Süddeutsche Zeitung

EU:"Ohne Bedingungen schaffen wir nur Schulden, aber keine Zukunft"

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Manfred Weber, mächtiger konservativer Fraktionschef im EU-Parlament, spricht über die Gefahren des Corona-Hilfspakets, sinnlose Etatkürzungen und die Folgen der Pandemie für die Klimapolitik.

Interview von Björn Finke, Brüssel

Fast wäre er Chef der EU-Kommission geworden. Das hat nicht geklappt, doch eine entscheidende Rolle spielt der stellvertretende CSU-Chef Manfred Weber trotzdem im Brüsseler Politikbetrieb - so auch jetzt beim Corona-Hilfspaket. Der Niederbayer ist Vorsitzender der EVP-Fraktion, der Gruppe der europäischen Christdemokraten im EU-Parlament. Es ist die größte Fraktion.

Voriges Jahr war der heute 47-Jährige Spitzenkandidat bei der Europawahl. Aber den Posten des Kommissionspräsidenten erhielt nicht er, sondern Ursula von der Leyen. Sie stellte vor zwei Wochen Entwürfe für den neuen EU-Haushalt und für einen Corona-Hilfstopf vor. Beidem muss das Europaparlament am Ende zustimmen. Weber erwartet harte Debatten.

SZ: Herr Weber, die EU-Kommission will im großen Stil Schulden machen und damit einen Corona-Hilfstopf füllen. Manche EU-Regierungen sagen, die vorgeschlagene Summe sei zu klein, andere finden sie zu üppig. Was meinen Sie?

Weber: Niemand weiß, ob es eine zweite Infektionswelle in Europa geben wird, niemand weiß, wie hart der Wirtschaftseinbruch am Ende sein wird, niemand kann genau sagen, wieviel Geld die Regierungen wirklich brauchen. Aber Nichtstun ist keine Option. Deshalb ist der Vorschlag der Kommission für einen Hilfstopf mit 500 Milliarden Euro Zuschüssen und 250 Milliarden Euro Darlehen ein vernünftiger und wirkungsvoller Ansatz. Es geht hier auch um Europas Stellung in der Welt: In China springt die Wirtschaft schon wieder an. Ich möchte nicht in zwei oder drei Jahren feststellen, dass Chinas Firmen die großen Gewinner und Europas Firmen die Verlierer der Krise gewesen sind. Die Macht auf unserem Planeten wird gerade neu verteilt. Zudem ist das Paket ein wichtiges Signal: Europa ist zurück, Solidarität ist zurück. Beim Ausbruch der Pandemie gab es zunächst nicht genügend gelebte Solidarität zwischen den Staaten.

Kommende Woche debattieren erstmals die Staats- und Regierungschefs über das Paket. Neben dem Volumen ist auch umstritten, wieviel Geld die Kommission als nicht rückzahlbaren Zuschuss und wieviel als Kredit an Mitgliedstaaten überweisen soll. Was ist die beste Aufteilung?

Viel wichtiger als die Debatte über den Anteil von Zuschüssen und Krediten ist doch die Frage: für was? Das Geld darf nicht für die Fehler der Vergangenheit verschwendet werden, sondern muss in die Zukunft aller Europäerinnen und Europäer investiert werden - für gemeinsame Projekte und nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern. Solidarität müssen wir auch generationsübergreifend denken. Wir brauchen daher einen seriösen Plan für die Rückzahlung der Schulden, und zwar heute und nicht am Sankt-Nimmerleinstag. Als Christdemokrat mag ich Schuldenmachen nicht, aber wir haben derzeit keine Alternative. Wir bestehen jedoch darauf, mit der Rückzahlung bereits im kommenden Sieben-Jahres-Haushalt zu beginnen, 2026 oder 2027, und nicht die Schulden auf die kommenden Generationen zu buchen. Das wäre unfair. Und seien wir ehrlich: Eine wirkliche Rückzahlung wird es nur geben, wenn die EU neue eigene Einnahmequellen bekommt.

Von der Leyen schlägt zum Beispiel eine neue Steuer für Konzerne vor, die vom Binnenmarkt profitieren. Doch über solche neuen Einnahmequellen für die EU wird seit Jahren diskutiert - ohne Erfolg. Wieso sollte sich das ändern?

Ich sehe ein großes Momentum bei den Regierungen für den Hilfstopf. Aber die Regierungen dürfen das Momentum nicht nur dafür nutzen, sich allein beim Geldausgeben zu einigen - das ist für Politiker immer einfacher -, sondern auch für eine Einigung darauf, wie die heute notwendigen Schulden rasch zurückgezahlt werden. Dabei müssen Schuldenmachen und eine vernünftige Wirtschaftspolitik Hand in Hand gehen. Denn nur mit einer florierenden Wirtschaft werden wir unsere Schulden selbst zurückzahlen können. Nur mit Wachstum und Jobs werden wir den Europäerinnen und Europäern heute eine gute Zukunft bereiten und gleichzeitig eine gute Zukunft für künftige Generationen sicherstellen. Deshalb sind strikte Bedingungen für die Verwendung der Gelder und ein seriöser Rückzahlplan so wichtig. Ohne Bedingungen schaffen wir nur Schulden, aber keine Zukunft.

Der Kommissionsentwurf sieht ja Bedingungen vor. Nur sinnvolle staatliche Investitionen und Reformen sollen gefördert werden. Doch die italienische Regierung, die stark vom Hilfstopf profitieren wird, will möglichst laxe Auflagen durchsetzen...

