Mafia-Jäger Raffaele Cantone:Die Geschäfte blühen

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sueddeutsche.de: Sie sagen, die Mafia sei in Deutschland sehr aktiv. Davon merkt man in der öffentlichen Wahrnehmung wenig. Wird das Problem hierzulande nicht ernst genommen?

Cantone: So würde ich das nicht sagen. Die deutsche Justiz arbeitet mit den italienischen Behörden gut zusammen. Ich weiß von Fällen, in denen deutsche Ermittlungen zu Verhaftungen italienischer Mafiosi geführt haben. Ein Problem ist allerdings die unterschiedliche Gesetzgebung. In Italien ist es strafbar, Mitglied einer mafiösen Vereinigung zu sein. Das gibt es in Deutschland nicht. Die deutsche Justiz kennt nur die terroristische Vereinigung. Hinzu kommt, dass Geld für die Deutschen ein Tabuthema ist. "Geld stinkt nicht", heißt es hier. Das ist ein Problem, weil die Mafia Deutschland zur Geldwäsche benutzt.

sueddeutsche.de: In dieser Woche wurde bekannt, dass die 'Ndrangheta vor der Küste Kalabriens offenbar ein Schiff versenkt hat, um Gift- oder Atommüll zu entsorgen. Ist das ein neuer Geschäftszweig?

Cantone: Schon seit den achtziger und neunziger Jahren spricht man auch von der Öko-Mafia, weil die Camorra in Neapel Müll in Erdlöchern, Seen und Kellern verschwinden ließ. Wenn es sich nun um ganze Schiffe handelt, hat das aber eine neue Qualität. Es bleibt abzuwarten, ob das ein sporadischer Fund war oder weitere Fälle publik werden. Ich halte es im Übrigen für unwahrscheinlich, dass das Schiff tatsächlich Atommüll geladen hatte. Aber Giftmüll wäre ja auch schon schlimm genug.

sueddeutsche.de: Was ist aus den klassischen Geschäftsfeldern wie Drogen- und Waffenhandel geworden?

Cantone: Diese Geschäfte blühen weiterhin. Die Clans haben sich spezialisiert, die Camorra beispielsweise auf den Drogenhandel. In Secondigliano, einem Stadtteil Neapels, betreibt ein Camorra-Bündnis den größten Drogenmarkt Europas. Unter freiem Himmel. Andere Clans treiben Handel oder beteiligen sich an Ausschreibungen. Weil sie mit illegalen Mitteln arbeiten, sind sie erfolgreicher als die Konkurrenz. Sie häufen Kapital an und beherrschen über kurz oder lang die Wirtschaft.

sueddeutsche.de: Saviano wirkt extrem emotional, wenn er über diese Machenschaften schreibt. Sie klingen hingegen stets sachlich. Warum?

Cantone: Das ist eben meine Art. Ich finde, dass man es nicht übertreiben darf. Man braucht einen nüchternen Blick. Deshalb heißt mein Buch auch "Allein für die Gerechtigkeit" und nicht "Allein gegen die Mafia". Ein Richter oder Staatsanwalt darf sich nicht als Missionar fühlen, sondern als jemand, der das Gesetz anwenden und für Gerechtigkeit sorgen will.

sueddeutsche.de: Dennoch haben Sie ein Buch geschrieben und sich somit dem Rampenlicht ausgesetzt.

Cantone: Es war wichtig für mich, dieses Buch zu schreiben. Es war die Gelegenheit, über eine intensive Zeit nachzudenken. Und ich hoffe, dass es einen Teil dazu beitragen kann, der Mafia zu zeigen, dass sie viele Gegner hat. Ganz normale Menschen, so wie ich einer bin.

sueddeutsche.de: Der Weg in die Öffentlichkeit dürfte die Gefahr eines Attentats noch vergrößert haben.

Cantone: Es ist nicht die Öffentlichkeit, die Verhaftungen vornimmt. Ich habe mich durch meine Arbeit als Staatsanwalt in Gefahr gebracht, nicht durch das Schreiben dieses Buches. Ich kann nur hoffen, dass mich die Camorra im Laufe der Zeit langsam vergisst.

Das Buch "Allein für die Gerechtigkeit" von Raffaele Cantone erscheint im Verlag Antje Kunstmann und kostet 19,90 Euro.

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