Wegen eines angeblichen Verstoßes gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einheit ist der deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff, in das russische Außenministerium einbestellt worden. Anlass war die Eröffnung eines neuen Hauptquartiers der Deutschen Marine in Rostock, das in einigen Medien als neues Nato-Hauptquartier bezeichnet wurde.
„Der Botschafter wurde darauf hingewiesen, dass dieser Schritt der regierenden Kreise in Deutschland die schleichende Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und die Militarisierung des Landes fortsetzt“, teilte das russische Außenministerium in Moskau mit. Die Bundesregierung sei zur sofortigen Erklärung des Schrittes aufgefordert worden. Washington, Brüssel und Berlin müssten sich im Klaren sein, dass die Ausweitung der militärischen Infrastruktur der Nato auf das Gebiet der ehemaligen DDR „äußerst negative Folgen haben und nicht ohne eine entsprechende Antwort von russischer Seite auskommen wird“, so das Außenministerium weiter.
Lambsdorff habe den Vorwurf „in aller Klarheit“ zurückgewiesen
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte jedoch am Montag bei der Eröffnung klargestellt, dass es sich nicht um ein neues Nato-Hauptquartier, sondern ein nationales Hauptquartier handele, wo keine Nato-Truppen stationiert seien, sondern lediglich einige Soldaten aus weiteren Partnernationen. Die Eröffnung sei damit kein Verstoß gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Deutschland arbeite mit der Nato zusammen, und das sei selbstverständlich.
Das Auswärtige Amt bestätigte der Süddeutschen Zeitung die Einbestellung Lambsdorffs. In dem Gespräch habe der Botschafter „in aller Klarheit“ zurückgewiesen, dass der Zwei-plus-Vier-Vertrag durch die Bundesregierung verletzt worden sei. Die Umwandlung des deutschen maritimen Führungsstabs in Rostock in die „Commander Task Force Baltic“ stehe im Einklang mit dem Vertrag. Der Führungsstab in Rostock werde, wie auch in der Vergangenheit, sowohl aus deutschen Soldatinnen und Soldaten als auch aus ausländischen Austausch- und Verbindungsoffizieren bestehen. Er leiste „einen Beitrag zu den Nato Readiness Forces“.
Die Zuordnung von deutschen Streitkräfteverbänden unter die Strukturen der Nato sei gemäß dem Zwei-plus-Vier-Vertrag auch im Gebiet der damaligen DDR und Berlins ausdrücklich zulässig (Artikel 5 Absatz 3 Satz 1). Die Abstellung von Personal anderer Nato-Mitgliedstaaten im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, bei der ausländische Austausch- und Verbindungsoffiziere in eine deutsche Dienststelle integriert werden und unter der Führung der Bundeswehr stehen, sei nicht vom Zwei-plus-Vier-Vertrag erfasst „und somit möglich.“
Russlands Ostsee-Operationen machen Sorgen
Der im September 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und den USA abgeschlossene Vertrag besagt, dass in Ostdeutschland keine Nato-Truppen stationiert werden dürfen. In Artikel 5 Absatz 3 heißt es für die Zeit nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte: „Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“
Angesichts zunehmender russischer Operationen in der Ostsee ist die Bundeswehr seit Monaten bemüht, den Schutz zu verstärken, gerade auch was die Sicherung von kritischer Infrastruktur wie Unterseekabeln und Pipelines betrifft. Die Ostsee gilt als strategisch enorm wichtiger Korridor für den Handel und den Energietransport. Die Sicherheit des Ostseeraumes sei für Europa entscheidend, werde aber nahezu täglich durch Russland herausgefordert, sagte Minister Pistorius bei der Eröffnung. Die neue „Commander Task Force Baltic“ (CTF Baltic) ist auch nicht der Nato unterstellt, sie wird vom deutschen Konteradmiral Stephan Haisch geführt.
Soldaten aus elf weiteren Nationen beteiligt
Neben Deutschland sind laut Ministerium noch elf weitere Nationen personell an CTF Baltic beteiligt: Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen und Schweden. Soldatinnen und Soldaten aus diesen Ländern können 60 der 180 Dienstposten besetzen. Im Krisen- und Konfliktfall kann der Stab auf bis zu 240 Dienstposten vergrößert werden. Es geht hier also um überschaubare personelle Größen.
Deutschland soll das Kommando für vier Jahre übernehmen und sich dann mit Polen und Schweden abwechseln. Deutschland stellt im Nato-Bündnis die größte Marine in der Ostsee – Pistorius sieht das Engagement auch im Rahmen des Versprechens, dass Deutschland im Zuge der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) konstatierten Zeitenwende mehr Verantwortung übernehmen muss.
Eine Hauptaufgabe von CTF Baltic ist es, der Nato für die Ostsee-Region rund um die Uhr ein aktuelles Lagebild zu übermitteln und frühzeitig mögliche Bedrohungslagen zu erkennen. Bis heute nicht aufgeklärt ist der Anschlag auf die russisch-deutschen Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee, wo zuletzt Spuren in Richtung Ukraine wiesen. In sozialen Medien wird seit Tagen gestreut, Deutschland verstoße mit dem neuen Hauptquartier gegen das Völkerrecht. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht griff das auf. So betonte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, Pistorius pfeife auf das Völkerrecht und eröffne eine neue „Nato-Kommandozentrale“ in Rostock. Dabei verletze die Bundesregierung „mit der Stationierung ausländischer Nato-Truppen in der Hansestadt den Zwei-plus-Vier-Vertrag“.