Malawi:Die Tipp-Ex-Wahl wird korrigert

Malawi: Als das Gericht seine historische Entscheidung bekannt gab und die Wahl annullierte, feierten die Anhänger der Opposition in den Straßen.

Als das Gericht seine historische Entscheidung bekannt gab und die Wahl annullierte, feierten die Anhänger der Opposition in den Straßen.

(Foto: Amos Gumulira/AFP)

Erst zum zweiten Mal in der Geschichte Afrikas annulliert ein Gericht einen Urnengang: Malawis Präsident Mutharika hatte plump betrügen lassen.

Von Anna Reuß

Vier Radiosender haben den Prozess am Obersten Gericht von Malawi live gesendet, mehrere Monate, an Verhandlungstagen stundenlang am Stück. In Bussen des öffentlichen Nahverkehrs forderten Menschen die Fahrer auf, so berichten es lokale Medien, das Radio anzuschalten, wenn wieder Prozesstag war. Kurz vor dem Urteilsspruch Anfang Februar wurde ein Bankier verhaftet, weil er versucht haben soll, fünf Richter am Obersten Gericht zu bestechen. Am Tag der Urteilsverkündung blieben dann Schulen und Geschäfte geschlossen. Die Besitzer befürchteten Ausschreitungen, falls das Gericht zugunsten der amtierenden Regierung von Präsident Peter Mutharika entscheiden sollte.

Die Juristen allerdings ließen sich nicht kaufen und kamen einstimmig zu einem nicht nur für Malawi historischen Urteil: Wegen "systematischer und schwerer" Unregelmäßigkeiten ist die Präsidentschaftswahl von 2019 ungültig. Wahlbögen waren damals dilettantisch mit Tipp-Ex manipuliert worden. Die weiße Korrekturflüssigkeit war in den 1950er Jahren erfunden worden, um mit der Schreibmaschine getippte Fehler zu übertünchen.

Die Wahlleiterin gab das Ergebnis bereits bekannt, als erst ein Drittel der Stimmen ausgezählt war

Das Urteil sieht Neuwahlen innerhalb von fünf Monaten sowie eine Verfassungsänderung vor, sodass nicht mehr die einfache Mehrheit reicht, um Präsident zu werden. Außerdem soll die Rolle der Wahlkommission untersucht werden, an deren Spitze die Juristin Jane Ansah steht. Im Prozess war bekannt geworden, dass ihr, als sie das Ergebnis verkündete, bestätigte Ergebnisse aus weniger als einem Drittel der Wahllokale vorlagen. Sie sagte vor einem parlamentarischen Ausschuss aus, sie sehe nichts Falsches daran, dass ihre Kommission die Wahlbögen akzeptiert hatte. Schließlich seien die Ergebnisse nicht verändert, sondern nur "korrigiert" worden. Demonstranten fordern bereits ihren Rücktritt, seit der Betrug bekannt geworden war. Seit Tagen gehen Tausende deshalb auf die Straße, doch Ansah, früher selbst Richterin am Obersten Gerichtshof, weigert sich, ihren Posten aufzugeben.

Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte des Kontinents, dass der Anfechtung einer Wahl stattgegeben wird. Das erste Mal ist noch nicht lange her: Im Jahr 2017 erklärte der Oberste Gerichtshof von Kenia den Sieg von Uhuru Kenyatta für ungültig. Er wurde zwar bei der nachgeholten Abstimmung wiedergewählt, allerdings war die Wahlbeteiligung dabei sehr gering. Afrikaner auf dem ganzen Kontinent feiern deshalb die Entscheidung des malawischen Gerichts als mutig und das Urteil als Sieg für die Demokratie. Oft stellen sich Gerichte eher hinter die mächtigen Staatsoberhäupter, statt gegen sie. In der Demokratischen Republik Kongo etwa bekräftigte das Verfassungsgericht im vergangenen Jahr, dass Félix Tshisekedi die Präsidentschaft gewonnen hatte - trotz etlicher Gegenbeweise.

In Malawi hingegen geht der Skandal für den Präsidenten anders aus. Mutharika war aus der "Tipp-Ex-Wahl" als knapper Sieger hervorgegangen: Er gewann mit 38,6 Prozent der Stimmen, sein stärkster Herausforderer Lazarus Chakwera lag mit 35,4 Stimmen dicht hinter ihm. Die Oppositionsparteien behaupteten, Wahlurnen seien bereits mit ausgefüllten Stimmzetteln gefüllt gewesen. Chakwera weigerte sich, Mutharikas Sieg zu akzeptieren und forderte seine Anhänger auf, am Tag der Amtseinführung auf die Straße zu gehen.

Der frühere Rechtsprofessor Mutharika lebte mehr als 30 Jahre lang in den USA. Von 2004 bis 2012 war sein älterer Bruder Präsident, Bingu wa Mutharika. In dieser Zeit begann Peter Mutharika seine Politikerkarriere und bekleidete verschiedene Ministerpositionen, seit 2014 ist er selbst Staatsoberhaupt. Die Malawier protestierten nicht erst seit der plump gefälschten Wahl gegen ihn. Zwar sank die Inflationsrate während seiner Amtszeit, doch vielen Malawiern fehlt es an Grundnahrungsmitteln und Stromausfälle sind die Regel.

Sogar sein eigener Vizepräsident warf Mutharika 2018 Korruption vor, dabei war er mit dem Ziel angetreten, die Vetternwirtschaft einzudämmen. Der Korruptionsindex von Transparency International platziert das Land jedoch auf Rang 123 von 180 Staaten. Auf die Unabhängigkeit 1964 folgten drei Jahrzehnte Einparteienherrschaft. 1993 wählten die Malawier zum ersten Mal frei, doch die Vetternwirtschaft der politischen und wirtschaftlichen Eliten verhindert bis heute echten Fortschritt.

Zwar gilt das Urteil als Beweis für die Unabhängigkeit der Justiz und als Meilenstein im Demokratisierungsprozess, doch der Betrugsskandal setzte dem Land in einem ohnehin harten Jahr zu. Erst wenige Wochen vor der Wahl 2019 war der Tropensturm Idai auf die Küste Mosambiks getroffen und hatte auch den angrenzenden Binnenstaat Malawi verwüstet. Viele Kleinbauern kostete der Zyklon die Ernte. Die frühere britische Kolonie ist eines der ärmsten Länder der Welt: Die Hälfte der 18 Millionen Menschen lebt von weniger als 1,90 Dollar am Tag.

Jane Ansah sagte, Neuwahlen seien deshalb "zu kostspielig". Mutharika nannte das Gerichtsurteil einen "Justizirrtum" und erklärte, es anfechten zu wollen. Doch Dingiswayo Madise, Richter am Obersten Gericht, lehnte den Antrag ab. "Demokratie ist teuer. Bürgerrechte sind von größter Bedeutung", sagte er.

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