Jens Beutel hatte sichtlich Spaß in Ruanda. Fotos zeigen, wie der Mainzer Oberbürgermeister vor einem lendenbeschurztem Tänzer steht und die Arme ausbreitet, der wuchtige Sozialdemokrat lacht. In der ersten Oktoberhälfte besuchte Beutel mit einer Delegation den ostafrikanischen Staat. Es handelte sich um eine Einladung: Ruanda und Rheinland-Pfalz sind seit Jahrzehnten Partnerländer, fast 70 Millionen Euro flossen bislang aus Mainz in das bitterarme Land. Die Delegation besichtigte Projekte, die mit deutschem Geld finanziert werden.
Abends saßen die Deutschen an der Bar des schmucken Hotel Des Mille Collines in der Haupstadt Kigali. Beutel trank drei Gläser Rotwein, stand auf, entschwand auf sein Zimmer - ohne zu zahlen. Parteifreund und Landesinnenminister Roger Lewentz beglich die Zeche - und ärgerte sich. Offiziell grollt Minister Lewentz bis heute nicht, doch mitreisende Journalisten und Delegationsteilnehmer mit anderen Parteibüchern kolportierten den Vorfall.
Der beschauliche Trip nach Afrika löste in Mainz ein politisches Beben aus - die Posse um den Schoppen zwingt Beutel zum Rücktritt. Mit Rücksicht auf seine Familie und die politische Gestaltungsfähigkeit in der Stadt sei er zum Schluss gekommen, dass ihm eine weitere Arbeit an der Spitze der Stadt nicht länger möglich sei, teilte der 65-Jährige nun schriftlich mit. Eigentlich hätte Beutel bis Mai 2013 im Mainzer Rathaus regiert.
Zuvor hatte die Mainzer CDU im Stadtrat bereits einen Abwahlantrag eingebracht. Lagerübergreifend war die Empörung groß - auch in der städtischen Ampel-Koalition aus FDP und Grünen und SPD. Gerade in seiner eigenen Partei hatte Beutel Rückhalt verloren.
Sein Abgang ist das Ende einer bemerkenswerten Polit-Karriere. Bemerkenswert ist das Ende vor allem deswegen, weil Beutel bislang deutlich gravierendere Affären überstanden hatte.
Immer wieder war in SPD-Kreisen zu hören, dass die "Ruanda-Zeche" nur der Tropfen sei, der das Fass zum überlaufen gebracht habe. Dass sich einfach zu viel zusammengeleppert habe seit seinem Amtsantritt 1997: Es geht um Misswirtschaft, um marode städtische Firmen, um Amigo-Gebaren, das in Mainz unter "Handkäsmafia" firmiert. Und es geht um den früheren Richter Jens Beutel, dem der Ruch anhängt, dass er gerne etwas "umsonst mitnimmt".
Der langjährige Oberbürgermeister Jakob "Jockel" Fuchs hatte einst das "Mainzer Modell" installiert, ein überparteiliches System der Postenverteilung und der Gefälligkeiten. Fuchs habe sich "über bürokratische Zwänge hinweggesetzt, wenn es dem Wohl der Bürgerschaft diente", erklärte Amtsnachfolger Beutel vielsagend, als der Alt-OB 2002 starb. "Jockel" war äußerst beliebt beim Volk, weit über seine Amtszeit und die Parteigrenzen hinaus. Seine Philosophie vom Konsens-Klüngel trug wohl zur Malaise der "Wohnbau Mainz GmbH" bei.
Schludrigkeit, die sich bitter rächte
Im Aufsichtsrat des kommunalen Unternehmens saßen Vertreter von SPD, CDU, FDP und Grünen - und OB Beutel stand dem Gremium vor. Die Mitglieder wollten es bei Dingen wie der Rentabilitätsrechnung nicht so genau wissen.
Egal ob fahrlässig oder vorsätzlich: Die Schludrigkeit rächte sich bitter, denn die Geschäftsbauten waren ein großes Minusgeschäft, viele Gelder waren in hochriskanten Derivaten angelegt. Nach Ausbruch der Finanzkrise, im März 2009, schmierte die Wohnbau ab: Die Verbindlichkeiten beliefen sich auf 800 Millionen Euro. Nur ein eilig aufgespannter 300-Millionen-Rettungsschirm rettete die Stadttochter.
