Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Mali:"Erhebliche Bedrohungslage"

Die Bundeswehr-Patrouille war in einem gefährlichen Gebiet von Mali unterwegs, als ein Suizid-Attentäter angriff. Nun wird die Forderung nach Kampfdrohnen für die Truppe laut.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Unsicherheit fährt immer mit. "Nur, weil wir die letzten Monate Glück hatten, heißt das nicht, dass auch diesmal alles gutgehen wird", so hat es einmal ein früherer Kompaniechef beschrieben, der mit seinen Soldaten in Mali den gleichen Auftrag hatte wie die Patrouille, die am Freitag ins Visier der Terroristen geraten war. Diese Aufklärungskompanie hatte nun kein Glück.

Am Freitag, um 8.28 Uhr deutscher Zeit, raste ein mit Sprengstoff beladenes Auto auf die Stellung der Soldaten zu. Sie hatten mit ihren rund zwei Dutzend gepanzerten Fahrzeugen eine Wagenburg errichtet, wie man es aus Western-Filmen mit Planwagen kennt. Die Kompanie war 180 Kilometer vom Lager in Gao entfernt. Dann kam es zur Explosion.

Zwölf deutsche Soldaten und ein Angehöriger einer Partnernation wurden verwundet, drei davon schwer. Einen so schweren Anschlag hatte es auf die Bundeswehr noch nicht gegeben, seitdem sie 2013 in dem westafrikanischen Krisenland in den Einsatz ging.

In Mali geht es der Bundesregierung im Kern darum, an der Seite Frankreichs den Vormarsch von Islamisten in der Sahelzone zu stoppen. Mit bis zu 600 Soldaten beteiligt sich die Bundeswehr an der EU-Ausbildungsmission EUTM und mit bis zu 1100 Soldaten an der UN-Mission Minusma. Der Anschlag traf letztere.

Der Einsatz in Mali ist umstritten - auch weil Erfolge ausbleiben

Die Erschütterungen sind auch in Berlin zu spüren, plötzlich sind grundsätzliche Fragen wieder aktuell: Was macht die Bundeswehr so lange in dem Land, und warum kommt Mali einfach nicht zur Ruhe? Ergibt der Einsatz in dieser Form überhaupt noch Sinn? Und: Wurde eigentlich alles getan, um für die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten zu sorgen?

Auf Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kommen unruhige Tage zu. Eigentlich hatte am Freitag mit Ende der letzten Plenarwoche die Sommerpause begonnen. Nun kommt auch aus ihrem politischen Lager der Wunsch nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses. Ihr Parteikollege, der Verteidigungsexperte Henning Otte, verlangt eine solche. Dort müsse das Ministerium den Parlamentariern "die Lage in Mali und Hintergründe zum Anschlag darstellen", sagte Otte der Süddeutschen Zeitung.

Aber es geht noch um so viel mehr. Der Bundestagswahlkampf hat begonnen. Der Einsatz in Mali ist umstritten - weil Erfolge ausbleiben. Schlimmer noch: Es war das malische Militär, von Deutschland und europäischen Partnern ausgebildet, das sich schon zweimal an die Macht putschte. Die internationale Gemeinschaft zieht auch nicht an einem Strang. Den blutigen Teil des Anti-Terror-Kampfes stemmt vor allem Frankreich, mit seiner eigenen Operation Barkhane sowie 5000 Soldaten.

Außerdem diskutiert die Politik in Berlin schon seit Jahren über den Einsatz von Kampfdrohnen - gerade zum Schutz eben solcher Patrouillen. Bislang blockiert die SPD, aber kann sie sich nach diesem Vorfall ihren Widerstand wirklich noch länger leisten?

Der SPD-Chef sieht Drohnen skeptisch. Seine Partei verweist erst mal auf eine Arbeitsgruppe

Noch sind die Informationen spärlich, die die Bundeswehr zum Anschlag herausgibt. Fest steht, dass eine Aufklärungskompanie Ziel der Terroristen geworden ist. Etwa 100 Soldatinnen und Soldaten gehörten der Patrouille an, die weit ins Land vorgedrungen ist, um ein Lagebild für die Einsatzführung zu erstellen.

