Die Verliererin gibt sich angriffslustig, von Verzagtheit keine Spur. Sie werde diese Entscheidung mit allem bekämpfen, was sie habe, sagte Marine Le Pen am Dienstagvormittag bei einer Versammlung ihrer Partei, des Rassemblement National (RN), in der französischen Nationalversammlung. Mit diesem Urteil habe das „System“ die „Atombombe“ hervorgeholt. „Aber wir lassen nicht zu, dass den Franzosen die Präsidentschaftswahl gestohlen wird.“
Am Montag hatte ein Pariser Strafgericht Le Pen, die Führungsfigur der französischen Rechten und geplante Kandidatin für die Präsidentschaftswahl, wegen der Veruntreuung von EU-Geldern verurteilt – und ihr mit sofortiger Wirkung für fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen. „Wir werden bis zum Ende da sein, bis zum Sieg!“, rief Le Pen ihren Abgeordneten zu. Sie hält den Kampf noch nicht für verloren, das wurde klar.
Parteichef Jordan Bardella kritisiert eine „Tyrannei der Richter“
Am Tag nach dem Urteil ringt Frankreich damit, dass der Richterspruch die Ausgangslage für die Präsidentschaftswahl 2027 mit einem Schlag verändert hat: Die derzeit aussichtsreichste Kandidatin wird aller Voraussicht nach nicht antreten können. Schon am Montag und noch mehr am Dienstag machte der RN seine Strategie deutlich: Die Partei will das Urteil als politisch motiviert präsentieren. Es handele sich um eine „Tyrannei der Richter“, sagte RN-Parteichef Jordan Bardella am Dienstagmorgen. Marion Maréchal, Europaabgeordnete und Nichte von Marine Le Pen, gab zu Protokoll, es handele sich „ganz offensichtlich um Machtmissbrauch“.
Kritik kommt aber auch aus dem gemäßigten Lager. Selbst der liberale Premierminister François Bayrou sei „schockiert“ von dem Urteil, heißt es aus seinem Umfeld – und provozierte damit eine Retourkutsche: „Ich bin schockiert, dass der Premierminister schockiert ist“, schrieb der Generalsekretär der Sozialisten auf X. Offenbar sei es mit dem Respekt für die Gewaltenteilung nicht mehr weit her. Das sahen in einer Sitzung der Nationalversammlung am Dienstag auch andere so: „Ab wie viel Prozent in den Umfragen stehen Politiker über dem Recht?“, fragte etwa Gabriel Attal, Ex-Premier und Fraktionschef von Emmanuel Macrons Partei Renaissance. Bayrou stellte klar, der Regierung stehe es nicht zu, ein Gerichtsurteil zu kritisieren. Macron selbst hat sich bislang nicht öffentlich geäußert.
Das Urteil sei keine politische, sondern eine juristische Entscheidung, verteidigte der Generalstaatsanwalt am Kassationsgerichtshof, Rémy Heitz, im Fernsehsender RTL den Vorgang: Es sei von drei unabhängigen Richtern gesprochen worden, unter Anwendung eines Gesetzes, das die Volksvertretung selbst verabschiedet habe. „Die Entscheidung mag nicht jedem gefallen, aber die Demokratie hat funktioniert.“

Das Instanzgericht in Paris teilte am Dienstagabend mit, es werde die Berufungen „innerhalb einer Frist prüfen, die eine Entscheidung im Sommer 2026 ermöglichen soll“. Dann bliebe also noch ein Jahr Zeit bis zu den Präsidentschaftswahlen. Wegen der Anordnung des sofortigen Vollzugs verzögert die Berufung die Unwählbarkeitsentscheidung aber nicht.
Le Pens Partei hat zu Demonstrationen aufgerufen
Marine Le Pen und ihre Anwälte hatten bereits am Montag angekündigt, die Entscheidung auf juristischem Wege anfechten zu wollen. Auch eine Beschwerde beim Verfassungsgericht werde man prüfen. Die Frage der Geschwindigkeit bei so einem Berufungsprozess sei natürlich auch eine politische, sagte Le Pen. Was sie nicht sagte: Die nächste Instanz könnte die Entscheidung vom Montag auch bestätigen.
So bleibt Le Pen und ihren Anhängern zunächst vor allem der politische Kampf. Der RN hat zu Demos im ganzen Land aufgerufen. „Wir werden an diesem Wochenende auf die Straße gehen“, sagte RN-Chef Bardella am Dienstag im Radio Europe 1 und im Fernsehsender C-News. „Ich glaube, die Franzosen müssen heute empört sein, und ich sage ihnen: Seid empört!“. Einer Umfrage der Tageszeitung Le Figaro zufolge glauben sechs von zehn Franzosen, dass die Angelegenheit dem RN nicht schadet oder sogar nützt. Laut einer anderen Umfrage für RTL Frankreich hat Bardella zumindest keine schlechteren Chancen als Le Pen.
Das Urteil hat Le Pen Solidaritätsbekundungen von Rechtspopulisten aus aller Welt eingebracht. Nach dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem italienischen Politiker Matteo Salvini sprang in der Nacht zu Dienstag auch US-Präsident Donald Trump der Französin zur Seite: „Das klingt sehr nach unserem Land hier.“ Trump ist selbst ein verurteilter Straftäter – und hatte, genau wie Le Pen jetzt, die Ermittlungen gegen sich stets als politisches Manöver verunglimpft.