Süddeutsche Zeitung

Nach Massaker in Haula:Deutschland weist syrischen Botschafter aus

Die Vereinten Nationen sprechen von "Sammelhinrichtungen" im syrischen Haula, Überlebende berichten, wie regimetreue Milizen brutal mordeten. Die internationale Gemeinschaft zieht Konsequenzen: Nach Frankreich und Australien weisen nun auch Deutschland und die USA die syrischen Botschafter aus. Ein ranghoher US-Militär erwägt sogar offen ein militärisches Eingreifen.

Mehr als hundert Zivilisten - viele davon Kinder - starben beim Massaker in der syrischen Stadt Haula. Der überwiegende Teil von ihnen ist nach UN-Angaben hingerichtet worden. Dies hätten die ersten Untersuchungen der Vereinten Nationen ergeben, sagte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, in Genf.

Weniger als 20 der 108 Toten von Haula seien durch Artillerie- oder Panzerbeschuss getötet worden. Der Großteil der Opfer sei in "Sammelhinrichtungen" getötet worden, die Einwohner der regierungstreuen Schabiha-Miliz zuschrieben.

Augenzeugen hatten zuvor berichtet, syrische Artillerie habe mit Raketen und Granaten auf Wohnhäuser geschossen. Anschließend seien Mitglieder der gefürchteten regimetreuen Schabiha-Miliz von Haus zu Haus gezogen, um die Bewohner mit Pistolen und Messern zu ermorden.

"Sie kamen herein, mit Kalaschnikows und automatischen Gewehren"

Mehrere Zeugen sagten der britischen BBC, sie hätten sich versteckt oder tot gestellt, um zu überleben. Die meisten berichteten, dass die Armee oder die Shabiha-Milizen die Gräueltaten begangen hätten - obwohl die Führung in Damaskus jede Verantwortung zurückweist.

"Wir waren im Haus, sie kamen herein, die Schabiha und die Sicherheit, sie kamen mit Kalaschnikows und automatischen Gewehren", berichtete eine Überlebende. "Sie brachten uns in einen Raum und schlugen meinen Vater mit dem Gewehrgriff auf den Kopf und schossen ihm genau ins Kinn." Von 20 Familienmitgliedern und Freunden im Haus hätten nur vier überlebt.

Ein anderer Bewohner von Haula sagte, er habe sich auf dem Dachboden versteckt, als Bewaffnete seine Familie hinausschafften und sie erschossen. "Ich öffnete die Tür, und sah Leichen, ich konnte meine Kinder nicht von meinen Brüdern unterscheiden. Es ist nicht in Worte zu fassen. Ich habe drei Kinder, ich habe drei Kinder verloren", sagte er.

Andere Zeugen berichteten von ihrer Furcht, dass die Regierungstruppen zurückkommen könnten. Die BBC schreibt, dass die Aussagen der Zeugen nicht von unabhängiger Seite bestätigt wurden, einem BBC-Korrespondenten im benachbarten Libanon zufolge jedoch sowohl miteinander als auch mit Berichten syrischer Aktivisten übereinstimmten.

Die Staatsmedien machen al-Qaida verantwortlich

Syrische Offizielle widersprachen den Darstellungen der Zeugen. "Wir können versichern, dass keine syrische Artillerie oder schwere Waffen im Gebiet von Haula eingesetzt wurden", erklärte ein Sprecher des Außenministeriums in Damaskus. Vielmehr hätten "bewaffnete Gruppen" den Ort mit Panzerfäusten und Mörsern angegriffen. Die Staatsmedien behaupteten, das Massaker sei das Werk von "Al-Qaida-Terroristen".

International wird nach den Berichten über das Massaker von Haula der Druck auf das syrische Regime erhöht. Aus Protest gegen das Massaker weist Deutschland den syrischen Botschafter aus. Radwan Lutfi wurde im Auswärtigen Amt darüber informiert, dass er die Bundesrepublik innerhalb von 72 Stunden verlassen muss. Zugleich forderte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) den syrischen Präsidenten Assad auf, sein Amt niederzulegen.

Am frühen Abend haben auch die USA bekanntgegeben, dass sie den höchsten diplomatischen Vertreter Syriens ausweisen. Der Geschäftsträger der syrischen Botschaft in Washington, Suheir Dschabbur, müsse binnen 72 Stunden das Land verlassen, teilte das US-Außenministerium mit.