Der Geschäftsführer der Wohnbau hieß Rainer Laub, CDU-Mitglied und ehemaliger Fraktionsgeschäftsführer der Stadtratsfraktion. Laub und OB Beutel waren nicht nur Duz-Freunde. Die Rede ist von Reisen, Geschenken und Gefälligkeiten: Beutel ließ etwa sein Haus auf einem Grundstück der Wohnbau errichten - in günstiger Erbbaupacht. Jährliche Ersparnis: etwa 6000 Euro. Beutel sagte dazu, er habe sich nichts vorzuwerfen.
Nur ein "Missverständnis" ist für Beutel ein delikater Fall, der an die "Ruanda-Zeche" erinnert. Wohnbau-Manager Laub und das Stadtoberhaupt reisten zweimal gemeinsam zum Tegernsee samt Ehefrauen. Beutel sagt, Laub habe ihn zu den beiden Trips nach Oberbayern eingeladen. Laub widerspricht: Beim zweiten Mal sei Beutel einfach abgereist, ohne zu bezahlen. Beutels Antwort: "Das mache ich eigentlich seltener."
Vielleicht dachte der Oberbürgermeister, es liefe so ab wie häufig, wenn er auf Reisen ist: nämlich für lau. Als Mitglied des Aufsichtsrats der Überlandwerke Groß-Gerau begleitete er 2004 samt Gattin die Firmenspitze auf die italienische Insel Capri. Die Gesamtkosten der Sause - Blumen und Champagner inklusive - beliefen sich auf fast 50.000 Euro. Das Amtsgericht Mainz sah keinen dienstlichen Anlass für die Luxus-Reise und konstatierte Untreue. Der OB nahm den Strafbefehl über 9600 Euro an - und gab sich uneinsichtig. Wieder erklärte er, er habe sich nichts vorzuwerfen.
Ein anderes Mal fuhr Beutel umsonst an den Bodensee: Robert Graßl, der Geschäftsführer der Mainzer Messegesellschaft, lud den Oberbürgermeister zu den Bregenzer Festspielen ein, kam für Hotel und Opernbesuch auf. Pikant: Beutel war Aufsichtsratschef der städtischen Grundstücksverwaltungsgesellschaft, die eng mit Graßls Unternehmen zusammenarbeitet.
In der vergangenen Woche war Beutel als Zeuge vors Koblenzer Landgericht geladen, wo er zum Desaster der Wohnbau Mainz GmbH aussagte und sich an kaum etwas erinnern konnte. Dieser Auftritt brachte viele Sozialdemokraten mächtig in Wallung, auch wenn zunächst nur wenige ihrem Ärger offen Luft machten. Als dann wenige Tage später die Zechprell-Geschichte aus Kigali publik wurde, war das Maß des Erträglichen überschritten. Mainz, wie es zürnt und kracht.
"Es ist hochnotpeinlich"
Unter den Genossen in der gemütlichen Landeshauptstadt brodelte es: "Es ist hochnotpeinlich", sagte kurz vor dem Rücktritt eine Stimme aus der SPD zu sueddeutsche.de, Beutel sei generell gern ohne Geld unterwegs. Die Rhein-Zeitung zitierte Genossen aus dem Stadtteil Mombach, wo Beutel wohnt mit den Worten: "Der bezahlt doch nie etwas." Der Mainzer SPD-Parteichef Michael Ebling bestätigte der Allgemeinen Zeitung: "Der Ärger ist riesengroß."
Bis zuletzt kämpfte Beutel um seinen Posten mit einer Strategie aus Eingestehen und Herunterspielen: Er habe die Zeche nicht prellen wollen, für sein "Fehlverhalten" spende er gerne 1000 Euro einer Mainzer Hilfsorganisation. Dies sei aber nicht als "Freikauf" zu verstehen. Gleichwohl sei das ganze eine "Petitesse" und gleiche einer "Verfolgungsjagd".
All das nutzte nichts mehr, Beutels Beschwichtigungsversuche kamen zu spät: Die SPD hatte sich von ihm abgewandt, sie wollte den Oberbürgermeister loswerden.
Vor seinem Abgang hat Jens Beutel immerhin die Schulden aus Ruanda beglichen: Für Innenminister Lewentz, der Beutels Abendtrunk im fernen Kigali blechen musste, ist damit "alles geklärt", sagte sein Sprecher zu sueddeutsche.de.
Der Autor diskutiert unter twitter.com/#!/oliverdasgupta