Meinungsforscher Güllner im Gespräch:Unter Wechselstrom - ein Jahr Schwarz-Gelb

Die FDP stürzt in den Umfragen ab, die Grünen fahren Rekordwerte ein - und die Werte für die Union bleiben stabil. Forsa-Chef Manfred Güllner erklärt, was da los ist.

Markus C. Schulte von Drach

Die schwarz-gelbe Koalition regiert Deutschland seit einem Jahr - und nicht unbedingt zur Zufriedenheit der Bürger. Früheren Erfahrungen zufolge müsste die Zustimmung für die Regierungsparteien in der Bevölkerung nachlassen, während die Opposition an Zustimmung zulegen kann. Diesmal aber ist vieles anders. Wieso? Fragen an Manfred Güllner, den Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa.

Manfred Güllner Meinungsforschungsinstitut Forsa

Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa erklärt, wie und warum sich die Zustimmung der Wähler zu den Parteien in den vergangenen Jahren deutlich verändert hat.

(Foto: oh)

sueddeutsche.de: Die SPD bleibt Umfragen zufolge bei 23 Prozent. Die FDP stürzt steil ab. Die Grünen fahren Rekordwerte ein. Und die Union verliert etwa drei Prozentpunkte und bleibt bei etwas mehr als 30 Prozent. Was ist da los?

Manfred Güllner: Es war tatsächlich immer so, dass die Regierungsparteien zur Mitte der Legislaturperiode an Sympathie eingebüßt haben. Und es sind auch durchaus Abströme von der Union da, hauptsächlich ins Lager der Nichtwähler. Aber es gibt Rückwanderer von der FDP, die die Verluste kompensieren. Deshalb ist die Zustimmung für die Union insgesamt stabil.

sueddeutsche.de: Es wandern demnach viele Wähler von einer Regierungspartei zur anderen?

Güllner: Angela Merkel hat im vergangenen Jahr viele frühere CDU-Wähler dazu gebracht, für die FDP zu stimmen. Man konnte vor der Bundestagswahl genau beobachten, wie die Mittelständler von der CDU zunehmend enttäuscht waren. Die Union hat so "unanständige" Vokabeln wie Verstaatlichung in den Mund genommen. Vor allem aber hatten die Leute das Gefühl, die Union tue nur was für die Großkonzerne, für Großbanken, Opel, Conti oder Arcandor. Der kleine sauerländische Fabrikant hat sich gesagt: 'Die tun nichts für mich, da geh ich zur FDP.' Ein Teil dieser von den Liberalen inzwischen maßlos enttäuschten Wähler kehrt jetzt wieder zur CDU zurück.

sueddeutsche.de: Angeblich ist die Zustimmung für die FDP seit der Bundestagswahl um etwa zehn Prozentpunkte gesunken. Was würden die FDP-Wähler von 2009 jetzt wählen?

Güllner: Ein Viertel der FDP-Wähler bei der Bundestagswahl würde wieder die Liberalen wählen. Ein Viertel würde jetzt für die CDU stimmen, ein weiteres Viertel ginge in die Wahlenthaltung. Mehr als ein Achtel geht zu den Grünen. Das sind Verzweiflungswähler. Die haben schon CDU und FDP gewählt und immer das Gefühl gehabt, sie würden im Stich gelassen.

sueddeutsche.de: Die FDP hatte 2009 vor allem von abgewanderten CDU-Wählern profitiert, jetzt kehren diese Leute der Partei wieder den Rücken zu. Müssen die Liberalen damit rechnen, im einstelligen Bereich zu bleiben?

Güllner: Ein solcher Absturz einer kleinen Partei ist wirklich ohne Beispiel. Es wird schwer, das wieder aufzuholen. Die FDP muss sich darauf einstellen, um ihre Existenz zu kämpfen und die fünf Prozent zu erreichen. Sie ist da zurückgefallen auf alte Zeiten.

sueddeutsche.de: Sie sagen, viele CDU-Wähler wandern ins Lager der Nichtwähler. Wie könnte die Partei diese Stimmen zurückgewinnen?

Güllner: Die Union darf auf keinen Fall zu konservativ werden oder nach rechts gehen - im Gegenteil. Diese Abwanderer stehen weniger rechts als die Stammwähler der CDU. Da gibt es eine völlig falsche Einschätzung auch in Teilen der Union selbst.

sueddeutsche.de: Das bedeutet, die Auftritte von Christian Wulff als Bundespräsident sind für die Union derzeit hilfreicher als die Auftritte von CSU-Chef Horst Seehofer?

Güllner: Absolut. Die CSU ist ja übrigens ein Sonderfall. In der Partei glaubt man, man könnte in Bayern verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, indem man in Berlin Klamauk macht. Das ist ein riesengroßer Irrtum. Die Bayern erwarten von der CSU in Berlin, dass sie regiert, nicht, dass sie ständig Konflikte anzettelt.

"Die SPD ist nicht attraktiv für ehemalige CDU-Wähler"

sueddeutsche.de: Warum gehen die eher linken CDU-Wähler nicht mehr zur Wahl, anstatt für die SPD zu stimmen?

Güllner: Die SPD ist nicht attraktiv für sie. Die Partei hatte früher immer Ökonomen. Karl Schiller hat die Wahl 1969 für die SPD gewonnen. Helmut Schmidt war Weltökonom. Gerhard Schröder war Hauruck-Ökonom. Heute hat die SPD keinen ökonomischen Verstand mehr. Wieso sollte ein ehemaliger CDU-Wähler also jetzt SPD wählen?

sueddeutsche.de: Offenbar kann die SPD überhaupt keinen Vorteil aus der Oppositionsrolle ziehen.

