Süddeutsche Zeitung

Italiens Premier im Interview:Monti fürchtet heftige Spekulationsangriffe auf Euro-Länder

Italien ist trotz seiner hoher Schulden ein Segen für Europa - und vor allem für Deutschland, sagt Mario Monti. Im Gespräch erklärt Italiens Premier, warum er mehr europäische Integration für nötig hält und bei einem Scheitern des EU-Gipfels nur noch wenige Tage bleiben, den Euro zu retten.

Andrea Bachstein

SZ: Sie haben gesagt, es bleiben zehn Tage, um den Euro zu retten. Wenn der Brüsseler Gipfel Ende nächster Woche keine Ergebnisse bringen sollte - was ist das Albtraumszenario?

Mario Monti: Es gäbe immer heftigere Spekulationsangriffe auf einzelne Länder - besonders auf die schwachen, weil sie noch nicht auf Linie der europäischen Parameter sind. Aber auch auf Länder, die nicht mehr schwach sind, aus der Vergangenheit jedoch hohe Schulden mitschleppen, so wie Italien. Ein großer Teil Europas müsste weiterhin sehr hohe Zinsen ertragen, die dann indirekt auch bei den Unternehmen durchschlagen.

Und die politischen Folgen?

Monti: Ein Paradox würde wachsen: Um heil aus der Krise zu kommen, ist immer mehr Integration nötig. Aber wenn der Europäische Rat nicht schnell die Probleme der Euro-Zone behebt, wird sich die öffentliche Meinung gegen diese größere Integration wenden. Dieses Risiko sehe ich sogar in unserem Parlament, das traditionell proeuropäisch war und es nicht mehr ist. Deshalb handelt es sich aus finanzieller, wirtschaftlicher und politischer Sicht um sehr, sehr wichtige Entscheidungen. Manchmal scheint Europa einem Lob der Langsamkeit zu huldigen. Dieses Prinzip sollte aufgegeben werden.

Weshalb laden Sie zu einem Vierer-Treffen in Rom mit Angela Merkel, François Hollande und Mariano Rajoy ein?

Monti: Es handelt sich um die vier größten Volkswirtschaften der Euro-Zone - Großbritannien gehört nicht zu ihr. Früher ging es immer nur um Deutschland und Frankreich. Die gibt es weiterhin, und das Einverständnis zwischen den beiden ist eine notwendige Bedingung für den Fortschritt der EU - aber immer weniger die ausreichende Bedingung. Beiden Ländern ist das mehr als allen anderen bewusst. Sie haben beispielsweise erlebt, wie schwierig es war, ihr Abkommen von Deauville umzusetzen.

Was ist Italiens Rolle dabei?

Monti: Italien hätte seit Langem Grund, von Frankreich und Deutschland als fast ebenso wichtiger Partner betrachtet zu werden. Ich sage, fast, weil aus historischen Gründen die Harmonie des französisch-deutschen Paars von vitalem Interesse für ganz Europa ist. In den vergangenen Jahren war Italien nicht so gefragt, auf den europäischen Prozess so einzuwirken wie die beiden anderen. Der jetzigen Regierung haben das Präsident Sarkozy und Angela Merkel von Anfang an ermöglicht. Und so wurde vor einiger Zeit ein Dreiertreffen in Rom vereinbart.

Fehlt noch Spanien.

Monti: Angesichts des Interesses der spanischen Regierung fanden wir es dann angebracht, ihrer Anfrage auf eine Teilnahme zu entsprechen. Es wollten auch andere europäische Regierungen teilnehmen. Aber wir fanden, das könnte Missverständnisse auslösen, die Zahl auszudehnen. Das hätte den Eindruck erwecken können, es sei praktisch ein Ersatz für das europäische Ratstreffen. Die informellen Konsultationskreise sehe ich als Weg, die Gemeinschaft zu stärken und nicht zu schwächen. Ich werde den Herren Juncker, Van Rompuy und Barroso von unseren Gesprächen berichten.

Im vergangenen Jahr wurde Ihr Vorgänger Silvio Berlusconi in Cannes praktisch an die Leine genommen.

