Manfred Weber hat in der vergangenen Woche in Brüssel ein sehr hartes Spiel gespielt. Salopp könnte man sagen, er hat der Konkurrenz in der Europäischen Union mal so richtig gezeigt, wo der Hammer hängt. So hatte man den als konziliant bekannten Bayern bislang kaum erlebt.
Als Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) gelang es dem CSU-Politiker nicht nur, alle 14 designierten Kommissarinnen und Kommissare, die seiner christdemokratisch-konservativen Parteienfamilie angehören, heil durch die Anhörungen im Europaparlament zu lotsen. Er setzte mit rabiaten Methoden sogar durch, dass ein Gefolgsmann der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni zu einem Stellvertreter von Präsidentin Ursula von der Leyen ernannt werden soll.
Manche sehen in Weber jetzt den Rächer
Raffaele Fitto, ein Politiker, der einer postfaschistischen Partei angehört, auf einem herausgehobenen Posten in der Kommission – damit steuert der CSU-Politiker Manfred Weber die EU auf Neuland. Auf der linken Seite des Parlaments macht sich Weber damit maximal unbeliebt, zumal er in den Wochen zuvor mit seiner EVP mehrmals rechte Mehrheiten im Parlament wenn nicht angestrebt, so doch in Kauf genommen hatte.
In der Brüsseler EU-Blase wird nun spekuliert: Was treibt Weber um? Eine Theorie lautet: Rache. Weber, so heißt es, begleiche Rechnungen mit den Sozialdemokraten, die ihm vor fünf Jahren nicht geholfen haben, Kommissionspräsident zu werden, obwohl er als EVP-Spitzenkandidat die Europawahlen gewonnen hatte. Der nette Herr Weber, ein Rächer?
Bei der Frage lacht Manfred Weber am Telefon. Das Thema sei längst abgeschlossen, sagt er von Malta aus, wo er an einem EVP-Kongress teilnimmt. Weber findet vielmehr, er sei völlig zu Unrecht zum Ziel von Attacken der Sozialdemokraten und Grünen geworden. „Es war von Anfang an ein Irrtum, Raffaele Fitto zum Symbol für die Abgrenzung zum Rechtsradikalismus zu machen. Und wenn die anderen strategische Fehler machen, sollen sie sich bitte nicht bei mir beschweren.“
Die einen will er ächten, die anderen einbinden
Weber nimmt für sich in Anspruch, ein strategisch handelnder Politiker zu sein. Zu seinen großen Themen als Partei- und Fraktionschef zählt der Versuch, das rechte Lager in der europäischen Politik zu spalten. Er will verhindern, dass rechts von der EVP eine ernsthafte konservative Kraft erwächst. Die extremen, gefährlichen rechten Fälle sollen, so seine Theorie, geächtet werden, die anderen so weit wie möglich eingebunden. Als Kriterien dafür hat er erfunden: pro EU, pro Ukraine, pro Rechtsstaat. Die drei Begriffe, anfangs belächelt, haben mittlerweile Eingang in den EU-Sprech gefunden.
Mit diesem Ausgreifen nach rechts begibt sich Stratege Weber allerdings auf höchst gefährliches Terrain, und die Gefahr, dass er dort stolpert, wird ihn weiter begleiten – auch wenn er nun im Umgang mit den Fratelli d’Italia Fortüne hatte.
Weber selbst und Leute aus seinem Team machten sich anlässlich der Parlamentswahlen 2022 in Italien mit großem Aufwand schlau über die Fratelli d’Italia – deren Geschichte, deren Programmatik, deren Personal. Am Ende kam Weber zu dem Schluss, es bestehe zumindest die Hoffnung, dass Giorgia Meloni eine konstruktive Politik in der EU betreiben werde. Also nahm er Kontakt zu ihr auf. Man dürfe „Rechtskonservative nicht als Rechtsextreme abstempeln und in eine Schublade mit AfD und Co. stecken“, findet Weber.
Beinharte Machtpolitik, um Meloni als strategische Partnerin zu sichern
Er sei nach den ersten Kontakten „ganz allein im Sturm“ gestanden, erinnert sich Weber. Es kritisierten ihn die Parteichefs Friedrich Merz (CDU) und Markus Söder (CSU), und in Brüssel hatten viele den Eindruck, Weber habe sich verrannt. Doch es kam anders. Meloni erwies sich als konstruktive Kraft in der EU. Und Raffaele Fitto, der Mann, den Meloni in die Kommission entsandte, genießt in Italien über Parteigrenzen hinweg Respekt. Je näher in Brüssel die Entscheidung rückte, desto mehr Größen der italienischen Politik ergriffen für ihn Partei, sogar Sozialdemokraten.