Bei solchen Operationen sind Soldaten für mehrere Tage außerhalb des sicheren Camps unterwegs. Die Patrouillen gelten als riskant, weil die Einheiten auf sich gestellt sind. Die Aufgaben können komplex sein: Sprengfallen ausfindig machen, Hinweisen nach Aufständischen nachgehen, mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen. Solche Operationen ziehen sich. Der Konvoi kommt in der Regel nur langsam auf den staubigen Straßen voran. Aber das macht ihn auch angreifbar.

Das Gebiet, in dem die Bundeswehr unterwegs war, weist nach vertraulichen Unterlagen aus dem Ministerium eine "erhebliche Bedrohungslage" auf. Für den Fall, dass etwas passiert, gilt die "Golden Hour"-Regel - innerhalb einer Stunde sollen Verwundete von Notfallmedizinern versorgt werden können. Damit kommt die Rettungskette zum Tragen, die derzeit in Mali aber nur mit Hilfe einer Privatfirma sichergestellt werden kann, weil sich die Partnernationen nicht in der Lage sahen, dafür militärische Hubschrauber zur Verfügung zu stellen.

In diesem Fall hat die Rettungskette offenbar trotzdem funktioniert. In der Nacht zu Sonntag, gegen zwei Uhr, sind die letzten sechs der zwölf Verwundeten bereits im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm eingetroffen. Die besonders schwer Verletzten waren zuvor nach Koblenz gebracht worden. Dort werde mit "aller Kraft" versucht, die Kameraden schnell wieder gesund zu machen, erklärte Generalärztin Dr. Almut Nolte. Den Zustand der Verwundeten beschrieb Ministerin Kramp-Karrenbauer als "stabil". Aber es wird dauern, bis die Wunden heilen.

Die politische Aufarbeitung des Anschlags beginnt. Wie soll es weitergehen in Mali? Für den CDU-Verteidigungsexperten Henning Otte steht fest, dass der "feige und verheerende Anschlag mit einer Autobombe gegen die deutsche Truppe" einen "Strategiewechsel der internationalen Gemeinschaft notwendig" mache. Es sieht die Europäer stärker gefordert, vor allem Frankreich und Deutschland müssten nun "ihr Vorgehen besser koordinieren". Deutschland solle zudem mit eigenen Kräften sicherstellen, dass Verwundete ausgeflogen werden können. Und er will, dass die Bundeswehr endlich die Kampfdrohnen beschafft.

Die FDP-Kollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht das genauso. "Der Druck auf die SPD wird jetzt deutlich größer werden, bewaffnete Drohnen zum Schutze unserer Soldaten und Soldatinnen anzuschaffen." Sie hat noch gut in Erinnerung, wie die SPD Ende vergangenen Jahres das Vorhaben blockierte, weil das Thema aus Sicht der Sozialdemokraten in der Gesellschaft noch nicht ausführlich genug diskutiert worden sei. In der SPD wurde erst mal wieder eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen.

Aber der Anschlag in Mali facht die Debatte an. Die Drohnen-Befürworterin und SPD-Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller sagt: "Es wird deutlich, in welch gefährliche Einsätze wir unsere Soldatinnen und Soldaten entsenden." Die Erkenntnisse aus Mali müssten "einfließen in die Entscheidungsfindung der Partei". Und eine Entscheidung müsse schnell kommen.

In der Parteispitze will man sich nicht unter Druck setzen lassen. "Dass ein Terrorakt wie der in Mali die Debatte darüber anfacht, ist als spontane Reaktion verständlich", erklärte Parteichef Norbert Walter-Borjans auf SZ-Anfrage. "Umso wichtiger ist die Bewertung jenseits aufwühlender Tagesaktualität. In Autos von Selbstmordkommandos platzierte Bomben dürften von bewaffneten Drohnen kaum zweifelsfrei erkannt und ausgeschaltet werden können." Dies sei aber nur eine Vermutung. Für ihn ist das ein klarer Fall für die Arbeitsgruppe. Über Kampfdrohnen wird die nächste Regierung entscheiden.

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