Süddeutsche Zeitung

Malaysia:Der Retter muss sich rechtfertigen

Der neuer Premier Muhyiddin Yassin tritt nach der Regierungskrise auf bizarre Weise sein Amt an. Er muss zunächst den Ärger beim Volk dämpfen.

Von Arne Perras, Singapur

Die Malaysier müssen sich an dieses Bild erst noch gewöhnen: Der Mann am Schreibtisch des Premiers, vor getäfelter Wand und nationaler Flagge, ist jetzt ein anderer. Er heißt Muhyiddin Yassin und wurde am Sonntag vom Sultan als neuer Premier vereidigt.

Zu den ersten Schritten des 72-Jährigen gehörte der Versuch, den Ärger im Volk zu dämpfen und die Verwirrung zu mildern, die sich mit der Regierungskrise seit Ende Februar aufgebaut hatte. "Hört, ich bin kein Verräter", versicherte Muhyiddin in seiner ersten Ansprache an die Nation. "Ich habe ein reines Gewissen und ich stehe hier, um das Land vor anhaltendem Chaos zu bewahren." Muhyiddin präsentierte sich als Retter in der Not, doch zugleich sah er sich gezwungen, diese bizarre Ehrenerklärung abzugeben, beinahe so, als stünde hier ein Mann auf einer imaginären Anklagebank, um vor dem Volk seine Unschuld zu beteuern.

Muhyiddins Ansprache macht deutlich, wie undurchsichtig die malaysische Politik geworden ist und wie viel Misstrauen sie schürt. Schaukelnde Loyalitäten, Intrigen und politischer Verrat beherrschen das Land, in dem sich alle belauern, nur um am Ende auf der richtigen Seite zu landen, auf der Seite der Macht. Bislang saß auf dem Platz des Regierungschefs: Mahathir Mohamad, 94 Jahre alt. Wäre es nach ihm gegangen, säße er dort noch immer, aber die Ereignisse nahmen so viele bizarre Wendungen, dass selbst der alte Strippenzieher überfordert war.

Mahathir regierte Malaysia von 1981 bis 2003 und kam noch einmal zurück, als er 2018 die Wahlen gewann. Niemand hatte damit gerechnet, dass er am 24. Februar seinen Rücktritt einreichen würde. Er tat dies nicht, um seinem Rivalen und zeitweiligen Verbündeten Anwar Ibrahim den Weg freizumachen. Es sah vielmehr so aus, als wollte der 94-Jährige seinen designierten Nachfolger mit dem Blitzmanöver verhindern. Indem Mahathir die zerrüttete Koalition beendete, war die Chance da für ein neues Bündnis, ohne Anwar.

Doch Mahathirs Plan misslang, und nun haben beide verloren. Denn der Sultan rief alle Abgeordneten einzeln zu sich, um herauszufinden, wen sie jeweils als Premier stützen würden. Schließlich verkündete er, dass Muhyiddin, früherer Innenminister, über eine Mehrheit verfüge. Allerdings ist unklar, ob der neue Premier im Parlament bestehen würde, die nächste Sitzung hat der neue Regierungschef vorsorglich bis Mai aufgeschoben.

Muhyiddin stammt aus der Familie eines islamischen Klerikers und ist ein tief religiöser Mann. Erstmals seit 40 Jahren stützt sich die Macht eines malaysischen Premiers nun auf eine Allianz, der auch die islamistische Partei PAS angehört. Es wird nicht leicht für ihn. "Sein Mandat ist schwach", schreibt die Politologin Bridget Welsh, "seine Koalition ist noch nicht stabil". Absehbar ist jedoch, dass die Regierungspolitik unter Muhyiddin nun stärker auf die ethnische und die religiöse Karte setzen wird. Hinter den Umwälzungen ist der Drang der einst dominierenden Partei Umno zu erkennen, zurück an die Macht zu gelangen und die Dominanz der ethnischen Malaien zu festigen, die mehrheitlich muslimischen Glaubens ist. Dazu paktiert Umno mit den Islamisten und stützt Muhyiddin.

Umno hat auch den beliebten wie irrigen Vorwurf geschürt, dass die chinesische Minderheit zu viel Einfluss auf die Regierung gewonnen habe. Erstmals in der Geschichte Malaysias stützt sich ein Premier auf ein Bündnis, in dem kein Vertreter der indischen oder chinesischen Minderheit vertreten ist. Das dürfte die Spannungen im Vielvölkerstaat verschärfen.

Mahathir, der einst selbst eine Politik malaiischer Dominanz verfolgte, wollte jetzt nur noch einzelne Abgeordnete von Umno in eine neue Allianz einbinden, aber nicht die ganze Partei. Er machte deutlich, dass er Umno nicht akzeptiere, weil sie zu eng mit Ex-Premier Najib Razak verbunden sei, jenem Mann, der wegen Milliardenbetrugs angeklagt ist.

Trotz aller Korruptionsvorwürfe hat es Najib geschafft, über die sozialen Medien eine Schar von Anhängern zu halten. Schon beginnt die Debatte, was die Umwälzungen für die Verfahren gegen Ex-Premier Najib bedeuten, der für die Plünderung des Staatsfonds 1 MDB verantwortlich sein soll. Die Anti-Korruptions-Aktivistin Cynthia Gabriel warnt: "Das schlimmste Szenario besteht darin, dass diese Verfahren durch politische Einmischungen fallen gelassen werden." Muhyiddin versichert, der Kampf gegen Korruption habe für ihn Priorität. Zwar diente er einst als Vize von Najib, doch dann überwarfen sich die beiden im Streit um 1 MDB, und Najib feuerte Muhyiddin. Ob das reicht, die Zweifler zu überzeugen, ist ungewiss. Denn Umno ist noch immer eine Parteimaschine, in der Najib seine Verbündeten hat.

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SZ vom 07.03.2020
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