Bei der Frage, für was das Geld ausgegeben werden darf, steht uns noch ein harter Kampf bevor, erst zwischen den Regierungen im Rat und dann im Europäischen Parlament. Ich unterstütze den Kommissionsvorschlag, aber die Sozialdemokraten im Parlament oder die sozialdemokratischen EU-Kommissare denken nur an einen Geldregen. Ich sage: Solidarität geht Hand in Hand mit Eigenverantwortung. Man kann den Nachbarn nur um Hilfe fragen, wenn man bereit ist, auch selbst seine Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen.

Fürchten Sie, dass in manchen Staaten Hilfsgeld in dunklen Kanälen versickern könnte?

Die Summen, über die wir sprechen, sind gewaltig. Das geht nur mit demokratischer Kontrolle: Das Geld darf nur in Tranchen ausgezahlt werden, und es muss laufend geprüft werden, ob die Mittel etwas gebracht haben. Dafür müssen wir die Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments stärken, gerade auch um Korruption und Verschwendung besser bekämpfen zu können. Nur so können wir die Ausgaben gegenüber dem Steuerzahler glaubwürdig vertreten.

Die Kommission möchte Auszahlungen auch davon abhängig machen, dass in den Empfängerländern der Rechtsstaat funktioniert. Gegen Polen und Ungarn laufen EU-Verfahren wegen Sorgen um den Rechtsstaat. Unterstützen Sie den Vorschlag?

Ja. Europa ist kein Bankautomat, sondern eine Wertegemeinschaft. Unsere Solidarität beruht auf den europäischen Werten. Daher muss die Auszahlung auch daran gekoppelt sein, dass die Rechtsstaatlichkeit in den Ländern eingehalten wird.

Von der Leyen hat nicht nur einen Entwurf für den Corona-Topf präsentiert, sondern auch für den Mehrjährigen Finanzrahmen, den EU-Etat für 2021 bis 2027. Auf beides müssen sich die EU-Regierungen einigen, und beidem muss danach das Europaparlament zustimmen. Was sagen Sie zu dem Etatentwurf?

Der Mehrjährige Finanzrahmen kommt in der Debatte bislang zu kurz. Der Hilfstopf wird den Haushalt nur über die kommenden vier Jahre vergrößern, aber beim Finanzrahmen geht es um die langfristige Finanzierung der EU. Und das Europäische Parlament ist mit dem jetzigen Vorschlag nicht einverstanden. Das Volumen ist zu klein. Zum Beispiel wurde im Vergleich zu früheren Vorschlägen bei Erasmus gekürzt, obwohl Austauschprogramme für Europas Zukunft entscheidend sind. Zudem kommt die Sicherheit zu kurz. Wir brauchen mehr Geld für den neuen Verteidigungsfonds und das Programm für militärische Mobilität. Europa muss seine Sicherheit selbst in die Hand nehmen; das ist eine zentrale Aufgabe für die 2020er Jahre.

Ein Streitpunkt beim EU-Etat ist auch, ob Deutschland und vier andere Netto-Zahler weiter von Rabatten auf ihren Beitrag profitieren sollten. Was meinen Sie?

Wir sollten Rabatte mittel- bis langfristig abschaffen, da sie die tatsächliche Finanzierung der EU verschleiern.

Die EU hat sich vor Start der Pandemie ehrgeizige ­- und teure - Ziele für den Klimaschutz gegeben. Hat Klimaschutz wegen der schlimmen Wirtschaftskrise nun an Dringlichkeit verloren?

Zweifellos müssen wir an unseren ehrgeizigen Klimazielen festhalten. Aber wir dürfen hier keinen Regulierungs-Albtraum schaffen, sondern müssen stattdessen auf neue Technologien und Infrastruktur setzen. Die EU muss sich generell 2020 mit Regulierung sehr zurückhalten. Wir müssen die Wirtschaft stabilisieren, wir müssen Jobs, nicht Regeln schaffen. Frans Timmermans, der zuständige Vizepräsident der Kommission, muss auch endlich eine wirklich überzeugende und solide Folgenabschätzung für das Klimagesetz der EU vorlegen. Ansonsten können wir das Gesetzespaket nicht beraten.

Zum Schluss ein anderes Thema: Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager lässt gerade untersuchen, ob die Wettbewerbsregeln der EU aktualisiert werden müssen, um Entwicklungen auf den Weltmärkten und die Digitalisierung widerzuspiegeln. Sie, Herr Weber, fordern, dass die Kommission die Bildung von European Champions erleichtern solle, also Zusammenschlüsse von Konzernen, damit diese nach der Fusion besser auf dem Weltmarkt mithalten können. Warum sollte das nötig sein?

Wir müssen die Wettbewerbsregeln an die heutige Zeit anpassen. Sie sind 30 Jahre alt, und in einigen Märkten geht es heute nicht mehr um Wettbewerb innerhalb Europas, sondern um globalen Wettbewerb. Wir brauchen auf EU-Ebene so etwas wie den Ministervorbehalt in Deutschland: In bestimmten, sensiblen Fällen muss die Politik einschreiten und die Wettbewerbshüter überstimmen können, um in Europa globale Champions zu schaffen und zu stärken. In manchen Branchen, in denen unseren Firmen heute vielleicht noch kein chinesischer Rivale im Nacken sitzt, ist trotzdem klar, dass in fünf Jahren ein chinesischer Konzern unsere hiesige Branche zerstören könnte. Die Fusionskontrolle braucht also eine Folgenabschätzung, wie der globale Wettbewerb in einigen Jahren aussehen kann. Wir Christdemokraten lieben Märkte und klare Spielregeln, und wir brauchen Wettbewerb, aber wir dürfen nicht naiv sein.

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