Süddeutsche Zeitung

Marken und Spielwaren:Einmarsch der Filmfiguren

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Noch nie wurde in Deutschland so viel Spielzeug verkauft, das bekannte Automarken oder Zeichentrick-Welten nachahmt. Das verändert die Art des Spielens mehr als viele Eltern ahnen.

Von Uwe Ritzer

Natürlich ist es ein Tabubruch, auch wenn der Firmensprecher wortreich das Gegenteil behauptet. Playmobil hat neuerdings zwei Modelle der Automarke Porsche als originalgetreue Miniatur-Nachbauten im Sortiment. Bis dahin waren die Fahrzeuge im Reich der Plastikfigürchen immer neutral gehalten, ohne jede erkennbare Marke. Horst Brandstätter wollte es so, der Gründer und Patriarch der Playmobil-Herstellerfirma Geobra aus dem fränkischen Zirndorf. Doch Brandstätter ist 2015 gestorben, viele der Manager aus seiner Zeit sind nicht mehr im Unternehmen. Und die neue Führungsriege sieht im Lizenzgeschäft "ein interessantes Thema", wie ihr Sprecher es formuliert. Das heißt: Ein riesiges Geschäft.

Etwa drei Milliarden Euro geben die Bundesbürger in diesem Jahr für Spielwaren aus, das meiste davon in den Wochen vor Weihnachten. Noch nie wurden in Deutschland so viele Spielwaren verkauft, die den Kindern ein Design vorgeben. Durch Autos bestimmter Marken, vor allem aber in Gestalt von Figuren, Tieren und ganzen Lebenswelten aus erfolgreichen Filmen.

Disneys Eisprinzessin Elsa, Darth Vader, Yoda und die anderen aus "Star Wars" - die zu Puppen, Plüschfiguren, Bausätzen oder Brettspielen gewordenen Abgesandten globaler Unterhaltungs- und Filmkonzerne wie Disney, Warner Brothers oder Universal - erobern die Kinderzimmer. Experten sind sich einig, dass solche Lizenzprodukte im anstehenden Weihnachtsgeschäft sehr gut laufen werden. Das füllt die Kassen der Unterhaltungskonzerne, welche die Rechte an den Figuren an Hersteller verkaufen, die daraus Spielwaren ableiten. Für sie werden solche Lizenzprodukte immer wichtiger, denn sie liegen im Trend.

Werner Lenzner war viele Jahre lang Marktforscher mit dem Spezialgebiet Spielwaren, inzwischen verantwortet er das Lizenzgeschäft von Simba-Dickie, Deutschlands größtem Spielzeughersteller in Fürth, zu dem Marken wie etwa der Bobbycar-Hersteller Big, Noris-Brettspiele oder Simba gehören. "Wir machen etwa ein Fünftel unseres Umsatzes mit Lizenzprodukten", sagt Lenzner, deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren und mit stetig steigender Tendenz. Der Experte rechnet damit, dass Simba-Dickie ebenso wie die Spielwarenbranche insgesamt in Deutschland auf britische oder amerikanische Verhältnisse zusteuert. Das hieße, dass fast ein Drittel des Geschäftes mit Lizenzware gemacht wird.

Die Bausätze sind kompliziert - und können schon mal 2500 Teile umfassen

Ökonomisch betrachtet kann es der Branche niemand übel nehmen. Der 84 Jahre alte dänische Bauklötze-Hersteller Lego etwa verdankt seinen Wiederaufstieg aus einer tiefen Krise zur hochprofitablen und derzeit wohl erfolgreichsten Spielzeugfirma zu einem Großteil raffiniert ausgetüftelten Bausätzen der Star-Wars-Reihe sowie Miniatur-Autos und Nutzfahrzeugen bestimmter Marken zum Selberbauen. Wie jenem originalgetreu nachempfundenen Mercedes-Truck, der im Weihnachtsgeschäft 2015 für Furore sorgte, weil er mit mehr als 2500 Teilen der bis dahin größte Lego-Bausatz war. So etwas verbindet auch die Generationen. Väter - sicher auch technikbegeisterte Mütter - stecken die Bausätze ja gerne mit dem Sprössling gemeinsam zusammen. Allerdings geschieht dies naturgemäß nach einem bis ins kleinste Detail vorgegebenen Konstruktionsplan, der exakt eingehalten werden muss, soll das Ding jemals fahren. Das ist faszinierend und fordernd zugleich. Allerdings ist es ein ganz anderes Spielen, als wenn man aus einem Haufen Lego-Steinchen unterschiedlichster Formen, Farben und Größen ein Fantasiehaus zusammensteckt.

Was aber soll daran schlimm sein?

Sie habe sich über den radikalen Kurswechsel bei Playmobil "sehr gewundert", sagt Ingetraud Palm-Walter, und es klingt wie: Schon wieder ist da ein Damm gebrochen. Das sei "sehr schade", sagt Palm-Walter, die im Vorstand von Spielgut sitzt, einer Verbraucherorganisation, die Spielwaren auf ihren pädagogischen Wert und ihre Nachhaltigkeit hin testet sowie ein entsprechendes Qualitätssiegel vergibt. Denn gerade in der Playmobil-Welt sei doch "immer die Fantasie der Jungen und Mädchen gefordert gewesen". Die Fähigkeit, sich eine eigene Welt zu schaffen, die zunächst einmal nur sehr bedingt etwas zu tun hat mit den von Designern und Marketingstrategen entwickelten Konsumwelten der Erwachsenen. Es geht darum, kindliche Kreativität auszuleben und nicht nur die von Unterhaltungskonzernen über ihre Filme vorgegebenen Figuren, Rollen und Dekorationen zu übernehmen und nachzuahmen. "Den Kindern wird etwas aufgedrückt, und sie erhalten gar nicht mehr die Chance, sich ihre eigene Welt zu erschaffen", sagt Palm-Walter, die Erzieherin ist und Mutter von drei und Großmutter von zwei Kindern. Das sehen Wissenschaftler ähnlich (siehe Interview).

