Süddeutsche Zeitung

USA:Der neue Bürgerkrieg

In Amerika entlädt sich der Hass einer polarisierten Gesellschaft in Gewalt. Präsident Trump trägt daran eine Mitschuld. Er zeigt, wie sich jedes Attentat für neue Aggressionen nutzen lässt.

Kommentar von Stefan Kornelius

Man muss nicht die Filme von Martin Scorsese gesehen haben, um das gewalttätige, brutale Herz der USA zu kennen. Dieses Amerika ist keine Erfindung von Donald Trump, dieses Amerika hat es immer schon gegeben. Es ist das Produkt einer Einwanderungsgesellschaft im Überlebenskampf, einer Pioniergesellschaft, einer kriegerischen Grundhaltung.

Gewalt ist eine Konstante in der amerikanischen Geschichte, sie trug immer schon rassistische, homophobe und religiöse Züge. Deswegen ist auch die Angst vor Gewalt, das Recht zur eigenen Verteidigung tief im kollektiven Bewusstsein der Amerikaner eingebrannt. So erklären sich das Verhältnis des Landes zu Waffen und eine Gesetzgebung, die neuerdings vom Präsidenten mit absurd anmutenden Vorschlägen bereichert wird, etwa Lehrer zur Abwehr von Amokläufern zu bewaffnen. Der Staat will und kann ein Gewaltmonopol unter diesen Umständen nicht durchsetzen. Der Schutz vor dem Bösen gehört ebenso zum Ausdruck von Indvidualismus wie die Vorstellung, dass es jeder nach oben schaffen kann.

Der amerikanische Mythen-Kanon ist verlogen

Die Aggression und nun auch die explosive Gewalt im Wahlherbst 2018 lassen viele Amerikaner erschaudern. Religiöse und rassistisch motivierte Gewalt wird treffenderweise mit hate crime, Hasskriminalität, bezeichnet. Auch politisch inspirierte Gewalt ist diesem Land nicht fremd. Neu ist allerdings, dass das Symbol an der Spitze der USA, die eigentlich versöhnende, vereinende und befriedende Figur des Präsidenten, die Aggression befördert, ja, bewusst anheizt.

Bemerkenswerterweise handelt Donald Trump hier sehr authentisch. Er bildet mit Gedanken, Worten und Taten ab, wie es um die Gesellschaft bestellt ist: Eine gespaltene, wachsend aggressive, hassgeladene und latent explosive Ansammlung von 330 Millionen Menschen, die um ihre Identität ringen und dabei das Verständnis füreinander verlieren. Donald Trump wäre nicht Präsident dieses Amerikas, hätte er nicht einer großen Zahl von Menschen in ihren Ängsten und ihrer Projektion von Hass entsprochen. Weil er nun aber nicht zur Linderung der Sorgen und zur Überwindung des Hasses beiträgt sondern seine politische Existenz auf Zorn, Wut und rhetorischer Gewalt aufbaut, trägt er eine Mitschuld an der Entladung der Gewalt, wie sie die USA gerade erleben.

In Amerika entlädt sich der Hass einer polarisierten Gesellschaft in Gewalt

"Bei einem sozialen und politischen Zusammenbruch sind Juden wie Kanarienvögel im Kohlebergbau", hat Howard Fineman, ein Kommentator und Journalistenlehrer, nach dem Synagogen-Massaker von Pittsburgh geschrieben. Das ist eine würgende Analyse über den Zustand einer Nation, die keinen Weg mehr aus der Gewaltspirale zu finden scheint. Die November-Wahl wird keine Befriedung bringen, im Gegenteil. Der Wahlkämpfer Trump zeigt, wie sich jede Rohrbombe, jeder Tote aus der Synagoge, jedes Charlotteville und all die anderen Synonyme für Amerikas inneren Kollaps für neue Aggressionen nutzen lassen.

Dennoch gilt: Dieser Präsident hat die Gewalt nicht geschaffen. Sie ist allgegenwärtig: in Nachrichten und aggressiven Talkshows, in Filmen, geradezu krebsartig gewuchert in den sozialen Medien, in einer militarisierten und hochbewaffneten Gesellschaft. Der Bürgerkrieg - in den USA wird er gerade neu erfunden.

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SZ vom 29.10.2018/irm
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