Massaker in Südafrika:Zerreißprobe am Kap des Zorns

Die Arroganz der Oberen prallt auf militante Wut an der Basis: Nach dem Massaker von Marikana mit 34 Toten steht Südafrika unter Schock. Die Tragödie entblößt nicht nur eine Schwäche der Regierung, sondern zeigt, dass die soziale Ungerechtigkeit das ganze Land zerreißen könnte.

Arne Perras

Immer wenn Südafrika in die Krise stürzt, wenn die Nation sich selbst sucht oder nach Wegen, wie sie aus dem Tal der Tränen herausfinden kann, dann richten sich die Blicke auf den großen alten Mann. Nelson Mandela, Freiheitsheld und erster Präsident eines demokratischen Südafrikas. Was würde er jetzt sagen in den schweren Stunden, da das Land die Toten von Marikana betrauert? 34 Kumpel sind im Kugelhagel der Polizei gestorben, der blutige Donnerstag hat nicht nur Südafrika schockiert, sondern in aller Welt Entsetzen ausgelöst.

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Hunderte Menschen trauern um die Toten eines Massakers: 34 Kumpel starben im Kugelhagel der Polizei.

(Foto: AFP)

Mandela aber spricht kaum noch zum Volk. Und das muss er auch nicht mehr. Der Übervater ist 94 Jahre alt und sehr müde. Er hat es verdient, endlich in Frieden gelassen zu werden. Selbst dann, wenn der Frieden im Staat nur noch schwer zu finden ist. Die Südafrikaner müssen es ohne ihn richten. Das Bittere ist nur: Keiner ist zu sehen, der Mandela ersetzen könnte.

Das Drama in der Mine von Marikana zeigt auf drastische Weise, dass die führende Nation Afrikas selbst keine wahre Führung mehr hat. Dass sich an der Spitze des Staates ein bedrohliches Vakuum auftut. Wo sich ein Präsident nur widerwillig engagiert, sich wegduckt und keine Anstrengungen unternimmt, die Menschen zusammenzubringen, stoßen andere in die klaffende Lücke. Und suchen mit populistischen Parolen ihre Chance.

In Designerschuhen über Leichenberge

Der Karikaturist Zapiro hat diese Gefahr mit einer makabren Zeichnung eingefangen: Er zeigt den Möchtegern-Anwalt der Armen und Entrechteten, Julius Malema, wie er mit Designer-Schuhen und einer teuren Armbanduhr über die Leichen von Marikana marschiert, mit einer Flüstertüte in der Hand, auf der "Opportunismus" steht.

So weit ist es nun im Lande Mandelas gekommen: Ein Scharfmacher und Spalter gibt den edlen Robin Hood. Und dass der frühere Chef der Jugendliga des Afrikanischen Nationalkongresses Gehör findet bei den verbitterten Arbeitern, dass sie zu ihm Vertrauen fassen, macht deutlich, wie sehr sich die führenden Zirkel im ANC von den arbeitenden Massen entfernt haben.

Dies ist umso bedrohlicher, als gerade Malema, der selbst auf großem Fuße lebt und mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen hat, am allerwenigsten über die Statur verfügt, um als moralischer Kompass die Marschrichtung vorzugeben. Malemas Name ist nur deshalb in aller Munde, weil Südafrikas Präsident Jacob Zuma nicht die Initiative ergreifen kann, weil er zögert und den Eindruck befördert, dass er der Krise nicht gewachsen ist.

Angst vor dem sozialen Sprengstoff

Die Gewalt von Marikana entblößt aber nicht allein die Schwäche der Regierung. Sie erinnert alle daran, dass diese Nation sehr viel sozialen Sprengstoff angehäuft hat. Und der bedroht die junge Demokratie. Manche sprechen nun von "ökonomischer Apartheid", die das Land nach dem Sieg über das weiße Minderheitsregime spaltet.

Mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich hat Südafrika zwar nicht als einziger Staat zu kämpfen, sie ist Merkmal vieler aufstrebender Länder in der Welt. Gerade am Kap aber klaffen Anspruch und Wirklichkeit besonders weit auseinander. Das belastet die Psyche der Armen besonders. Sie haben viel erwartet - und wurden enttäuscht. Das schürt den Zorn.

Unterdessen sehen sie, dass die politische Elite Südafrikas reich geworden ist, sie schwebt in anderen Sphären. Das gilt auch und gerade für die Funktionäre der Gewerkschaften. Die Führungsleute des ANC haben zu lange den Eindruck erweckt, als ginge sie das Schicksal der Kumpel nichts mehr an. Dadurch aber untergraben sie die Vision eines Staates, in dem alle ihren Platz finden und alle gemeinsam an einer besseren Zukunft bauen. So verraten sie den Traum Mandelas. Dieses Versagen wird immer deutlicher.

Aber auch ganz unten ist etwas faul in Südafrika. Die Arroganz der Oberen prallt auf eine militante Wut an der Basis, die bei nahezu jedem Streik und jedem Protest gewaltsam Dampf ablässt. Auch die Kumpel in Marikana müssen einsehen, dass ein Arbeitskampf nicht mit Speeren, Macheten und Knüppeln ausgetragen werden sollte. Sie würden das vielleicht eher tun, wenn sie das Gefühl hätten, dass sie jemand da oben hört.

Wenn es Südafrika nicht gelingt, diese gefährliche Frontstellung aufzubrechen und dem Wort eine Chance zu geben, dann war Marikana nur die Ouvertüre zu weiterer Gewalt. Es ist schon schwer genug, die richtigen ökonomischen Entscheidungen zu treffen, um breiteren Wohlstand zu befördern. Südafrika sucht noch immer nach diesem Weg. Aber wenn nicht alle mitreden dürfen, wenn die Masse abgehängt wird auf der steinigen Strecke aufwärts, dann kann die Nation ihren inneren Frieden nicht finden.

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