Margot Käßmann auf dem Kirchentag:Der Mensch als Mängelexemplar

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Auf dem Kirchentag in München zelebriert Margot Käßmann ihre Rückkehr. Die frühere evangelische Ratsvorsitzende ist bei der Basis populär wie nie.

Matthias Drobinski

Es ist, als wäre sie nie weg gewesen. Oder besser: Als wäre sie nach einer längeren Reise in den Kreis ihrer Lieben zurückgekehrt, und alle sagen: Es ist, als wärest du nie weg gewesen.

Der heimliche Star des Kirchentages: Margot Käßmann (Foto: Foto: dpa)

Margot Käßmann war weg. Sie ist am 24. Februar als Bischöfin von Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurückgetreten, weil sie mit 1,54 Promille Alkohol im Blut von der Polizei kontrolliert wurde, nachdem sie eine rote Ampel missachtet hatte. Seitdem hat sie geschwiegen, hat alle Interviewwünsche abgelehnt.

Nun kehrt Margot Käßmann zurück in den Kreis der Kirchentagsfamilie. Elfmal wird sie hier auftreten, als heimlicher Star des Treffens.

1993, in München, war sie das erste Mal als aufstrebende Generalsekretärin dabei. 17 Jahre später redet sie erstmals als gefallenes Idol auf dem diesmal ökumenischen Großtreffen; 6.000 Menschen füllen die Halle bis auf den letzten Papphocker. Sie hängen an ihren Lippen, sie könnte heute sagen, was sie wollte, die Kirchentagsbesucher würden euphorisiert aus der Halle schweben.

Im vergangenen Jahr in Bremen saß im Publikum ein Posaunenchor, der schrieb ihr nach dem Auftritt, dass man das nächste Mal gerne die Bischöfin musikalisch stützen würde; sie hat die Gruppe aus dem Schwäbischen tatsächlich auf die Bühne geholt. Die Halle atmet Rührung. Mehr Basis geht nicht.

Es ist noch die gleiche zierliche Frau mit der starken Stimme, die immer ein bisschen nach oben gucken muss, um das Rednerpult zu überlisten. Noch immer beginnt sie ein bisschen unsicher und zu schnell, bis dann die Lust am eigenen Wort kommt und sie fortträgt.

Margot Käßmann redet über Sintflut, den Bund Gottes mit Noah nach der Katastrophe, besiegelt im Zeichen des Regenbogens. Jeder, der an diesem Donnerstag eine Bibelarbeit macht, redet über diesen Text. Das ist auch gar nicht wichtig in der Halle C 1 an diesem Morgen - es ist der Subtext, der Doppelsinn, der die Sache spannend macht.

Gott, so redet Margot Käßmann also, macht die Welt, und diese Schöpfung ist gut. Nur der Mensch missbraucht seine Fähigkeit zur Erkenntnis und wird zum Egoisten, Gott zürnt diesem Menschen, der aus der Ordnung Chaos macht. Und schickt die Flut, "den Zorn Gottes sollen wir nicht kleinreden", sagt Käßmann.

Aber dann verraucht auch dieser Zorn, Gott ändert sich. Er lernt die "zweitbeste aller Welten" lieben. Die Welt der gebrochen Existenzen, in der alle Menschen "Mängelexemplare" sind, wie sie sagt. "Gott wendet sich dem Menschen zu, auch wenn der Mensch nicht so ist, wie Gott ihn sich erhofft hat, als er ihn schuf", ruft sie.

Und das Zeichen des Bundes, den Gott mit diesen fehlbaren Menschen schließt, ist der Regenbogen. Er steht für das Bunte, Kreative, Vielfältige im Leben, für die Zwischenbereiche des Lebens zwischen Wolken und Sonne. Ein Segenszeichen, wenn da der Tod eines Menschen ist, "der Verlust eines Arbeitsplatzes, eine verlorene Liebe, eine rote Ampel . . ." In der Halle rumort es

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Weil der Regenbogen das Zeichen der Vision und des Friedens ist, geht es auch über Afghanistan. "Ich lasse mich gern lächerlich machen, wenn Menschen mir sagen, ich sollte mich mit den Taliban ins Zelt setzen und bei Kerzenlicht beten", sagt sie - das diene vielleicht tatsächlich mehr dem Frieden "als das Bombardement von Tankzügen". Die Häme, die sie im Januar in der Afghanistan-Debatte erlebte, trifft Margot Käßmann immer noch.

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An diesem Morgen aber ist sie auf der sicheren Seite - hier gibt es tosenden Applaus, wenn sie so etwas sagt; auch, wenn sie ein bisschen gegen die Unfehlbarkeitsvorstellungen mancher Christen stichelt. Was die zurückgetretene Ratsvorsitzende sagt, ist ordentlich, es ist gut formuliert, ohne dass sie nun eine Jahrhundertrede hielte. Aber das ist es ja auch gar nicht, was die Leute hier berührt.

Es ist die Person, die das sagt. Es redet die Gefallene vom Mängelexemplar Mensch, es redet kein abgehobener Würdenträger. Es redet die Frau, die Krankheit und Scheidung hinter sich hat, von den Brüchen des Lebens. Margot Käßmann, die Zurückgetretene, ist populärer als Margot Käßmann, die Ratsvorsitzende der EKD.

Das ist auch am Mittwoch so, wenige Stunden vor der Eröffnung des Kirchentages. Das Lutherische Verlagshaus Hannover, sonst eine bescheidene Größe im Buchgeschäft, hat in die Münchner Hugendubel-Filiale geladen, nicht nur zur Freude der Kirchentagsmacher.

Margot Käßmann hat ein dünnes Büchlein übers Vaterunser geschrieben, "Das große Du" heißt es, und es bietet Weisheiten wie jene, dass, wer betet, sein Leben "in ein anderes Licht" rückt, dass Beten ein "Reden des Herzens mit Gott" ist. Verlagschef Christoph Vetter hat sich ein blaues Shirt übergezogen, auf dessen Rückseite "Das große Du" in Weiß geschrieben steht; er stellt ein paar freundliche Fragen.

Für den Verlag ist Margot Käßmann nicht nur Mensch, sondern auch Markenzeichen, mit dem Kürzel mK". Das Buch würde den Besuch von 30 hartnäckigen Bewunderern rechtfertigen, die eine Widmung wünschen, doch in der Buchhandlung drängeln schon eine Stunde vor Beginn Kamerateams und Fans derart um die besten Plätze, dass nur der Verweis auf die christliche Nächstenliebe die Lage beruhigt.

In Dreierreihen schieben sich die Leute jenseits der 50 vor, viele erzählen der dunkelhaarigen Frau da vorne ihre Lebensgeschichte, sie hört zu, nickt, sagt einen Satz, und glücklich gehen die Menschen weg. Andere wären nach 20 Minuten ausgesaugt und erschöpft, Margot Käßmann vermittelt denen, die kommen, auch noch nach einer Stunde das Gefühl, sie habe sich einzig ihretwegen in den Münchner Hugendubel gesetzt.

"Sie hat erlebt, was ich erlebt habe", sagt eine Frau, die sonst "nicht so nah bei der Kirche ist", aber Beten wichtig fürs Leben findet. Eine andere, weiße Haare hat sie, ist schlank und trägt eine randlose Brille, erzählt, wie sie einmal an Margot Käßmann schrieb - und zu ihrer Überraschung eine Antwort erhielt. "Sie ist meine Seelsorgerin", sagt sie. Und fügt hinzu: "Sie bleibt meine Bischöfin."

© SZ vom 14.5.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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