Die französische Politikerin Marine Le Pen kann aller Voraussicht nach nicht bei den nächsten französischen Präsidentschaftswahlen antreten. Ein Gericht in Paris sprach die Führungsfigur der französischen Rechten am Montagmittag wegen der Veruntreuung von EU-Geldern schuldig und entzog ihr für fünf Jahre das passive Wahlrecht. Le Pen wurde außerdem zu vier Jahren Haft verurteilt: die ersten zwei Jahre mit elektronischer Fußfessel unter Hausarrest, die anderen beiden Jahre auf Bewährung. Sie muss auch eine Geldstrafe in Höhe von 100 000 Euro zahlen. Das Urteil wurde für sofort vollstreckbar erklärt, sodass eine Berufung gegen den Richterspruch den Vollzug der am Montag verhängten Strafe nicht verzögert. Gemeinsam mit Le Pen wurden acht weitere Angeklagte, Europaabgeordnete und Mitglieder ihrer Partei, des Rassemblement National (RN), zu Haft- und Geldstrafen verurteilt.
In dem Prozess vor dem Pariser Strafgericht ging es um europäische Gelder in Höhe von mehreren Millionen Euro, vor allem solche, die das Europäische Parlament für die Arbeit der Parlamentsassistenten in Brüssel und Straßburg gezahlt hatte. Le Pen aber habe damit unter anderem die Löhne ihres Bodyguards, ihrer persönlichen Sekretärin und des Personals ihres nationalen Parteiapparats in den Büros bei Paris bezahlt, so das Gericht. Der Vorsitzenden Richterin zufolge hätten die Le Pens – Marine und ihr kürzlich verstorbener Vater Jean-Marie – über viele Jahre hinweg ein „System“ aufgebaut, mit dem sie Gelder des Europaparlaments veruntreut und auf ihre Partei umgeleitet hätten. Le Pens Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Sie hatte im Prozess argumentiert, dass die politische Arbeit ihrer Partei nicht geografisch teilbar sei. Zwölf Assistenten von RN-Abgeordneten wurden ebenfalls schuldig gesprochen.
Le Pen kritisiert Urteil als „politische Entscheidung“
Le Pen nannte das Urteil am Montagabend im Fernsehsender TF1 eine „politische Entscheidung“, mit dem sie ganz bewusst von der Wahl 2027 ferngehalten werden solle. Es sollte alle jene empören, die an Demokratie glaubten. „Um es klar zu sagen: Ich bin ausgeschlossen, aber in Wirklichkeit sind es Millionen von Franzosen, deren Stimmen ausgeschlossen wurden“, sagte die 56-Jährige. Sie beteuerte ihre Unschuld und sagte, sie werde sich nicht aus der Politik zurückziehen.
Für Le Pen und ihre Partei ist das Urteil ein schwerer Schlag – vor allem, weil sie nun sehr wahrscheinlich nicht wie angekündigt an der nächsten Präsidentschaftswahl wird teilnehmen können. Zwar teilte ihr Anwalt noch am Montag mit, das Urteil anzufechten zu wollen. Bis zu einer Entscheidung in der Berufungsinstanz gilt aber die jetzt verhängte Strafe, und damit auch die Anordnung ihrer Unwählbarkeit. Französische Beobachter halten es für ausgeschlossen, dass ein solcher Berufungsprozess schnell genug zu einem neuen Urteil kommen könnte – und es ist nicht gesagt, dass das Berufungsgericht anders entscheiden würde als das Tribunal de Paris an diesem Montag. Le Pen, die selbst Anwältin ist, sagte bei TF1, sie sehe nach ihrer Verurteilung keine Chance mehr auf eine Teilnahme an der Präsidentschaftswahl 2027.
Marine Le Pen hat bereits dreimal an französischen Präsidentschaftswahlen teilgenommen, bei der jüngsten Wahl 2022 erreichte sie im zweiten Wahlgang mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen. Für die nächste Wahl, die spätestens 2027 stattfindet, wurden ihr hohe Chancen ausgerechnet.
Entsprechend heftig fielen darum am Montag die Reaktionen aus. Jordan Bardella, politischer Ziehsohn Le Pens und Parteichef des RN, schrieb unmittelbar nach dem Urteil beim Kurznachrichtendienst X: „Nicht nur Marine Le Pen wurde heute zu Unrecht verurteilt: Die ganze französische Demokratie wurde heute hingerichtet.“ Nach der Unwählbarkeitsentscheidung gegen Le Pen gilt der erst 29-Jährige Bardella auch als wahrscheinlicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2027.
Besorgt zeigte sich die US-Regierung von Donald Trump. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums kritisierte den Ausschluss von Personen aus dem politischen Prozess: „Wir müssen als Westen mehr tun, als nur über demokratische Werte zu reden. Wir müssen sie leben.“ Russland kritisierte das Urteil ebenfalls. „Unsere Beobachtungen in den europäischen Hauptstädten zeigen, dass man keineswegs zurückhaltend ist, im politischen Prozess die Grenzen der Demokratie zu überschreiten“, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow in Moskau. Auf X äußerte sich auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, ein enger Weggefährte Le Pens: „Je suis Marine!“ (Ich bin Marine).
Der vorübergehende Verlust des passiven Wahlrechts ist in Frankreich eine gängige Strafe, wenn Politiker wegen Korruption oder Untreue verurteilt werden. Auch das deutsche Strafrecht sieht den Verlust der Wählbarkeit für bestimmte Fälle vor. In Frankreich wurde die entsprechende Klausel 2016 mit einem Gesetz eingeführt, das Anstand und Korrektheit im politischen Leben fördern sollte.
Im Fall Le Pen gilt die Maßnahme aber aufgrund ihrer großen Beliebtheit als umstritten. Auch moderate Politiker hatten Bedenken angemeldet, ein solches Urteil könne den Anschein erwecken, es ginge darum, Le Pen als Präsidentin zu verhindern. Der französischen Zeitung Le Figaro zufolge sagte etwa Laurent Wauquiez, Fraktionsvorsitzender der konservativen Republikaner, es sei in einer Demokratie „nicht gesund“, wenn gewählte Vertreter an der Teilnahme an Wahlen gehindert würden. „Ich finde, dass politische Debatten an den Wahlurnen ausgetragen werden sollten.“