Süddeutsche Zeitung

Südostasien:"Wir müssen uns vielleicht in Russland umsehen"

Ferdinand Marcos Jr., Präsident der Philippinen, rückt von der chinafreundlichen Politik seines Vorgängers ab und sucht erneut die Nähe der USA. Nur für Rohstoffe blickt er in eine andere Richtung - und das hat einen Grund.

Von David Pfeifer, Bangkok

Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr., seit drei Monaten Präsident der Philippinen, hat dem Wirtschaftskanal Bloomberg TV ein Interview gegeben. Das ist insofern bemerkenswert, als dass er so etwas nicht gerne tut. Im Wahlkampf hatte Marcos Jr. sich konsequent allen kritischen Befragungen entzogen. In diesem Gespräch merkt man, weshalb. Auch bei den leichteren Fragen, die die Interviewerin, Shery Ahn, ihm stellt, nuschelt er, verhaspelt sich und verwechselt Zinsen und Inflationsrate - auch wenn er sich schnell korrigiert. Er ist eher kein Mensch für die öffentliche Befragung. Spannend ist trotzdem, was er sagt.

Denn trotz internationaler Sanktionen sind die Philippinen derzeit im Gespräch mit Russland. Es geht darum, Treibstoff, Düngemittel und Gas zu guten Konditionen zu kaufen, "die nationalen Interessen gehen vor", sagt Marcos Jr. "Wir haben uns immer auf Dubai verlassen, aber nun müssen wir uns vielleicht in Russland umsehen." Auch mit China sei er im Gespräch, "auch wenn es noch große Widersprüche gibt, was den Anspruch auf bestimmte Hochseegebiete angeht". Damit geht Marcos Jr. auf das zunehmend aggressive Auftreten Pekings in der Region ein, beide Länder erheben Rechtsansprüche auf Teile des Südchinesischen Meeres, wobei es auch um Bohrungen nach Erdöl und Gas geht.

Die Philippinen haben mit 111 Millionen Einwohnern durch ihre geografische Lage auch politisch eine besondere Bedeutung, sie liegen nahe am ostasiatischen Festland und an Taiwan. "Wenn ein Krieg ausbricht, sind wir mittendrin", sagt der Präsident. Die Bindung an die USA bezeichnet er als "eine einzigartige Partnerschaft, die über 100 Jahre zurückreicht. Darauf wollen wir aufbauen".

Das kann man als Abkehr vom Kurs seines Vorgängers Rodrigo Duterte sehen, der sich den Moralpredigten der US-Amerikaner und Europäer auch dadurch entziehen wollte, dass er die Nähe zu Peking suchte. Marcos Jr. aber war vor zwei Wochen zu seinem Antrittsbesuch bei US-Präsident Joe Biden. "Wir haben ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen - doch die die Situation ist anders als vor 70 Jahren." Die Philippinen waren einst eine Kolonie der USA, Englisch ist Amtssprache.

Schlüsselrolle der philippinischen Außenpolitik

Dutertes Aversion gegen westliche Partner war nicht nur persönlich motiviert, etwa um Kritik an seinem "War on Drugs" zu kontern, dem umstrittenen Anti-Drogen-Krieg. Wie viele Länder in der Region wollte Duterte die marode Infrastruktur seines Landes durch chinesische Investitionen modernisieren. Was Abhängigkeiten schafft, wie man derzeit in Sri Lanka beobachten kann. Doch seit Peking sein bedrohliches Verhalten in den von den Philippinen beanspruchten Gewässern noch verstärkt, gilt Dutertes "Schwenk nach China" als gescheitert.

Bereits im Juli wies Marcos Jr. sein Verkehrsministerium an, mehrere chinesische Kredite für große Eisenbahnprojekte in Höhe von insgesamt 4,9 Milliarden Dollar neu auszuhandeln. Projekte, die unter der Vorgängerregierung im Rahmen der chinesischen "Belt and Road Initiative" vereinbart wurden, blieben laut Marcos Jr. weit hinter den Erwartungen zurück.

Im August 2022 erklärte US-Außenminister Antony Blinken bei einem Besuch in Manila, dass jeder bewaffnete Angriff auf philippinische Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge die gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen der USA im Rahmen des bilateralen Verteidigungsabkommens auslösen würde. Da den Philippinen eine Schlüsselposition in der Rivalität zwischen den USA und China zukommt, wird jede Nuance der philippinischen Außenpolitik im gesamten südostasiatischen Raum genau beobachtet.

Während Duterte sich damit brüstete, in seiner gesamten Amtszeit kein einziges westliches Land besucht zu haben, hatte Marcos Jr. schon während seines Wahlkampfs den Nutzen enger Beziehungen zu den USA herausgestrichen. Auch zum eigenen Nutzen. Mit seiner Wahl zum Präsidenten wurde Marcos Jr. diplomatische Immunität in den USA gewährt. Da er und seine Mutter Imelda 1995 von einem US-Zivilgericht zu hohen Geldstrafen verurteilt worden sind, nachdem sie sich geweigert hatten, den Opfern von Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur seines Vaters die gerichtlich angeordneten Entschädigungen zu zahlen, konnte er nicht mehr in die USA reisen.

Fragen nach den Verbrechen seiner Familie wich der Präsident wieder weiträumig aus. "Diese Fragen wurden von unseren politischen Gegnern aufgebracht", sagte Marcos Jr. und bezog sich auf die Wahl, die er deutlich gewonnen hat, auch wenn viele Beobachter fürchten, dass seine Kampagne mit Geldern finanziert wurde, um die der Marcos-Clan das Land betrogen hat. Nicht nur mit Interviews, sondern auch mit Fragen nach der Vergangenheit hat Präsident Marcos Jr. weiter seine Probleme. "Ich habe nun einen Auftrag, in welche Richtung ich die Philippinen führen soll. Und das ist wirtschaftlicher Fortschritt."

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