Spielwaren sind sehr oft schnelllebige Produkte. Die meisten sind kaum länger als ein paar Monate auf dem Markt; die Nachfrage nach ständig neuer Ware ist groß. Das macht es vor allem dem Handel schwer, die richtige Auswahl für das eigene Angebot zu treffen. Lizenzware hingegen garantiert Stabilität im Sortiment. Disneys Märchenfiguren, die Helden aus Fernsehserien bei Kinderkanal oder Nickelodeon, die Sternenkrieger - sie alle bringen oft jahrelang Umsatz. "Das Lizenzgeschäft ist insgesamt viel professioneller geworden", sagt Simba-Dickie-Mann Lenzner. Für die großen Hollywood-Studios seien die Nebengeschäfte mit aus ihren Filmen abgeleiteten Schulranzen, Bettbezügen oder eben auch Spielsachen inzwischen eine wichtige Einnahmequelle.

Bei der Ausbreitung im Kinderzimmer hilft ihnen vor allem die Digitalisierung. Sie, sagt Lenzner zu Recht, habe die Menschen generell offener dafür gemacht, Unterhaltung in den Alltag zu integrieren. Live-Streamings nach Bedarf, Spiele-Apps auf dem Smartphone - die globale Spaßindustrie hat viele Wege gefunden, die Erwachsenen und in der Folge auch die kleine Kundschaft anzulocken und zu ihren Produkten zu lenken. Immer häufiger werden die Figuren und Spielewelten so aus den Blockbustern digital ins Kinderzimmer befördert. Häufig will sie der Nachwuchs häufig auch greifbar haben, als Puppen, Bausatz oder als Brettspiel. Dieser Trend verändert also nicht nur das Spielen selbst, sondern auch, welche Produkte Kinder haben wollen. Es ist eine geschickte Strategie, um dem Nachwuchs die nette Fee oder das lustige Monster, mit dem man sich so gut identifizieren kann, auch zu verkaufen.

Um die Folgen für die Wahrnehmung von Kindern (aber auch von deren Eltern) darzustellen, verweist Ingetraud Palm-Walter auf Heidi. Das Buch der Schweizer Autorin Johanna Spyri über das Mädchen, das aus seiner geborgenen Welt beim Großvater, dem Alm-Öhi, in den Schweizer Bergen nach Frankfurt verschleppt wird und dann doch wieder in seine Heimat zurückkehrt, wurde 1881 zum ersten Mal veröffentlicht. Jahrzehntelang lasen Kinder nur das Buch, und ein jedes entwickelte in der Fantasie sein eigenes Bild von Heidi.

Dann aber kamen die Spielfilme und schließlich die Zeichentrickserie, die in unzähligen Ländern rauf und runter lief. "Seitdem sieht für die meisten Kinder die Heidi genau so aus, wie in dem Zeichentrickfilm", sagt Palm-Walter. "So wird einem die Vorstellung von Designern aufgedrückt, und die Kinder haben keine Chance mehr, sich ihre eigene Welt mit ihrer eigenen Figur zu schaffen." Für die Erzieherin und Spieletesterin wird der gedankenlose Griff zum Lizenzprodukt so zu einer Grundsatzfrage. "Die Eltern müssen sich die Frage stellen, ob sie einfach mitmachen wollen bei dem, was werbeträchtig vermarktet wird, oder ob sie diesem Konsumdenken nicht folgen."

Wobei Lizenzgeschäft nicht gleich Lizenzgeschäft ist, niemand kann den Trend per se verdammen. Werner Lenzner von Simba-Dickie etwa verweist auf "Sam", den Feuerwehrmann. Er ist eines der derzeit erfolgreichsten Lizenzprodukte des Unternehmens, ein Abkömmling aus einer uralten walisischen TV-Serie. Aber er steht für gute Werte. Sam ist der Held, der andere aus Not und Gefahr rettet. Und doch ist auch er ein Beleg dafür, wie rasant sich die Spielewelt verändert. Neben der Lizenzierung des Spielbetriebs ist da auch die allgegenwärtige Elektrifizierung und Digitalisierung. Der Umstand, dass scheinbar alles, was die Kleinen in die Finger kriegen, inzwischen vollgestopft ist mit Sensoren und nicht selten über Apps vom Smartphone oder Tablet gesteuert wird.

Aber es geht auch anders. Spielzeug-Trendforscher aus mehreren Ländern glauben schon, einem neuen Trend auf der Spur zu sein. "Body and Mind" nennt er sich und beschreibt solches Spielzeug, das bei den immer gestressteren Kleinen "Körper und Geist in Balance bringen" soll. Fragt sich nur, warum die so gestresst sind.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2016
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