Süddeutsche Zeitung

Masern-Impfpflicht:Zur Vernunft gezwungen

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Es ist richtig, dass jeder sich gegen Masern schützen muss. Wer das Impfen ablehnt, wird sich allerdings auch von dem Bußgeld, mit dem der Gesundheitsminister nun droht, kaum überzeugen lassen.

Kommentar von Werner Bartens

Es ist nicht leicht, Jens Spahn zuzustimmen. Zu sehr drängt sich bei den immer forschen Initiativen des CDU-Gesundheitsministers der Eindruck auf, es gehe ihm zuerst um sein Vorankommen - und in zweiter Linie um inhaltliche Argumente oder Überzeugungen. Spahn scheint im Schnelldurchlauf das Bonmot widerlegen zu wollen, wonach das Gesundheitsministerium als Straflager der Politik gilt, in dem jeder Parlamentarier irgendwann entnervt vor der mächtigen Medizinlobby kapituliert.

Doch Spahn sticht offenbar mit Lust und Verve in jedes gesundheitspolitische Wespennest. Gerade hat er eine Strafe von 2500 Euro für Eltern angekündigt, die ihr Kind nicht gegen Masern impfen lassen wollen. Es ist eine Ansage nach dem Motto: Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt. Allerdings ist mehr als fraglich, ob Spahn mit dieser weiteren Eskalationsstufe auf dem Weg zur Impfpflicht Erfolg im Land der Bedenkenträger und Trotzköpfe haben wird.

Zu drastischen Vorschlägen kann man allerdings schon kommen angesichts der Weigerung einer kleinen, renitenten Minderheit, Ego-Interessen und Vorurteile für den Schutz derer zurückzustellen, die sich nicht schützen können, weil sie zu klein oder wehrlos sind. Daher stellt sich die Frage, was tun, wenn Aufklärung an ihre Grenzen kommt, wenn Argumente und wissenschaftliche Belege nicht fruchten? Dann ist eine Impfpflicht zwar nicht optimal, aber die Ultima Ratio.

Eine Impfung gegen Masern ist aus individueller wie epidemiologischer Sicht sinnvoll, ihr Nutzen in vielen seriösen Studien belegt. Um den Faktor 100 bis 1000 sind Risiken der Impfung seltener als Komplikationen der "durchgemachten" Masern, wie zynische Impfgegner sie empfehlen. In jedem 500. Masernfall kommt es zur akuten, in jedem 1000. bis 3000. Fall Jahre später zu einer - immer tödlichen - Hirnentzündung. Diese eindeutige Nutzen-Schaden-Bilanz ist es, die jeden sachlich abwägenden Menschen für die Impfung einnehmen muss.

Ein Schutz für alle gegen Masern ist richtig, aber Bußgeld wird die Impfgegner kaum überzeugen

Impfgegner führen hingegen absurde Verschwörungstheorien und wissenschaftlich unseriöse Behauptungen an. Impfskeptiker berufen sich oft auf ihren emotionalen Standpunkt. Da ist etwa die Scheu, ein Kleinkind mit einer Spritze piksen zu lassen, in der eine Substanz enthalten ist, von der sie nicht wissen, wie sie wirkt. Zudem ist die Bedrohung unsichtbar, ist die Krankheit durch jahrelange Impfbemühungen doch weitgehend aus dem Alltag verschwunden.

Gerade deswegen ist es wichtig, immer wieder daran zu erinnern, wie gefährlich die Masern sind. Wenn diese gesunde Form der Aufklärung nichts bringt - mehr als 60 Prozent der Erwachsenen geben an, dass ihnen niemand gesagt hätte, dass auch sie ihren Impfstatus überprüfen sollten -, muss eine Impfpflicht eingeführt werden, wie es sie in Deutschland bis Ende der 1970er-Jahre für die Pocken gab und wie sie in vielen Ländern Europas bis heute für Masern und andere Infektionsleiden existiert.

Wer das ablehnt, muss sich erstens gefallen lassen, unter Ideologie-Verdacht zu geraten, und zweitens fragen, ob gefühliges Halbwissen ausreicht, um die fahrlässige Körperverletzung Wehrloser in Kauf zu nehmen. Insofern hat Jens Spahn recht, wenn er eine Impfpflicht fordert. Bußgeld unterstreicht die gute Absicht, wird sehr viele Impfgegner in ihrer Weigerung aber nur bekräftigen.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2019
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