Der Mannheimer CDU-Politiker Nikolas Löbel scheint ein ausgeprägtes Talent zu haben, seiner eigenen Partei in Wahlkämpfen zu schaden. Vor fünf Jahren ritt er als Vorsitzender der Jungen Union Baden-Württemberg eine spektakuläre Attacke auf Winfried Kretschmann. Er nannte den grünen Ministerpräsidenten "altersschwach" und sagte: "Jeder von uns weiß, der schafft keine fünf Jahre mehr."
Erwartungsgemäß kam es nicht gut an, einem 67-Jährigen den nahen Exitus - und sei es auch nur den politischen - zu prophezeien. Löbel rang sich zu einer Art Entschuldigung durch und profilierte sich nach der Landtagswahl - die Südwest-CDU war auf 27 Prozent abgesackt - als Befürworter einer grün-schwarzen Koalition. Ein Jahr später zog er in den Bundestag ein.
Wie das politische Leben so spielt: Winfried Kretschmann erfreut sich mit 72 Jahren immer noch guter Gesundheit und, eine Woche vor der Landtagswahl 2021, auch überragender Umfrageergebnisse. Dagegen ist die politische Karriere von Nikolas Löbel, 34 Jahre alt, schon wieder beendet.
Löbel steht in einem öffentlichen Sturm der Entrüstung, weil er in Verquickung seiner Tätigkeiten als Bundestagsabgeordneter, Projektentwickler und Unternehmensberater Geld für die Vermittlung von Schutzmasken an den Staat kassiert hat. Zwar hat er keine 660 000 Euro in Rechnung gestellt wie offenbar der CSU-Kollege Georg Nüßlein, aber die 250 000 Euro sind immer noch eine Menge Geld. Und dass er die Summe zunächst als "marktüblich" bezeichnete, zeugt von erstaunlicher Rücksichtslosigkeit in der Jahrhundert-Pandemie, die so viele Leben und Existenzen zerstört.
Er sei "manchmal etwas ungeschickt", sagte er vergangenes Jahr, als er wegen umstrittener Immobiliengeschäfte in Mannheim in die Schlagzeilen geriet. Spricht man mit alten Weggefährten aus JU-Zeiten über ihn, so hört man Geschichten über einen jungen Politiker, dem Geld und Prestige schon immer über alles gingen, gesegnet mit einem großen rhetorischen Geschick und wenig Skrupel. Angesichts der vielen Skandale, die er verursachte, lautete im JU-Führungszirkel die Devise: "Rettet den Löbel". Das ist nun nicht mehr möglich.
Am Wochenende kündigte Nikolas Löbel an, im Herbst nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Aber sein Mandat will er noch bis Ende August ausüben. Prompt verstärkte sich der Ärger noch mal, in der CDU liegen die Nerven blank. Löbel solle sich sofort aus dem Bundestag verabschieden, fordert wie viele andere in der Partei Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU Baden-Württemberg. "Ich habe keinerlei Verständnis und bin zutiefst entsetzt, dass ein Abgeordneter die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg dazu nutzt, um sich persönlich zu bereichern", erklärte sie. Eisenmann führt ohnehin einen unglücklichen und manchmal ungeschickten Wahlkampf, im Duell gegen einen überaus populären Ministerpräsidenten, als für die Schulen zuständige Kultusministerin mit dem undankbarsten Job im Kabinett. In Umfragen liegt die CDU schon jetzt bis zu elf Prozentpunkte hinter den Grünen.
Land unter also im Ländle. Auch die CDU-Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz, wo ebenfalls am Sonntag gewählt wird, kriegen die Krise. Und die Korruptionsfälle in CDU und CSU werfen auch einen Schatten auf die Bundestagswahl. Es geht um die Macht der Union im Bund.
Gut möglich, dass die Union in Stuttgart an der Regierung nicht mehr gebraucht wird. Kretschmann könnte eine Ampel-Koalition bilden, Malu Dreyer ein solches Bündnis unter Regie der SPD fortsetzen. Die Botschaft würde lauten: Regieren geht auch ohne die Union - im Herbst auch im Bund.
Am Freitag haben der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bund, Ralph Brinkhaus (CDU), und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt einen Brief an ihre Abgeordneten verschickt. Es geht um die Arbeit der Parlamentarier in diesen verrückten Monaten, der zweite Absatz beginnt dann so: "Darüber hinaus setzen wir uns als Abgeordnete höchst engagiert für die Belange vor Ort ein, helfen Bürgerinnen und Bürgern, unterstützen Unternehmen und Selbstständige, informieren und halten Kontakt." Nein, von lukrativen Provisionsgeschäften, an denen sich mitverdienen lässt, ist natürlich nicht die Rede.
Und so heißt es ein paar Zeilen weiter: "Ein Tätigwerden im Rahmen des Mandats darf nicht mit persönlichen finanziellen Interessen verbunden werden." Und: "Wir sagen daher sehr deutlich, das Beziehen von Geldleistungen für die Vermittlung von medizinischer Schutzausrüstung im Rahmen der Pandemiebekämpfung von Abgeordneten stößt auf unser vollkommenes Unverständnis und wird von uns entschieden verurteilt."
Aus den Parteizentralen von CDU und CSU kommt, zumindest von höchster Stelle - den Parteichefs - erst mal lange nichts. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte seine Empörung ("unanständig") ins Land. Dem Koalitionspartner SPD genügte das nicht. Norbert Walter-Borjans, Ko-Vorsitzender der Sozialdemokraten, sagte der SZ, CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder, "aber auch die Kanzlerin müssen umgehend dafür sorgen, dass kein Zweifel an der Integrität der Politik zurückbleibt".
Es ist dann ausgerechnet die zuletzt von ihren eigenen Leuten als führungsschwach angesehene Ex-Parteichefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die am frühen Sonntagnachmittag fordert, Löbel und Nüßlein sollten ihre Bundestagsmandate sofort niederlegen. Danach erst meldet sich Söder zu Wort. Die Betroffenen müssten jetzt "umgehend reinen Tisch" machen. Auch darin ist er Laschet schon wieder voraus. Dieser sagt dem Südkurier später: "Wer als Volksvertreter versucht, in dieser Krise für sich persönlich Geld zu verdienen, muss das Parlament unverzüglich verlassen." Am Sonntagabend gab Georg Nüßlein unter diesem Druck seinen Austritt aus der CDU/CSU-Fraktion bekannt. Sein Bundestagsmandat will er bis zum Ende der Legislaturperiode ausüben.
Für die CDU in Rheinland-Pfalz kommt die Maskenaffäre zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Spitzenkandidat Christian Baldauf konnte zwischenzeitlich davon träumen, die populäre Ministerpräsidentin Malu Dreyer abzulösen. Lange lag seine CDU in den Umfragen vorne. Schon bevor die Korruptionsaffären zum allgemeinen Skandal wurden, hatte der Trend in Rheinland-Pfalz sich dann gedreht. Doch noch schien nicht alles verloren. Im Fernsehduell des SWR am Freitagabend hatte Baldauf sich respektabel gegen Dreyer geschlagen, der das größere Charisma zugeschrieben wird.
Auch deshalb ist die übers Wochenende an vielen Stellen kundgetane Empörung von Baldauf von echtem Zorn getragen. "Ich bin entsetzt über das, was passiert ist", sagte er zum Beispiel der Bild am Sonntag, "das ist höchst unanständig." Und wenn die beiden Abgeordneten ihr Mandat nicht niederlegten, dann sollte die Unionsfraktion sie ausschließen. Ob ihm das im Wahlkampf noch hilft?