Süddeutsche Zeitung

Malaysia:Mit 92 Jahren noch einmal um die Macht kämpfen

Einst schob Mahathir Mohamad als Premier Malaysias Aufschwung an, dann machte er 15 Jahre Pause. Nun will er es noch mal wissen: Im Bündnis mit einem alten Widersacher tritt er zur Wahl an.

Von Arne Perras, Kuantan

Vergleiche mit dem 81-jährigen Silvio Berlusconi verbieten sich natürlich. Zwar will auch Mahathir Mohamad zurück auf die ganz große Bühne. Aber der malaysische Ex-Premier ist alles andere als ein Clown. Außerdem ist der Italiener viel zu jung, als dass man ihn in einem Atemzug mit Mahathir nennen sollte. Der Malaysier wird in diesem Sommer schon 93 Jahre alt.

Bevor er seinen nächsten Geburtstag in aller Ruhe feiern kann, hat Mahathir noch etwas zu erledigen: Er führt das Oppositionsbündnis Pakatan Harapan an und will am 9. Mai die Wahlen gewinnen. Der Premier Malaysias soll nach 15 Jahren Pause wieder Mahathir heißen. Dafür kämpft der 92-Jährige jetzt Tag und Nacht. Ein Witz?

Eher ein Notfall, so möchte das der Kandidat verstanden wissen. Er sitzt am Donnerstagmorgen aufrecht in einem grauen Sessel in der Hotellounge und spricht über seine Pläne. "Ruhestand, alles schön und gut", sagt Mahathir. "Aber ich kann es mir nicht leisten. Es haben mich so viele Leute um Hilfe gebeten, die Probleme sind so groß, da konnte ich nicht mehr anders, ich musste das machen."

So wie er die Dinge schildert, steht Malaysia am Abgrund. Und kein anderer als er sei noch in der Lage, das Schlimmste in letzter Minute abzuwenden. Er sagt, er fürchte um sein Erbe. "Es ist schlimm geworden, wir müssen das zurechtrücken." Die einen sehen in solchen Sätzen nur die Hybris eines alten Mannes, die anderen eine Chance, die von Korruptionsskandalen gebeutelte Regierung endlich loszuwerden. Sie setzen auf Mahathir als Premier auf Zeit, um dann den Weg für eine neue Ära freizuräumen.

Sicher ist, dass die Akteure in Malaysia auch vor den verrücktesten Allianzen nicht zurückschrecken. Das beste Beispiel dafür liefert Mahathir selbst. Denn der alte Mann setzt nun auf ein Bündnis mit seinem früheren Widersacher Anwar Ibrahim. Das ist jener Mann, den Mahathir einst mittels Sodomie-Vorwürfen ins Gefängnis verfrachten ließ. Dort sitzt Anwar noch immer, er soll aber im Juni freikommen. Und wenn die Opposition die Wahl gewinnt, könnte es sein, dass Mahathir später das Feld für Anwar Ibrahim räumt. So ist es angeblich ausgehandelt.

"Wir sind übereingekommen, die alten Streitereien jetzt mal ruhen zu lassen", sagt Mahathir an diesem Morgen, als sei das neue Bündnis das Normalste von der Welt. Manchen Malaysiern wird schwindelig bei so viel Wendigkeit. Anderen kommen die Tränen angesichts der rührenden Versöhnungsgeschichte zwischen Anwar und Mahathir.

Was die beiden früheren Rivalen nun eint, ist der gemeinsame Gegner: Premierminister Najib Razak. Er ist seit 2009 an der Macht und will unter dem Banner des Regierungsbündnisses Barisan Nasional (BN) wieder gewählt werden.

Doch nun muss sich Najib ausgerechnet gegen seinen einstigen Paten zur Wehr setzen, der ihm in der Vergangenheit den Weg nach ganz oben ebnete. Ohne Mahathir, der Malaysia 22 Jahre lang recht eisern regierte, konnte man früher gar nichts werden in der Regierungspartei. Später dann haben sich Najib und Mahathir zerstritten. Und das macht das Rennen nun sehr unberechenbar. Viele Wähler sind verwirrt. Wem sollen sie noch vertrauen? Dem alten Mann, der Malaysias Aufschwung als asiatischer Tiger angeschoben hat? Oder doch lieber seinem Zögling, der nun in Ungnade gefallen ist?

Najib hat eine große Maschine hinter sich, die Parteiverbände der United Malays National Organisation (Umno). Mahathir hingegen setzt auf sein Gewicht als Vater der Nation. Wer wird die meisten Sitze erobern? Auf Prognosen ist in Malaysia wenig Verlass, auch wenn viele Analysten dazu neigen, Najibs Chancen höher einzuschätzen als die von Mahathir. Sicher ist, dass viele Wähler zumindest schwer beeindruckt sind, wie viel Energie ihr Ex-Premier in diesen Tagen noch aufbringen kann.

Am Mittwochabend strömen Tausende in den Park von Kuantan an der Ostküste, um Mahathir reden zu hören. Anfangs sitzt er noch unten in der ersten Reihe, wo sie für ihn und seine Frau große Ledersessel ins Gras gestellt haben. Mahathir hat die Beine übereinandergeschlagen, er blickt entspannt hinauf zur Bühne, wo sich ein Oppositionspolitiker nach dem anderen in heiserer Rede an der Regierung abarbeitet. Dann ist der 92-Jährige an der Reihe, er steigt ohne Hilfe die steile Treppe zum Podium hinauf, tritt ans Mikrofon, Jubel brandet auf. Geduldig schließt er die Hände vor dem Körper und dreht eine Weile Däumchen, bis es still geworden ist.