Monti:Das war am 3. und 4. November, an zwei sehr kritischen Tagen für Griechenland und auch Italien. In den sechs Monaten seit dem Regierungswechsel hat sich die Lage sehr verbessert. Am Sonntag hat die Universität Toronto einen Compliance-Bericht über verschiedene Länder veröffentlicht. Großbritannien liegt auf dem ersten Platz, in der Euro-Zone Italien auf dem zweiten. Es ist noch viel zu tun, aber es ist ermutigend zu merken, dass Italiens Stimme gehört wird.

Was muss der europäische Gipfel als befriedigendes Ergebnis bringen?

Monti: Zwei Dinge sind unbedingt nötig. Da ist zum einen eine mittelfristige Perspektive der Stärkung der europäischen Integration, sodass die Bürger Europas wissen, wohin sie gehen. Die Märkte müssen davon überzeugt werden, dass der Wille wächst, den Euro unauflöslich und unwiderruflich zu machen. Das wird aber nicht reichen. Es braucht auch gemeinsame Maßnahmen, die im derzeitigen Rahmen der Verträge und Institutionen umsetzbar sind, damit die Euro-Zone wirksam mehr Finanzstabilität bekommt.

Was genau schwebt Ihnen vor?

Monti: Das soll geschehen durch eine größere Vereinheitlichung des Bankensystems, mit einer Erweiterung einer gemeinsamen Aufsicht. Das soll geschehen durch neue Mechanismen, die fähig sein müssen, die Länder zu unterstützen, die ernsthaft die Auflagen bei der Steuerdisziplin und den Strukturreformen angewendet haben - die Regeln der EU. Sie haben sie umgesetzt und sehen, dass sie dennoch nicht von den Märkten angemessen anerkannt werden. Manchmal braucht es viel Zeit, um die richtige Bewertung von den Märkten zu erhalten. Natürlich müssen die Märkte sehr im Blick behalten werden, auch wenn sie nicht das Maß aller Perfektion sind. Wir haben erlebt, wie sie nach Einführung des Euro acht oder neun Jahre geschlafen haben, und die Zinssätze haben es oft auch den Politikern erlaubt zu schlafen. Jetzt sind wir in einer Phase der Schlaflosigkeit und Verwirrung. Der vorherige Zustand hat richtige Entscheidungen behindert, weil er den Eindruck erweckte, es seien keine Maßnahmen nötig. Genauso nehmen heute die Wirren auf den Märkten allen Mut, gute Entscheidungen zu fällen.

Welches Signal sendet da die Unterstützung für die spanischen Banken, ohne dass der spanische Staat offiziell unter den Rettungsschirm muss?

Monti: Ich bin sehr für diese Maßnahme. Die Probleme der Bankensysteme einiger Länder sind untrennbar mit dem jeweiligen Staatsdefizit verbunden. Europa unterstützt nun diese Bankensysteme. Diese Unterstützung lief bislang über die Staaten - wir wollen also den Banken helfen, erschweren aber dabei die Lage des Staates. Denn oft halten die Banken viele Staatsanleihen, und so wird eine unerfreuliche Spirale in Gang gesetzt. Mit dem bisherigen Instrument wurde auf zwei Spatzen gleichzeitig geschossen, aber eigentlich soll nur einer getroffen werden. Deshalb ist es nötig, dass einer oben bleibt, um bei der Unterstützung des anderen zu helfen - und dass nicht beide abstürzen.

Sie wiederholen immer wieder, dass Italien anders als Spanien keine Hilfen braucht. Warum sind Sie so überzeugt?

Monti: Es gibt in Europa Länder und Völker, die mit gewissem Recht glauben, dass sie immer diejenigen sind, die für den Rest Europas zahlen. Italien ist unter den Ländern, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Brandmauern, also die Rettungsschirme, gut ausgestattet werden und fähig sind, im Notfall zu handeln. Das ist damals verwechselt worden. Man glaubte, Italien äußere lediglich den Wunsch, selbst an Geld zu kommen. Wir haben immer klargemacht, dass das nicht so ist. In Cannes ist mein Vorgänger Berlusconi unter Druck gesetzt worden, ein Hilfsprogramm in Anspruch zu nehmen. Mir wurde von wichtigen Leuten geraten, nicht zu viel zu riskieren und Italien unter Aufsicht zu stellen.

Wie sehen Sie Italiens Beitrag?

