Martin Schulz:Der Vermarkter

European Parliament President Martin Schulz displays the Nobel medal as he leaves Grand Hotel by car after the Nobel Peace Prize ceremony in Oslo

„Mein Platz ist in Brüssel“: Das hatte Martin Schulz – hier nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU – als Europa-Parlamentspräsident betont.

(Foto: Reuters)

Nach der Sommerpause beginnt in Straßburg das Gerangel um das Amt des nächsten EU-Parlamentspräsidenten. Eigentlich müsste das nach dem SPD-Mann Schulz ein Christdemokrat kriegen. Doch ob Schulz geht, ist fraglich.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Als der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel kürzlich für seinen Parteifreund, den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, in die Bresche sprang, war das für die Europaabgeordneten, um es vorsichtig zu sagen, interessant. Das Europäische Parlament habe in Schulz "den bestmöglichen Präsidenten", hatte Gabriel verkündet und das mit dem Wunsch verbunden, Schulz möge in Straßburg noch einmal verlängern. Im Januar läuft die Amtszeit des SPD-Politikers eigentlich aus. Danach erheben die Christdemokraten Anspruch auf das Amt. Hellhörig vernehmen die Abgeordneten solche Signale aus der deutschen Politik. Ob der SPD-Mann Schulz für eine dritte Amtszeit als Parlamentspräsident zur Verfügung steht, hängt schließlich nicht zuletzt davon ab, ob er nicht für Gabriel als Kanzlerkandidat einspringen muss.

Fest steht bislang nur, dass nach der Sommerpause im September die Schlacht um den nächsten Parlamentspräsidenten beginnt. Zur Debatte stehen dann das Selbstverständnis des Europäischen Parlaments, die Machtbalance in Brüssel und natürlich die bisherige Amtsführung von Schulz. Einen Vorgeschmack gab es vor ein paar Wochen, als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sich in einem Doppel-Interview mit Schulz im Spiegel für die Wiederwahl seines Freundes stark machte. "Ich bin dafür, dass die europäischen Institutionen in den nächsten zweieinhalb Jahren so weitergeführt werden wie bisher. Wir brauchen Stabilität", hatte Juncker gesagt - und damit in Teilen des Parlaments Empörung provoziert.

"Das Parlament entscheidet selbst, wen es zum Parlamentspräsidenten wählt", stellte der CDU-Europaabgeordnete und frühere niedersächsische Ministerpräsident David McAllister klar. Er wies damit Junckers Vorstoß zurück. Die Europäische Volkspartei (EVP), der Zusammenschluss der Christdemokraten, bilde die größte Fraktion. "Nach zwei Amtszeiten ist es an der Zeit, dass die größte Fraktion den Parlamentspräsidenten stellt. Ich gehe davon aus, dass die sozialdemokratischen Kollegen vertragstreu sind", so McAllister.

Damit spielte er an auf einen geheimnisumwitterten Vertrag zwischen Christ- und Sozialdemokraten, der von beiden Seiten unter Verschluss gehalten wird. Zu Beginn der Legislaturperiode soll darin vereinbart worden sein, dass Schulz für zweieinhalb Jahre noch einmal an die Spitze des Parlaments tritt und dann von einem Christdemokraten abgelöst wird. Allerdings wird von SPD-Seite angedeutet, die Voraussetzungen hätten sich geändert. Bei der Vereinbarung sei man noch davon ausgegangen, dass die dänische Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt EU-Ratspräsidentin werde - ein Amt, das dann aber an den bürgerlichen polnischen Politiker Donald Tusk ging und damit an die EVP. Sollte Tusk im Amt bleiben und Schulz einem EVP-Kandidaten weichen, wären zusammen mit Kommissionspräsident Juncker alle drei führenden EU-Institutionen in der Hand der EVP. EU-Diplomaten halten das zumindest für schwer vorstellbar.

Nach Ansicht vieler in Brüssel hat das "Schuncker"-Interview, wie das kameradschaftliche Gespräch von Juncker mit Schulz spöttisch genannt wird, die Sache nicht einfacher gemacht. EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU), eigentlich ein politischer Verbündeter Junckers, sah sich zur Klarstellung gezwungen, dass "das Europäische Parlament seinen Präsidenten und den Kommissionspräsidenten wählt und nicht umgekehrt". Es gebe eine "feste Vereinbarung mit den Sozialdemokraten".

Weber ist in keiner einfachen Lage. Wie Schulz und Juncker ist er Teil eines kleinen informellen Koalitionszirkels, der zum einen das Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten, zum anderen aber auch die Allianz der Institutionen Europaparlament und EU-Kommission zusammenhält. Der CSU-Mann weiß um den Unmut über Schulz in der EVP-Fraktion, er muss aber auch an die Brüsseler Balance denken. Gute Zusammenarbeit zwischen Kommission und Parlament sei wichtig, sagt McAllister, aber auf der anderen Seite gebe "es das Prinzip der Gewaltenteilung. Die Legislative kontrolliert die Exekutive".

McAllister äußert auch Kritik an dem, was mittlerweile viele im Europäischen Parlament als mediale Omnipräsenz von Schulz empfinden - wenngleich kaum jemand bestreitet, dass Schulz dem Parlament mehr Aufmerksamkeit verschafft hat. "Martin Schulz ist sehr darauf bedacht, die Institution Europäisches Parlament als auch sich selbst als Person medial zu vermarkten", so formuliert es McAllister. "Wir sind an den Punkt gekommen, dass er sich selbst mit dem Parlament gleichsetzt und für sich in Anspruch nimmt, die Position des Parlaments zu vertreten. Wir vermissen Rückkopplung", das bemängelt auch die Fraktionschefin der Linken, Gabi Zimmer.

Kommissionspräsident Juncker erntet Kritik für seinen Vorstoß, Schulz solle bleiben

Zustimmung und Ablehnung verlaufen in Brüssel und Straßburg allerdings weit weniger entlang parteipolitischer Grenzen als das in nationalen Parlamenten der Fall ist. Als "einen der besten" Präsidenten, die das Europäische Parlament je gehabt habe, lobt der langjährige CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt den Sozialdemokraten Schulz. Posselt war 2014 nach 20 Jahren nicht wiedergewählt worden, reist aber nach wie vor zu jeder Sitzungswoche nach Straßburg und ist ein Kenner des EU-Parlaments. Dessen wichtigste Aufgabe sei es, einen Gegenpol zum Rat, also den Nationalstaaten, zu bilden, betont er. Das Bündnis von Parlament und Kommission, wie es Juncker und Schulz verkörpern, hält Posselt in Zeiten der "Renationalisierung" für geradezu zwingend. Die "sehr politische" Aufgabe des Parlamentspräsidenten fülle Schulz gut aus. Allerdings warnt auch Posselt davor, Grenzen zu überschreiten. "Dass Herr Juncker vorschlägt, wer Parlamentspräsident sein soll, das war zu viel."

Die Suche nach einem eigenen Kandidaten hat in der EVP nun gerade erst begonnen. Gehandelt werden der Italiener Antonio Tajani, der Franzose Alain Lamassoure und die Irin Mairead McGuinness. Genügend Unterstützer hat bisher keiner.

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