Mahathir trägt ein rotes Hemd mit weißen Blümchen, er wirkt darin milde, wie der nette Großonkel von nebenan. Aber alle wissen natürlich, wie hart dieser Mann früher durchgreifen konnte, als er noch regierte. Und gnadenlos klingt auch seine Rede, die er 44 Minuten lang ohne Pause durchhält. Darin rechnet er ab mit seinem früheren Zögling Najib.

Mahathir feuert eine Breitseite nach der anderen ab. Premier Najib habe die Demokratie in eine Kleptokratie verwandelt, schimpft er. "Wir werden geführt von Gangstern, Dieben und Banditen, so ist das in unserem Land, seitdem Najib regiert." Er tut sich leicht bei dieser Rede, weil ihm der Premier in den vergangenen Jahren viele Steilvorlagen für seine Attacken geliefert hat. Zum Beispiel das Rätsel um jene 680 Millionen US-Dollar, die auf wundersame Weise ihren Weg auf das private Bankkonto Najibs fanden. "Alles gestohlen", ruft Mahathir, "aus den Kassen des Staatsfonds 1 MDB". Tatsächlich laufen in mehreren Ländern Verfahren wegen mutmaßlicher Geldwäsche in Milliardenhöhe, alle kreisen um den malaysischen Staatsfonds, den Premier Najib ins Leben gerufen hat. Das Geld auf seinem Privatkonto sei eine saudische Schenkung gewesen, die er dann aber gar nicht gebraucht habe, verteidigte sich Najib. Inzwischen sei das zurückgezahlt. "Najib ist ein Lügner", donnert Mahathir. Und er wird nicht müde, in all den Finanzskandalen des Amtsinhabers zu wühlen.

In der Stadt hat man die Nase von Korruption voll. Auf dem Land ist die Stimmung anders

Erst um Mitternacht kommt er zurück ins Hotel. Am nächsten Morgen ist er schon wieder sehr früh auf den Beinen. Wie kann es sein, dass er die Strapazen so gut durchsteht, braucht er nicht Ruhe und mehr Schlaf? "Alles eine Frage der Disziplin", sagt Mahathir. "Wenn die Leute älter werden, haben sie manchmal das Bedürfnis, länger zu schlafen, aber dem müssen sie widerstehen."

20,5 Millionen

Tonnen Palmöl hat Malaysia im Jahr 2017 produziert. Damit ist das südostasiatische Land der zweitgrößte Palmölproduzent der Welt, nach Spitzenreiter Indonesien. Mehr als drei Viertel des weltweit hergestellten Palmöls kommt aus diesen beiden Ländern. Der Rohstoff, der aus dem Fruchtfleisch der Ölpalme gewonnen wird, ist umstritten, weil für den Anbau riesige Regenwaldflächen gerodet werden.

Außerdem habe er immer auf seine Mutter gehört, die sagte, dass man bloß nicht zu viel auf einmal essen solle. Mahathir hält sein Gewicht, er geht jetzt langsam, ist aber immer noch gut auf den Beinen. Und auch in seinem Gesicht ist kein Zeichen von Erschöpfung zu erkennen. Er hört genau zu und antwortet auf Fragen präzise. Aber es dauert auch nicht lange, bis er wieder bei seinem Lieblingsthema gelandet ist: "Najibs größtes Problem ist, dass er glaubt, alles mit Geld lösen zu können. Das muss aufhören."

Wenn es stimmt, dass Najib alles mit Geld löst, könnte ihn das in der anstehenden Wahl freilich auch retten. Überall ist die Rede davon, dass die Regierungspartei gerne Geldgeschenke verteilt. Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem weit verzweigten Patronage-System, das die Partei Umno über viele Jahrzehnte aufgebaut hat. Daran war auch Mahathir selbst maßgeblich beteiligt.

In der Stadt mögen viele die Nase vollhaben von den Korruptionsgeschichten und den steigenden Preisen, die sie der Amtszeit Najib anlasten. Doch auf dem Land, wo die Masse der Wähler lebt, ist die Stimmung ein bisschen anders. Dort kann man erahnen, weshalb die beißenden Attacken Mahathirs vielleicht nicht überall verfangen, zumindest nicht bei Menschen wie Zaini bin Kone, einem Vater von fünf Kindern, der an der Ostküste Malaysias lebt.

Über die Finanzskandale und den Ärger mit dem Staatsfonds wisse er viel zu wenig, sagt der füllige Wachmann, das sei alles nicht seine Welt. "Ich weiß nur, dass auch Mahathir Fehler als Premier gemacht hat." Kone sagt, dass Parteiführer und Premiers kommen und gehen, die Partei aber bleibe. Und sie sorge für das Volk. "Umno hat immer Jobs für uns Malaien geschaffen, sie hat Schulen gebaut und sich immer um uns gekümmert", sagt der 47-Jährige. "Ich werde sie auch diesmal wieder wählen."

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SZ vom 05.05.2018/ghe
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