerrechtsbewegung ins Bewusstsein der Nation.

Zumindest war der Marsch der Tausenden am Donnerstag eine der größten Protestkundgebungen gegen Vorurteile und Rassenhass in den USA seit der Ära der Bürgerrechtsbewegung vor fast einem halben Jahrhundert. Sogar der Sohn des Anführers der Bewegung jener Tage, Martin Luther King, war dabei.

Die Demonstranten, meist Schwarze, forderten Gerechtigkeit für die sogenannten Jena Six, sechs schwarze Jugendliche, die nach einer Schlägerei in der Highschool des Ortes wegen versuchten Totschlags angeklagt worden waren.

Ihr Opfer war ein Weißer, der mit Schürfwunden und dem Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht worden war, aber bereits am Abend nach der Schlägerei wieder an einer Schulveranstaltung teilgenommen hat. Einer der Beteiligten, der damals 16 Jahre alte Mychal Bell, wurde inzwischen der Körperverletzung in besonders schwerer Form schuldig gesprochen - von einer Jury, der nur Weiße angehörten. Ihm drohten 22 Jahre Gefängnis.

Begonnen hatten die Vorfälle, die die untergründigen Spannungen zwischen den Rassen in dem Südstaaten-Städtchen offenlegten, wegen einer Kleinigkeit. Das war im Sommer 2006. Ein schwarzer Jugendlicher hatte den Direktor der Highschool um die Erlaubnis gebeten, im Schatten eines Baums auf dem Schulhof sitzen zu dürfen, wo sonst nur weiße Kids saßen. Am nächsten Tag baumelten drei Schlingen von den Ästen der Schulhofeiche.

Das war eine nur allzu deutliche Anspielung auf die im alten Süden der USA bis weit ins 20. Jahrhundert verbreitete Lynchjustiz. Sie dürfte das wohl verhassteste Symbol des Rassismus sein. Die weißen Täter kamen mit drei Tagen Schularrest davon. Der Staatsanwalt des Distrikts, Reed Walters, ein Weißer, sah kein Unrecht darin, zumindest keine strafwürdige Tat. Er habe alle Gesetzesbücher des Staates Louisiana studiert, gab Walters später zu Protokoll, eine Handhabe habe er aber nicht gefunden. "Ich kann nicht genug betonen, welch niederträchtige Tat das war", sagte er, "die Leute, die das gemacht haben, sollten sich dafür schämen, was sie über diese Stadt gebracht haben".

"Es geht nicht um Rasse"

Denn in den folgenden Wochen kam es immer wieder zu Schlägereien zwischen weißen und schwarzen Jugendlichen. In der Schule wurde Feuer gelegt. Nur Tage später kam es dann zu der Prügelei. Die Polizei wurde gerufen, die Angreifer kamen in Haft.

Der Staatsanwalt bestreitet, dass in der Serie der Zwischenfälle mit zweierlei Maß gemessen worden sei. Weiße Beteiligte kamen mit schulischen Disziplinarstrafen oder mit Bewährungsstrafen davon, schwarze wurden inhaftiert und wegen Straftaten angeklagt, auf denen jahrzehntelange Haftstrafen stehen. Noch am Mittwoch, am Tag vor der Demonstration, sagte Walters in Gegenwart des Opfers der Schlägerei und vor einem rein weißen Publikum: "Es geht nicht und ging auch nie um Rasse. Es geht darum, Gerechtigkeit für ein unschuldiges Opfer zu finden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen."

Walters wies darauf hin, dass der inzwischen 17-jährige Bell wegen anderer Schlägereien bereits vorbestraft gewesen sei. Eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht sei daher völlig in Ordnung gewesen. Zumal in Louisiana Jugendliche ab 16 Jahren als voll straffähig gelten könnten. Die Verurteilung Bells ist inzwischen allerdings von einem Berufungsgericht kassiert worden - mit der Begründung, dass Bell angesichts der Umstände als Jugendlicher hätte bestraft werden müssen. Bell blieb trotzdem weiter in Haft. Über die Untätigkeit der Kollegen auf dem Land offenbar sehr irritiert, ordneten die Berufungsrichter am Tag der Demonstration einen Haftprüfungstermin noch für Freitag an.

Auch Bush betroffen

Auch in Washington hat der Fall inzwischen Aufmerksamkeit gefunden. Präsident George W. Bush sagte, dass ihn die Vorfälle persönlich betroffen gemacht hätten: "Wir alle in Amerika wollen Fairness, wenn Recht gesprochen wird." Die Sache soll nun vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses erörtert werden. Reverend Al Sharpton, einer der Veteranen der Bürgerrechtsbewegung, schlug vor, dazu Staatsanwalt Walters persönlich nach Washington vorzuladen.

Sharpton hatte am Donnerstag einen der Demonstrationszüge in Jena angeführt, einen anderen der Bürgerrechtler Jesse Jackson, der sich eine amerikanischen Flagge um die Schultern gelegt hatte. Er verglich die Kundgebung mit den legendären Märschen der Bürgerrechtsbewegung nach Selma in Alabama vor 50Jahren. Und Sharpton sagte vor der Menge in Jena: "Dies ist der Beginn der Bürgerrechtsbewegung des 21. Jahrhunderts."

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