Masern:Riskante Sorglosigkeit

Weil sich in Deutschland weniger Menschen impfen lassen als in anderen Industrienationen, steigen die Masern-Fälle - derzeit vor allem in Nordrhein-Westfalen. Fachleute sind besorgt: Sie sprechen von der "kleinen Pest".

Werner Bartens

Der Fachbegriff für Masern verrät, wie dramatisch die Krankheit verlaufen kann: Morbilli heißt so viel wie "kleine Pest". Die Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin sind deshalb schnell an Rhein und Ruhr gekommen, als sich dort Masern-Erkrankungen häuften. "Seit Anfang des Jahres haben wir schon 149 Fälle", sagt Josip Sosic von der Stadt Duisburg. In Nordrhein-Westfalen wurden bereits 378 Masern-Erkrankungen seit dem 1. Januar gemeldet, in ganz Deutschland sogar mehr als 500.

Masern

Eine Frau lässt sich gegen Masern impfen

(Foto: Foto: dpa)

Am Dienstag besuchten RKI-Mitarbeiter gemeinsam mit dem Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NRW (LÖGD) die Gesamtschule Süd in Duisburg. Dort sind mehr als 30 Jugendliche an Masern erkrankt. Die Wissenschaftler verteilten Fragebögen an die Schüler, wollten wissen, wer, wann, was mit wem gemacht hat. Auf diese Weise hoffen sie dem Virus auf die Spur zu kommen, das 2006 in Deutschland offenbar wieder so oft zuschlägt wie seit 2001 nicht mehr.

In Duisburg hatten sich die Fälle im Februar und März gehäuft. Aber auch Krefeld, Mönchengladbach, Dortmund und Oberhausen sind betroffen. Eine Erklärung gibt es noch nicht. "Das ist ein ganz normaler Stadtteil", sagt Sosic über Duisburgs Süden. "Bisher gibt es keine Hinweise auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Treffpunkte, von denen aus die Masern ihren Ausgang genommen haben." Auch für die Vermutung, die Masern hätten sich durch Einwanderer aus der Ukraine verbreitet, konnten die Duisburger Behörden keine Bestätigung finden.

"Allerdings wütet in der Ukraine derzeit eine Masern-Epidemie mit mehr als 20 000 Fällen", sagt Georg Vogt vom Duisburger Gesundheitsamt. "Erstaunlicherweise ist dort das gleiche Virus identifiziert worden wie bei uns."

Die meisten Erkrankten in Nordrhein-Westfalen sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. "In dieser Altersgruppe ist der Impfstatus gering", sagt Horst-Gerhard Baumeister, Experte für Infektiologie beim LÖGD. In den neunziger Jahren lag die Quote für die erste der beiden Masernimpfungen bei 70 Prozent, für die zweite bei 30 Prozent. "Das hat sich mittlerweile gebessert", sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut. "Die erste Impfung bekamen 2004 immerhin 93,3 Prozent der Erstklässler, die zweite Impfung 65,7 Prozent." Für das von der Weltgesundheitsorganisation proklamierte Ziel, die Masern bis 2010 zu minimieren, ist das aber noch zu wenig. Dazu müssten 95 Prozent geimpft sein. Skandinavische Länder und die USA weisen einen weitaus besseren Impfstatus ihrer Bürger auf.

Wie gefährlich Masern werden können, wird unterschätzt: Lebensbedrohliche Komplikationen treten bei 20 Prozent der Erkrankten auf - am häufigsten Lungenentzündungen. Einer von 1000 Masernfällen geht mit Hirnhautentzündung einher, die zu einem Viertel tödlich verläuft. Ganz selten bekommen Kinder Jahre nach den Masern SSPE, eine Hirnentzündung, die immer tödlich endet. Dabei wäre Vorbeugung so einfach: Eine Impfung im zweiten Lebensjahr und eine zweite Impfung wenige Monate danach bieten Schutz und bergen kaum Risiken. "Impflücken sollte man auch bei Jugendlichen schließen", rät Horst-Gerhard Baumeister. "Bis zum 18. Lebensjahr zahlt sie sogar die Krankenkasse."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: