Marseilles grüne Bürgermeisterin:Eine neue Ikone der Linken

Marseilles grüne Bürgermeisterin: Zum ersten Mal bekommt Frankreichs zweitgrößte Stadt eine Frau als Stadtoberhaupt: Marseilles frisch gewählte Bürgermeisterin Michèle Rubirola von der Grünen-Partei EELV.

Zum ersten Mal bekommt Frankreichs zweitgrößte Stadt eine Frau als Stadtoberhaupt: Marseilles frisch gewählte Bürgermeisterin Michèle Rubirola von der Grünen-Partei EELV.

(Foto: AFP)

Die größte Veränderung erlebt Frankreich derzeit nicht in Paris, sondern abseits der Hauptstadt am Mittelmeer: In Marseille wird die neu gewählte Bürgermeisterin Michèle Rubirola zum Politstar. Dabei war ihr Vorgehen anfangs umstritten.

Von Nadia Pantel, Paris

Es war das Wochenende der großen und der kleinen Veränderungen in Frankreich. Der am Freitag ins Amt berufene Premierminister Jean Castex absolvierte am Samstag seinen ersten Ortstermin und besuchte eine Halbleiterfabrik. Castex und vor allen Dingen Präsident Emmanuel Macron werden sich in den kommenden Monaten daran messen lassen müssen, inwieweit es ihnen gelingt, die Folgen der Wirtschaftskrise für die Bevölkerung abzufedern.

Zwar stehen durch den Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Édouard Philippe und die Ernennung Castex' die Zeichen äußerlich auf Veränderung, an diesem Montag soll zudem ein neues Kabinett vorgestellt werden. Doch ein großer Umbruch an der Spitze des Staates wäre in der instabilen Lage des Landes riskant.

Drohende Massenarbeitslosigkeit, wachsendes Misstrauen der Wähler (was sich zuletzt Ende Juni zeigte, als die Mehrheit der Franzosen bei der Kommunalwahl gar nicht erst zur Urne ging) - zwei Jahre vor Ende seines aktuellen Mandats wird die durch das Coronavirus ausgelöste Krise zu Macrons bislang größter Herausforderung.

Der neue Premier Castex wird nun aus Regierungskreisen in erster Linie für seine "Effizienz", ein Lieblingswort der Macronie, und seine Manager-Qualitäten gerühmt. Das klingt weniger nach Aufbruch, denn nach Stabilität. Gegen seinen Vorgänger Édouard Philippe und zwei Ex-Minister will die Justiz Untersuchungen einleiten. Ihnen werden Fehler bei der Bekämpfung der Coronakrise vorgeworfen.

Erste Frau in Marseilles Rathaus

Und so erlebte das Land die größte Veränderung, trotz vollzogener und kommender Personalwechsel an der Spitze des Staates, nicht in Paris, sondern in Marseille. Dort wurde die Grüne Michèle Rubirola am Samstag zur Bürgermeisterin gewählt.

Zum ersten Mal nach der 25-jährigen Amtszeit des Konservativen Jean-Claude Gaudin wird die Stadt nun wieder links regiert. Und zum ersten Mal sitzt im Rathaus Frankreichs zweitgrößter Stadt eine Frau. Rubirolas Sieg wuchs sich am Samstag zu einer Feier ihrer Anhänger im Zentrum der Stadt aus, am Alten Hafen.

Rubirola hatte die zweite Runde der Kommunalwahl am 28. Juni mit 38,8 Prozent der Stimmen vor ihrer Konkurrentin von den Republikanern, Martine Vassal (30,7 Prozent), gewonnen. Sie musste am Samstag allerdings noch die Abstimmung im Stadtrat für sich entscheiden. Nachdem das gelungen war, stieg Rubirola nicht nur in Marseille sondern in ganz Frankreich endgültig zur neuen Ikone der Linken auf.

Rubirolas Liste missfiel - nun gilt sie als Erfolgsrezept

Für Sozialisten-Chef Olivier Faure lebt durch Rubirola "die Hoffnung der Linken zum ersten Mal wieder auf". Der Europa-Abgeordnete Raphaël Glucksmann, der bei der Europawahl eher erfolglos versucht hatte, eine neue sozialdemokratische Bewegung zu gründen, jubelte am Samstag über "eine Bürgerbewegung, die das politische Spielfeld auf den Kopf stellt und ein korrumpiertes System niederringt".

Dabei hatte Rubirola mit harten Widerständen zu kämpfen gehabt, gerade auch von denen, die eigentlich zu ihren eigenen Reihen zählen. Weil die 63-jährige Ärztin sich weigerte, der nationalen Linie ihrer Partei EELV (Frankreichs Grüne) zu folgen und sich einer exklusiv-grünen Liste anzuschließen, wurde sie vergangenen Herbst von der Partei ausgeschlossen.

Erst im Mai, zwischen erster und zweiter Runde der Kommunalwahlen, wurde Rubirola wieder in die Partei aufgenommen. Auch bei den Linken der France Insoumise hatte Rubirola Anfangs wenig Sympathien, Parteichef Jean-Luc Mélenchon sicherte Rubirola erst im März seine Unterstützung zu.

Doch nun gilt als Erfolgsformel, was vielen anfangs missfiel: Auf Rubirolas Liste, die den Namen "Printemps Marseillais", Marseiller Frühling, trägt, sammeln sich Grüne, Mitglieder verschiedener linker Parteien, von France Insoumise über Sozialisten bis zu Kommunisten und Bürgerinnen und Bürger, deren gesellschaftliches und politisches Engagement sich bislang nicht innerhalb der gewählten Institutionen zeigte, sondern in Vereinen und Gewerkschaften.

Mit welchen Versprechen die Grünen Erfolg haben

In ihrer ersten Rede als Bürgermeisterin sagte Michèle Rubirola, sie wolle "die Risse schließen", welche Marseille in sehr reiche und sehr arme Viertel zerfallen ließen. Rubirola erklärte "den Nepotismus und den Klientelismus" für beendet und versprach "eine grünere Stadt, gerechter und demokratischer".

Der Erfolg der Grünen bei der jüngsten Kommunalwahl basierte auf genau diesem Dreifachversprechen: mehr Umweltschutz, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Bürgerbeteiligung. Die große Mehrheit der neuen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die nun unter anderem in Straßburg, Bordeaux, Lyon und Poitiers das Regieren übernehmen, sind wie Rubirola bislang in der größeren Öffentlichkeit kaum bekannt.

Ihre Wahlsiege wirken auf eine Art wie eine Fortsetzung des Aufstiegs Macrons. Auch 2017 wählten die Franzosen mit den Abgeordneten von Macrons La République en Marche viele Neulinge in die Nationalversammlung. Von diesem Versprechen eines Neuanfangs kann Macron nicht mehr profitieren.

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