Markensterben:Herzallerliebst

Frigeo-Brause, Atari-Computer, die "Financial Times" - nun wird auch Air Berlin Teil der Nostalgisierung verlorener Warenwelten.

Von Kurt Kister

Wenn man all das hört und liest, was nun zum Ende von Air Berlin gesagt und geschrieben wird, könnte man denken, halb Deutschland sei zweimal in der Woche mit dieser Luftfirma geflogen. Besonders geklagt wird darüber, dass man die in rotes Glanzpapier eingeschlagenen Schokoladenherzen beim Verlassen der Maschine nicht mehr bekommt.

Zwar war es gerade in der jüngeren Zeit so, dass Air Berlin weniger für Schokolade stand als vielmehr für Verspätungen, Flugausfälle und nahezu tschadische Verhältnisse beim Einchecken und am Gepäckband, vor allem in der namengebenden Stadt Berlin. Dennoch setzt bereits jetzt bei vielen der Prozess ein, den man oft erlebt, wenn eine Marke, die man kennt, verschwindet - oder man zumindest das Gefühl hat, sie verschwinde. Zum einen werden Andenken gesammelt: die letzte Bordkarte, ein T-Shirt oder eben die Schokoladenherzen, die natürlich schon im Netz gehandelt werden, wo irgendwelche Narren Preise von 99 Euro für drei Stück aufrufen. Zum anderen reden nicht wenige über Air Berlin so, als wäre die Firma ein wichtiger Teil ihres früher guten Lebens gewesen.

Diese Nostalgisierung der Warenwelt ist ein Kennzeichen unserer Zeit geworden. Fragt man fünf Menschen in seiner näheren Umgebung, welche Dinge sie mit der eigenen Jugend oder, je nach Alter, mit der schönen Zeit in der Mitte des Lebens verbinden, dann hat so gut wie jeder nicht nur eine Antwort. Für den einen ist es die Frigeo-Brause (gibt's noch, weiß man aber als 60-Jähriger nicht mehr), für die andere ist es der Atari-Computer , der längst verstorben ist, auch wenn der Name noch für andere Produkte existiert. Beliebt als Kristallisationspunkte der Sehnsucht nach dem vermeintlich besseren Ich von früher sind auch bestimmte Schallplatten, Spielzeug jeder Art oder sogar epochentypische Geräte ("unser Ölbadeofen von 1972").

Nun haben viele Firmen und mit ihnen Markennamen jenes Schicksal erlitten, das auch Air Berlin getroffen hat: Sie sind verschwunden. Diese besondere Form des Artensterbens erfasst Bankhäuser (die Deutsche Bank beerdigt gerade die seit 1789 existierende Privatbank Sal. Oppenheim), Automarken (Horch, Glas) oder auch Zeitungen (die Financial Times Deutschland lebt nur noch in der Erinnerung ihres in alle Winde verstreuten Personals). Und dennoch sind es gerade diese verschwundenen Namen, an die sich besonders nostalgische Gefühle knüpfen können. Zur Nostalgie gehört auch, dass schlechte Erinnerungen schnell verblassen, die guten aber präsent bleiben und das Bild bestimmen. Insofern mag es sein, dass Lufthansa-Monopol-geplagte Fluggäste sich in ein paar Jahren an Air Berlin als großartige Alternative zu erinnern glauben.

Quantitativ übrigens nimmt die Verklärung verschwundener Marken- und Warenwelten zu. In Deutschland nämlich kommen die Geburtsjahrgänge um die Mitte der Sechzigerjahre jetzt allmählich ins Früher-waren-wir-jünger-Alter. 1964 war der geburtenstärkste Jahrgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Zu ihm gehören viele Air-Berlin-Kunden. Die Zukunft der Schokoladenherzen ist also gesichert - zumindest erinnerungstechnisch gesehen.

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