Niemand weiß, ob die Brüsseler Sozialdemokraten nicht doch ihre Blockade gegen Fitto durchgehalten hätten – wenn nicht Manfred Weber gedroht hätte, im Gegenzug die Sozialistin Teresa Ribera als Kandidatin für die Kommission zu blockieren. Beinharte Machtpolitik mit dem Ziel, Giorgia Meloni als strategische Partnerin der EVP zu sichern. Iratxe García, die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, gab klein bei, um den Job ihrer Landsfrau zu retten.
Manfred Weber ist, wenn man so will, auf dem Höhepunkt seiner Macht in Brüssel angelangt. Er hat die Europawahlen gewonnen und Ursula von der Leyen zur Wiederwahl verholfen. Dank nationaler Wahlerfolge stellen Parteien, die seiner EVP angehören, 14 der 27 Kommissarinnen und Kommissare. Im Rat der Mitgliedsländer wird die EVP noch mächtiger, sollte Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt werden.
Kränkungen erschweren die Zusammenarbeit
Manfred Weber will die Politik der EVP über alle Institutionen der EU hinweg verzahnen, mit dem EVP-Wahlprogramm als Basis. Aber die Wucht der Machtmaschine EVP belastet die Zusammenarbeit im Parlament, zumal nach dieser turbulenten Woche.
Weber selbst wirkte an manchen Tagen hochgradig erregt, gekränkt von politischen Gegnern, die ihn in die Nähe des Faschismus rückten. Er sehe und bedaure natürlich die „Verwundungen“ bei den anderen, sagt Weber. „Es war keine leichte Woche für die Sozialdemokraten, wir müssen jetzt wieder aufeinander zugehen.“ Aber alle müssten sich damit abfinden, dass es „keine linksliberale Dominanz“ mehr im Parlament gebe. „Die Grünen sind fünfstärkste Fraktion, das ist der Wählerwille in Europa. Ich kann ihnen nicht ersparen, dass die EVP jetzt deutlich mehr Gewicht hat und die Linie vorgibt.“
EVP, Sozialdemokraten und Liberale wollen weiterhin die Politik der Kommission tragen, in einem gemeinsamen Papier erneuerten sie diese Woche ihre Allianz. Weil ihre Mehrheit aber kaum tragfähig ist, werden sie Hilfe brauchen. Weber mag als Christdemokrat mit umweltpolitischen Wurzeln prinzipiell den Grünen zuneigen. Aber die politische Lage spricht eher dafür, dass die EVP häufig an der Seite der Fratelli marschieren wird. Und immer wieder wird sich damit die Frage nach der Brandmauer gegen rechts stellen.
Als Weber und seine Leute in die Falle tappten
Es gibt in Europa unterschiedliche Kulturen im Umgang mit Rechten und Rechtsextremen. In Ländern wie Österreich, den Niederlanden, Finnland oder Schweden sind oder waren extreme Rechte Teil von Regierungskoalitionen. Viele Abgeordnete in Webers Fraktion plädieren dafür, bei Abstimmungen nur noch konsequent der eigenen Programmatik zu folgen, unabhängig davon, wer sonst noch dafür oder dagegen ist. Zuletzt stimmte die EVP sogar einem Antrag der AfD zu, er enthielt reine EVP-Programmatik zur Migrationspolitik. Weber und seine Leute tappten in die Falle, es hagelte Kritik.
Grundsätzlich findet Weber, das Europaparlament müsse solche taktischen Spiele beenden, wolle es die AfD und andere Ultrarechte stoppen. „Wir müssen den Leuten zeigen: Wir hören zu, wir kümmern uns, wir lösen Probleme. Wenn wir die Sorgen der Bauern und Arbeiter nicht ernst nehmen, dann ist das der Nährboden für die AfD.“
Weber berichtet von einem Ortstermin bei bayerischen Bauern. Die EU-Entwaldungsverordnung ist bei denen ein großes Thema und ein Grund, warum die Umfrage eines landwirtschaftlichen Fachblatts ergab: Ein Drittel der Bauern wolle für die AfD stimmen. Deshalb brachte die EVP vergangene Woche einen Änderungsantrag im Parlament auf den Weg, er fand dank der rechten und ganz rechten Stimmen eine Mehrheit. Weber fragt: „Ich stehe vor den Bauern und soll ihnen sagen, dass wir bei der Entwaldungsverordnung keine Anträge zur Entbürokratisierung stellen, weil die AfD eventuell auch dafür sein könnte?“
Diese Woche hatte Weber Chefs der deutschen Automobilindustrie zu Gast in Brüssel, die Stimmung war verheerend. Es komme ein Tsunami auf Deutschland und Europa zu, sagt Weber. „Wenn wir sagen, dass die bisher angedachten Strafzahlungen für die Konzerne und das Verbrenner-Aus wegen der Klimapolitik sakrosankt sind, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht!“
Manfred Weber hat eine turbulente Woche hinter sich. Und er hat noch sehr viel mehr turbulente Wochen vor sich.