1.-Mai-Randale in Berlin:"Die wollten uns plattmachen"

Der Ex-Hausbesetzer Alfons Kujat kämpfte in erster Reihe, als vor 20 Jahren die Kreuzberger Krawalle losgingen. Ein Gespräch über Wut, Gewalt und "Hütchen sammeln". Interview: Thorsten Denkler

Alfons Kujat war Boxer, Koch, Soldat und Hausbesetzer. Heute arbeitet er als Schauspieler. Über seine 1.Mai-Vergangenheit schrieb er das Buch "Du nicht! Stories aus dem Leben von Alfons Kujat"

sueddeutsche.de: Herr Kujat, die Geschichte der 1.Mai-Randale in Kreuzberg beginnt 1987 auf dem Lausitzer Platz. Wie fing alles an?

Alfons Kujat: Es war eines von den politischen Straßenfesten jener Zeit. Es gab Stände gegen Atomkraft und Atomwaffen. Ein friedliches Fest. Wir machten Theater vor meiner Kollektiv-Kneipe. Die nannte sich Kukucksei - war ziemlich bekannt damals. Gut 3000 Menschen waren auf dem Platz. Alte, Junge, Kinder, Türken, Punks, Normalos. Ein typischer 1. Mai damals.

sueddeutsche.de: Was geschah dann?

Kujat: Am Rande des Platzes gab es am Nachmittag eine Unruhe. Es war so gegen 16 Uhr 30. Plötzlich flogen Tränengasgranaten auf den Platz. Die Leute gerieten in Panik, Kinder liefen schreiend durch die Gegend. Und dann sahen wir eine kleine Polizeieinheit quer über den Platz prügeln. Die Menschen waren hilflos. Es war ein Riesen-Chaos.

sueddeutsche.de: Woher kamen die Polizisten?

Kujat: Das wussten wir damals nicht. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass zwei U-Bahn-Stationen weiter acht Autonome einen Polizeiwagen umgekippt hatten. Sie waren auf den Lausitzer Platz geflüchtet. Die Polizisten haben den Platz dann ohne Vorwarnung gestürmt.

sueddeutsche.de: Wie haben die Menschen auf dem Patz reagiert?

Kujat: Sie waren wutentbrannt. Sie müssen sich vorstellen, da sind Tränengasgranaten in eine Menge geworfen worden, in der Alte und Kinder ein friedliches Fest gefeiert haben. Es hat unter den Besuchern sofort eine große Solidarität gegeben und wir haben gemeinsam die Polizisten vertrieben, die ja mit Knüppeln auf uns zumarschiert waren.

sueddeutsche.de: Womit haben Sie sich zur Wehr gesetzt?

Kujat: Der Platz ist im Grunde eine Wiese. Steine waren da nicht. Wir haben uns gegriffen, was auf der Straße lag und sind damit auf die Polizeieinheiten losgegangen. Wir haben das im Nachhinein "Helmchen sammeln" genannt. Die Menge war so wütend, da hatte die Polizei keine Chance mehr. Es war wie ein emotionaler Kessel, der an dem Tag übergekocht ist. Das ging bis zum nächsten Morgen. Ältere Leute haben uns Stullen geschmiert.

Irgendwann war der Kiez so voll mit Polizei, dass kein Durchkommen mehr war. Ich habe viele Verletzte gesehen. Um halb vier morgens bin ich nach Hause gegangen. Ich hatte keine Lust, noch unnötig Gefangener zu werden und mir dicke Strafen einzufangen.

sueddeutsche.de: Woher kam die Wut?

Kujat: Erstmal war die Aktion mit dem Tränengas schon schlimm genug. Hinzu kam, dass der Kiez ein soziales Randgebiet war. Wer in Kreuzberg lebte, war stigmatisiert. Damals standen Rentner in den Türen der aufgebrochenen Supermärkte und haben uns Einkaufszettel in die Hand gedrückt. Der Politik war das egal.

Aber es war auch die Zeit, als für den Volkszählungsboykott mobilisiert wurde. Einen Tag vor dem 1. Mai ist deswegen der Mehringhof von der Polizei durchsucht worden. Das war und ist noch heute ein Treffpunkt der Linken und Autonomen in Kreuzberg, in dem politische Aktionen vorbereitet werden.

sueddeutsche.de: Mit dem Abstand von 20 Jahren: War es richtig, so massiv gegen die Staatsgewalt vorzugehen?

Kujat: Ich finde nach wie vor, dass es an dem Tag ein gerechtfertigter Widerstand der Bevölkerung im Kiez war. Wir hatten das Gefühl, wir sollten platt gemacht werden. Wenn davon noch Kinder betroffen waren, dann hatte das einen besonderen Auslöser-Effekt.

sueddeutsche.de: Die Gewalt hat sich in den Jahren danach verselbstständigt. War das auch zu rechtfertigen?

Kujat: Spätestens was ab 1990 passierte, hatte mit unserer Sache nichts mehr zu tun. Das war nur noch Krawalltourismus.

sueddeutsche.de: Sie gehörten damals zur Hausbesetzerszene. Wie leben Sie heute?

Kujat: Wir haben nach der Wende wieder ein Haus im Ost-Teil der Stadt, in Friedrichshain, besetzt. Aber wir haben es inzwischen legalisiert. Wir sind sozusagen von Besetzern zu Besitzern geworden.

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