Monti: Schauen wir uns den Staaten-Rettungsfonds EFSF an: In Anteilen deckt Deutschland davon 29,1 Prozent, Frankreich 21,8, Italien 19,2 und Spanien 12,7 Prozent. Bisher hat Italien keine Darlehen erbeten, es hat aber viele gegeben. An jedem Tag, der vergeht, unterstützt Italien in Wahrheit andere Länder durch die hohen Zinssätze, die es auf dem Markt zahlt. Italien wird auch künftig keine Hilfen nötig haben. Und wenn es um Hilfe bitten müsste, dann hieße das, dass ein Fehler im System liegt.

Sie sprechen von einer Missachtung der volkswirtschaftlichen Rahmendaten.

Monti: Wir werden keine Hilfen beanspruchen, weil Italien dieses Jahr nach den Vorhersagen der EU-Kommission ein Haushaltsdefizit von zwei Prozent gegenüber dem Inlandsprodukt haben wird. In der EU liegt das Defizit insgesamt bei 3,6 Prozent, in der Euro-Zone bei 3,2 Prozent, in Holland bei 4,4, in Frankreich bei 4,5, in Deutschland bei nur 0,9 Prozent. 2013 wird Italien einen strukturellen Überschuss von 0,6 Prozent haben, und es wird das erste Land mit einem Einnahmenüberschuss sein. Wenn in der Euro-Zone ein Land, das zu Hause enorme Anstrengungen macht, immer noch so hohe Zinsen zahlen muss, ist etwas nicht in Ordnung. In einem System übrigens, von dem wir wollen, dass es aus Belohnung und Bestrafung besteht

Wenn Sie in zehn Minuten Herrn Müller auf der Straße in Deutschland die italienischen Anstrengungen erklären sollten, was würden Sie sagen?

Monti: Ich würde ihm sagen, lieber Herr Müller, entspannen Sie sich. Sie sind überzeugt, oder man macht Sie glauben, dass Sie einen exzessiven Lebensstandard der Italiener unterhalten. Sehen Sie: So ist es nicht. Italien hat keine Hilfe erhalten. Und bitte glauben Sie der Tatsache, dass die Deutschen Nutzen daraus ziehen. Deutschland finanziert sich auch deshalb mit so niedrigen Zinsen, weil ein Spekulationseffekt durch die hohen Zinsen bei den anderen eingetreten ist. Ich würde außerdem sagen: Lieber Herr Müller, lassen Sie sich überzeugen von dem, was die Kanzlerin Ihres Landes seit Längerem sagt - dass Deutschland, wie alle Länder, großen Nutzen aus der europäischen Einigung zieht.

. . . aber auch viel dafür gibt.

Monti: Es stimmt, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft etwas mehr in den EU-Haushalt einzahlt als andere. Aber die deutsche Wirtschaft funktioniert auch deshalb so gut, weil die Deutschen sehr gute Arbeiter und Sparer sind und gut regiert werden. Zu ihrem großen Erfolg gehört es, im Herzen eines großen gemeinsamen Marktes zu liegen. Deutschland ist seit zehn, zwölf Jahren im Zentrum einer stabilen Währungszone, während es zuvor Abwertungen gab, die Deutschland bestraft haben. Auch wir Italiener haben große Vorteile davon gehabt, dass wir mit euch Deutschen verbunden sind, denn wir haben etwas von der Stabilitätskultur importiert.

Wie ändern sich die Gewichte in Europa durch den neuen französischen Präsidenten Hollande? Halten Sie seinen Plan für ausreichend, 120 Milliarden Euro für Wachstum bereitzustellen?

Monti: Ich bin sehr ermutigt vom Auftritt Präsident Hollandes auf der europäischen Bühne. Der Druck, den er entfaltet, ist richtig. Europa muss sich mit wirksamer Wachstumspolitik wappnen. Ich bin ermutigt davon, dass er, im Vergleich zu seinen Positionen während des Wahlkampfs, ganz sicher nicht im Sinn hat, das System der Haushaltsdisziplin aufzugeben. Mich ermutigt auch, dass ich in ihm - und ich irre mich hoffentlich nicht - ein Frankreich sehe, das mehr als in der Vergangenheit bereit ist, bestimmte Erweiterungen der europäischen Integration zu akzeptieren. Falls es, was ich aber nicht glaube, Verständigungsprobleme zwischen Hollande und Kanzlerin Merkel geben sollte, kann die Haltung der italienischen Regierung hilfreich sein zur Harmonisierung dieser beiden Motoren.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2012/schu
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