Güllner: Es ist auch kein Mitleidseffekt eingetreten, weil die arme SPD so schwach geworden ist. Von den zehn Millionen früheren SPD-Wählern, die zwischen 1998 und 2009 abgewandert sind, kommt so gut wie keiner zurück. Das liegt vermutlich daran, dass man in der Partei denkt, die wären zum großen Teil zur Linkspartei gewandert. Aber in diesem Zeitraum hat die Linkspartei nur 2,5 Millionen Stimmen dazugewonnen - und nicht nur aus den Kreisen der früheren SPD-Anhänger.

sueddeutsche.de: Das heißt, die SPD muss sich fragen, wo die anderen mindestens 7,5 Millionen SPD-Wähler hingegangen sind.

Güllner: Ein Teil ist zu den Grünen gewandert. Aber zum großen Teil sind sie zu Hause geblieben. Und mit Themen wie Mindestlohn, Rente mit 67, Hartz IV und der Energiepolitik holt die SPD die auch nicht zurück.

sueddeutsche.de: Wieso nicht?

Güllner: Das sind Leute aus der Mitte. Die spricht die SPD mit diesen Themen nicht an. Nehmen wir die Energiepolitik: Eine relativ große Minderheit unter den ehemaligen SPD-Anhängern betrachtet die Kernenergie durchaus als notwendig. Die hält man in der Wahlenthaltung fest, wenn man sagt, man wolle in Karlsruhe klagen. Und die, die für die Abschaltung der Kernkraftwerke sind, treibt man in die Arme der Grünen. Da kann man schön sehen, was die SPD falsch macht. Außerdem hat sie die lokale und regionale Verankerung verloren. In Schleswig-Holstein ist Herr Stegner noch Landesvorsitzender, der schon zu Heide Simonis' Zeiten schlechteste Quoten erhielt. In Niedersachsen spielt Herr Jüttner noch eine Rolle, der die Wählersubstanz bei der Landtagswahl um die Hälfte reduziert hat. In Hessen kräht Frau Ypsilanti noch herum, Herr Schäfer-Gümbel ist als SPD-Vorsitzender dort weiß Gott kein Hoffnungsträger. Und in Bayern und Baden-Württemberg weiß doch niemand, wer die SPD ist.

sueddeutsche.de: Die Grünen haben in den aktuellen Umfragen extreme Zuwächse. Woher stammen die Wähler der Grünen?

Güllner: Die Grünen haben bereits ein relativ hohes Stammwählerpotential. Das sind vor allem Leute, die sich um die materielle Absicherung keine Gedanken mehr machen müssen, weil sie im Dunstkreis des öffentlichen Dienstes beschäftigt sind. 40 Prozent der Beamten im höheren Dienst wählen Grün! Das sind Leute, die sind gut versorgt, haben ein gutes Einkommen, die brauchen sich keine Gedanken zu machen um ihre Rente. Die können sich um die hehren Menschheitsziele kümmern.

sueddeutsche.de: Und die extremen Zuwächse?

Güllner: Das sind zum Teil frühere SPD-Wähler, die 2005 und 2009 die Sozialdemokraten nicht mehr wählen wollten, aber Vorbehalte gegenüber den Grünen hatten. Heute sind die Grünen eine seriöse Partei. Stammwähler sind diese Leute aber nicht. Ich bezeichne die als Zwischenparker. Weitere Stimmen kommen von Union und FDP. Vor allem von den Liberalen kommen Wähler, die aus Verzweiflung jetzt Grün wählen. Das sind auch keine Stammwähler. Und ob die bei einer Wahl wirklich für Grün stimmen werden, kann niemand garantieren.

sueddeutsche.de: Die 'Zwischenparker' warten darauf, dass die SPD für sie wieder wählbar wird?

Güllner: Die würden natürlich zurückkehren, wenn die SPD sich wieder verändern würde.

sueddeutsche.de: Was müsste die SPD dafür tun?

Güllner: Das sind Wähler, die links von den Stammwählern der SPD stehen, aber nicht so weit links wie die Stammwähler der Grünen. Wenn die Sozialdemokraten nach links gehen, kehren die nicht zurück. Die SPD muss eine Partei werden, die den Mittelschichtwählern das Gefühl gibt, sie kümmere sich um ihre Interessen.

sueddeutsche.de: Die Zustimmung zu den Linken ist stabil bei etwa elf Prozent. Offenbar können sie nicht davon profitieren, dass sich sozial Schwächere möglicherweise von der Regierung im Stich gelassen fühlen.

Güllner: Ich glaube, die Linke hat ihr Potential erst mal ausgereizt. In Ostdeutschland wählen jene die Linken, die sich als Verlierer der Einheit sehen. Knapp ein Drittel sagt: 'Wir haben davon nichts gehabt. Nur die Linke kümmert sich um uns.' Aber das Potential wächst dort nicht, sondern schrumpft eher langsam.

sueddeutsche.de: Aber wieso wählen die Hartz-IV-Empfänger in Westdeutschland nicht die Linke?

Güllner: Es sind dort nicht vor allem die Ärmsten der Armen, die die Linke wählen. Einige Hartz-IV-Empfänger tun es und das erklärt den Anstieg von 2002 bis 2009. Aber der Kern der Linkswähler ist der Typ gut versorgter, nörgelnder Intellektueller aus dem Dunstkreis von Institutionen wie öffentlicher Dienst, Bildungseinrichtungen und Gewerkschaften. Diese Leute waren mal in K-Gruppen, dann bei der SPD und jetzt haben sie ein neues Forum entdeckt. Aber das Potential wächst nicht. Außerdem hat die Linke im Westen vor Ort ein Personalproblem. Deshalb schneidet sie bei Landtags- und Kommunalwahlen schlechter ab als bei der Bundestagswahl.

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