Rechts hinten am Eingang zum Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee behauptet ein großes Schild, dass die Anlage ganztägig bis 17.30 Uhr geöffnet sei. Das stimmt an diesem Donnerstag nur bedingt, denn der Vormittag ist für Margot Friedländer reserviert, die Überlebende des Holocaust, Ehrenbürgerin von Berlin, die am 9. Mai im Alter von 103 gestorben ist.
Schon ihre Großeltern wurden in Weißensee begraben, auf eigenen Wunsch sollte ihre eigene Beisetzung jetzt im engsten Familienkreis und mit geladenen Gästen stattfinden. Aus der Trauerhalle selbst konnte nur der RBB berichten. Doch was fast beschaulich klang, wirkte dann eher wie ein Staatsbegräbnis.

Friedländer musste erst 88 Jahre alt werden, um aus ihrem selbst gewählten Exil in New York nach Berlin zurückzukehren. Wie viele Menschen sie von da an in Deutschland mit ihrer versöhnlichen Ansprache erreicht hat, zeigte sich ein letztes Mal an diesem Donnerstag. Der Friedhof war weiträumig abgesperrt, 430 Polizeibeamte sicherten das Gelände, während die Gäste vorfuhren. Darunter zwei Bundespräsidenten, der amtierende Frank-Walter Steinmeier und sein Vorgänger Joachim Gauck, außerdem Bundeskanzler Friedrich Merz sowie Ex-Kanzler Olaf Scholz und Altkanzlerin Angela Merkel.
„Seid Menschen“, dieser Appell von Friedländer war zum Motto der Trauerfeier erhoben worden. Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, bezog sich gleich in der Eröffnungsrede darauf: „Liebe Frau Friedländer, Sie haben uns einen Auftrag hinterlassen: Er heißt schlicht und eindringlich: seid Menschen“, sagte Joffe. „Wir versprechen Ihnen, wir werden erinnern, wir werden sprechen und wir werden versuchen, Ihrem Wunsch gerecht zu werden, Menschen zu sein.“

In seiner Trauerrede ging der jüdische Kolumnist Leeor Engländer vor allem auf das Wirken Friedländers nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ein. Indem sie immer wieder vor Schülern und bei öffentlichen Anlässen von ihrem eigenen Schicksal berichtete, habe sie auch für die Millionen ermordeten Juden geredet, die nicht mehr sprechen können. „In nur zwei Jahrzehnten hast du ein ganzes Lebenswerk erschaffen“, sagte Engländer und würdigte Friedländer als „moralische Instanz für Millionen“.
Nachdem Margot Friedländer und ihr Ehemann Adolf nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach New York ausgewandert waren, hatte sich Adolf Friedländer zeitlebens geweigert, Deutschland wieder zu besuchen. Margot Friedländer selbst kam erst 2003, nach seinem Tod, erstmals in ihre Heimatstadt Berlin zurück. Auf ihrem Grab soll nun noch ein Gedenkstein für ihren Mann angebracht werden; beerdigt wurde er in New York.