Die Ausweisung geschieht in einer konzertierten Aktion. Frankreich und Australien hatten zuvor bekannt gegeben, syrische Botschafter auszuweisen. Die syrische Botschafterin in Paris, Lamia Schakkur, werde noch am Dienstag oder am Mittwoch über die Entscheidung informiert, sagte der französische Präsident François Hollande in Paris. Wie Australiens Außenminister Bob Carr erklärte, müssten der syrische Geschäftsträger und ein anderer Diplomat das Land binnen 72 Stunden verlassen. Auch Großbritannien plant nach Angaben von EU-Diplomaten in Brüssel, den syrischen Vertreter nach Hause zu schicken. Italien und Spanien könnten sich ebenfalls an der Aktion beteiligen.

Die Bundesregierung hatte bereits im Febraur vier Mitarbeiter der Botschaft ausgewiesen. Ihnen wurde vorgeworfen, Mitglieder der syrischen Opposition in Deutschland bespitzelt und eingeschüchtert zu haben. Die deutsche Botschaft in Damaskus ist wegen der angespannten Sicherheitslage bereits seit Monaten geschlossen.

Der UN-Sondergesandte Kofi Annan kommt an diesem Dienstag in Damaskus mit Präsident Assad zusammen. Auch Gespräche mit Oppositionsvertretern sind geplant. Dabei will der frühere UN-Generalsekretär erneut für seinen Friedensplan werben.

Diplomaten in der Region nannten die Visite Annans "entscheidend" für die Friedensinitiative. Die syrische Opposition und viele Experten sehen den Plan, der eine Waffenruhe beinhaltet, allerdings schon jetzt als gescheitert an. Nach seinem Eintreffen in Syrien am Montag hatte Annan das Massaker als "schockierendes Ereignis mit schweren Folgen" bezeichnet.

US-Außenministerin Hillary Clinton forderte die internationale Gemeinschaft auf, den Druck auf Assad und "seine Spießgesellen" zu erhöhen. US-Generalstabschef Martin Dempsey sprach erstmals offen über ein militärisches Vorgehen gegen Syrien. "Wir sind bereit, (militärische) Optionen vorzulegen, wenn wir danach gefragt werden", sagte der General in einem Interview des TV-Senders CBS. Allerdings fügte er ausdrücklich hinzu, dass es vor einer Diskussion über militärische Möglichkeiten diplomatischen Druck geben sollte.

Frankreich und Großbritannien vereinbarten die Einberufung einer Syrien-Konferenz. Das gab der Elyséepalast bekannt. Ein konkretes Datum gab es zunächst nicht. Der britische Premierminister David Cameron und der neue französische Präsident François Hollande betonten, sie wollten den Druck der internationalen Gemeinschaft auf Assad verstärken. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton schloss sich der Verurteilung an.

Russland rückt von Syrien ab

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz, ist der Ansicht, das Massaker von Haula sei ein Fall für das Internationale Kriegsverbrecher-Tribunal. "Wenn mit Artillerie ein Wohngebiet beschossen wird, ist das ein Kriegsverbrechen", sagte der CDU-Politiker der Frankfurter Rundschau. Präsident Assad komme dem Punkt immer näher, an dem er sich in Den Haag verantworten müsse. Eine internationale Militärintervention in Syrien sei derzeit keine Möglichkeit, sagte Polenz.

Russland rückte nach dem Massaker von seiner unterstützenden Linie für Damaskus ein wenig ab. Die UN-Vetomacht machte sowohl die Regierung als auch "Extremisten" für das Massaker verantwortlich. "Es besteht kein Zweifel, dass die Behörden Artillerie und Panzer eingesetzt haben", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Montag in Moskau. Allerdings müsse die Schuld "objektiv verteilt" werden. Lawrow forderte eine unabhängige Untersuchung. Russland warnte davor, das Blutbad als Vorwand für eine militärische Einmischung zu nutzen. Lawrow warf der syrischen Opposition vor, sie wolle einen Bürgerkrieg anzetteln und so eine Intervention rechtfertigen.

Der UN-Sicherheitsrat in New York hatte das Massaker nach einer Sondersitzung am Sonntag "mit den stärksten möglichen Worten" verurteilt. Die syrische Opposition forderte den Weltsicherheitsrat indes erneut auf, seine Verantwortung zum Schutz des syrischen Volkes zu übernehmen. Eine entsprechende Erklärung veröffentlichten drei Gruppen der syrischen Opposition am Montag nach einem Treffen in Bulgarien, wie das Außenministerium in Sofia mitteilte.

In Syrien unterdrückt das Assad-Regime seit fast 15 Monaten mit brutaler Gewalt eine anfangs friedliche Protestbewegung, die inzwischen stellenweise in einen bewaffneten Aufstand umgeschlagen ist. Nach Schätzungen der UN wurden dabei mindestens 10.000 Menschen getötet, Aktivisten sprechen von mehr als 12.000 Opfern.

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