Süddeutsche Zeitung

Marina Weisband über die Piratenpartei:"Wir müssen uns dringend entspannen"

Auf ihrem Bundesparteitag will die Piratenpartei ein einheitliches Programm erarbeiten und untermalt das Treffen mit Nebel, Musik und orangenen Fahnen. Marina Weisband, Politische Geschäftsführerin der Piraten, erläutert, warum ihre Partei so nervös ist, welche Anträge besonders umstritten sind und für wen die Piraten die größte Gefahr darstellen.

Hannah Beitzer und Marc Widmann, Offenbach

Der Parteitag der Piraten beginnt mit einem Knall: Musik wummert, eine Nebelmaschine hüllt die Bühne in grauen Dunst, Piraten schwenken im Takt orangene Fahnen. Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz hält eine Rede, die man getrost staatstragend nennen darf. Er ruft die Piraten zur Geschlossenheit auf - und steigt gleich mit den ganz großen Themen ein: Euro-Krise, Demokratie, Rechtsextremismus. "Ein Parlament, das Parlamentarier mit abweichender Meinung unterdrücken will, hat seinen Namen nicht verdient", ruft er. Kurz danach sitzt die Politische Geschäftsführerin Marina Weisband im Presseraum und steht sichtlich unter Strom.

sueddeutsche.de: Frau Weisband, Sie haben ja ganz schön aufgefahren: Nebel, Musik, Fahnenschwenker. Soll das die Bedeutung des Parteitags herausstellen?

Marina Weisband: Ich finde es gut, dass das Orgateam ein bisschen für Stimmung und Atmosphäre sorgt. Wir müssen uns dringend alle etwas entspannen. Wir sind sehr nervös. Es gibt ja einige strittige Anträge, da muss man am Anfang das Einheitsgefühl stärken.

sueddeutsche.de: Welche Anträge sind denn besonders umstritten?

Weisband: Das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel ist ein Extrem. Auf der anderen Seite gibt es einen Antrag, der so ähnlich auch schon einmal bei der FDP gestellt wurde.

sueddeutsche.de: Entscheidet sich heute, ob die Piraten doch eher links oder liberal sind?

Weisband: Alle Piraten sind von der Idee geeint, dass der Mensch frei sein soll. Es gibt allerdings unterschiedliche Meinungen, ob diese Freiheit eher durch ein wirtschaftsliberales oder ein linkes Programm zu erreichen ist. Ich kann da wirklich noch nicht sagen, wie die Mehrheit aussieht, ich kann höchstens sagen, wer bisher am lautesten schreit. Deswegen ist der Parteitag so wichtig.

sueddeutsche.de: Viele erwarten, dass heute in möglichst vielen Punkten klar wird, wofür die Piraten stehen. Wie wichtig ist das für die Partei?

Weisband: Mir ist es lieber, mit wenigen guten Anträgen ein fundiertes Parteiprogramm zu erstellen, als sich schnell zu allem möglichen zu positionieren, das wir hinterher nicht umsetzen können.

sueddeutsche.de: Ihre Top 42 der Anträge ist ja eine recht bunte Mischung - besteht da nicht doch die Gefahr, dass einfach alle möglichen Anträge willkürlich angenommen werden?

Weisband: Sicher, wir haben schon viele Spinner in der Partei. Aber die werden von der Masse korrigiert. Ich vertraue auf die Schwarmintelligenz, wenn sie in einem vernetzten Umfeld stattfindet. Es wäre gefährlicher, wenn wir einen Vorstand hätten, der alles vorgibt, und da säße ein Spinner drin.

sueddeutsche.de: Der beliebteste Antrag war ja eine Veränderung der Drogenpolitik ... Ist Kiffen für die Piraten wichtiger als Transparenz und Urheberrecht?

Weisband: Dass das der wichtigste Punkt ist, ist Quatsch. Wir hatten 60 Anträge zu Bildung, 60 Anträge zur Wirtschaftspolitik und nur zwei zur Drogenpolitik. Es kann natürlich sein, dass das Thema deswegen so weit hoch gewählt wurde, weil es schon seit zwei Jahren liegengeblieben ist und die Leute nicht wollen, dass es noch mal liegenbleibt. Vielleicht gibt es da aber auch einfach eine besonders klare Meinung.

sueddeutsche.de: Eine Frage, die viele gerade umtreibt: Für wen sind Sie die größere Gefahr - für die Grünen oder doch für die FDP?

Weisband: Wir sind eine Gefahr für alle Parteien, die nach klassischem Schema funktionieren. Vielleicht sind wir sogar für die SPD die größte Gefahr, weil sie die eingefahrensten Strukturen hat. Mein Eindruck ist: Die Grünen und die Union zum Beispiel fühlen sich von uns eher motiviert.

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