Markus Meckel über Hans-Dietrich Genscher:Wie Genscher über Bande spielte

In seiner Funktion als DDR-Außenminister lernte der Sozialdemokrat Markus Meckel seinen Amtskollegen Hans-Dietrich Genscher kennen. Mit dem Bonner Vizekanzler verhandelte er den 2+4-Vertrag - und erlebte, wie die "Methode Genscher" funktionierte.

Markus Meckel engagierte sich früh in der Bürgerrechtsbewegung der DDR. In der Wendezeit schloss er sich Ost-SPD an, wurde in die einzige frei gewählte Volkskammer gewählt und 1990 zum Außenminister der DDR berufen. Meckel verhandelte für mit Genscher und den Außenministern der vier Siegermächte den 2+4-Vertrag.

Hans Dietrich Genscher und Markus Meckel, 2001

Hans Dietrich Genscher und Markus Meckel im Jahre 2001

(Foto: DPA)

"Ich habe Hans-Dietrich Genscher in den bewegten Wendemonaten 1990 kennengelernt. Im April jenes Jahres wurde ich Außenminister der DDR, meinem Kollegen aus dem Westen war ich aber noch nie persönlich begegnet. Aber er rief mich an und wollte mich kennenlernen, und bald saß ich bei ihm in seinem Haus - er als erfahrener Diplomat, ich als blutiger Neuling. Aber: Das ließ er mich keine Sekunde lang spüren.

Was mich sehr für ihn einnahm: Er war erfreulich zugewandt, konnte gut zuhören und begegnete uns allen, die wir an der friedlichen Revolution in der DDR beteiligt gewesen waren, mit Achtung und Respekt. Wie wir alle damals hatte er eigentlich nicht geglaubt, die Wiedervereinigung Deutschlands noch zu erleben. Aber es war spürbar, wie sehr ihm die deutsche Frage am Herzen lag. Er kommt ja selbst aus Halle, und er ist zur Zeit meiner Geburt in den Westen gegangen.

Wir hatten aus der Bürgerrechtsbewegung freilich eine intellektuelle, eine intensive Diskussionskultur mitgebracht, die auf ihn, mild gesagt, vielleicht nicht immer so professionell wirkte. Wenn wir eine Idee hatten, wurde sie gleich vorgetragen und debattiert.

Damals habe ich bei den 2+4-Verhandlungen 1990 spontan vorgeschlagen, dass das vereinte Deutschland sein Militär stark reduzieren solle - auf 300.000 Soldaten. Das ist immer noch mehr als die Bundeswehr heute - damals ging das viel zu weit.

Solche Alleingänge empfand Genscher als sehr störend, und er ließ mich das spüren: Ob ich Deutschland im westlichen Lager isolieren wolle, fragte er mich. Aber übel genommen hat er es nicht, er war im Umgang immer voll Höflichkeit und Respekt. Und ich habe in dieser Zeit sehr viel von ihm gelernt. Wie man das politische Geschäft betreibt und das vorantreibt, was man erreichen will.

Diskussionspunkt Ostgrenze

Noch vor der deutschen Einheit haben wir mit den Polen verhandelt. Wir Ostdeutschen hatten die klare Position: Die polnische Westgrenze, die Oder-Neiße-Linie, steht nicht mehr zur Debatte. Genscher sah das ja genauso, aber er konnte das nicht so offen sagen, weil Kanzler Helmut Kohl das nicht wollte - aus parteitaktischen Gründen, wegen der Rechten in der CDU/CSU und der Vertriebenenverbände.

Einmal hat sich der damalige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere dann missverständlich zur Grenze geäußert. Da kam Genscher eigens zu mir, zu einem Vier-Augen-Gespräch und sagte: 'Sag mal, was macht denn dein Ministerpräsident da eigentlich?'

Ich konnte ihn dann beruhigen. Aber so war Genscher. Er spielte über Bande, ohne illoyal dem Kanzler gegenüber zu sein. Er konnte nicht sagen, was er dachte: Die Grenzfrage ist für uns ein für allemal entschieden. Um so wichtiger war für ihn, dass wir bei dieser Position blieben."

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