Geschichte der Demokratie:Ein kurzer Traum von Freiheit

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Märzrevolution in Berlin: Die Kavallerie greift vor dem königlichen Schloss das unbewaffnete Volk an, das dem König eine Petition übergeben wollte. (Zeichnung von J. Kirchhoff). (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Am 18. März 1848 siegten Berliner über Obrigkeit und König - zu einem hohen Preis und nur für kurze Zeit. Ihre Helden liegen auf dem "Friedhof der Märzgefallenen". Der Bundespräsident erinnert an die Revolutionäre.

Von Robert Probst, München

Der russische Gesandte ist tief beeindruckt. "Der Alexanderplatz war der Zentralpunkt des Aufstandes. Auf der Barrikade gegenüber dem Schloss wehte die republikanische Fahne. Man kann nicht verbergen, dass der allergrößte Teil der Bürger an dem Aufstand teilgenommen hat, sogar die Hausbesitzer begünstigten den Barrikadenbau und das Aufreißen des Straßenpflasters; die Pflastersteine wurden von Frauen und Kindern auf das Dach der Häuser getragen . . ."

Das Militär aber geht mit äußerster Brutalität gegen die Freiheitskämpfer vor. Ein Offizier berichtet: "Das Einschlagen der Ecktür des Hauses Friedrichstraße 190 gelang uns. Auf der Treppe jedoch, welche zu dem Dach führt, widersetzten sich die Aufständischen hartnäckiger; ihr Mut wurde indes durch die Verwundung des Anführers gebrochen. Dies war der Referendar und Landwehrleutnant Gustav von Lenski, der bereits drei tödliche Schüsse im Leib habend, dennoch, mit dem Degen in der Faust die Treppe verteidigte, bis ihm eine Kugel beide Beine zerschmetterte. Füsiliere schleiften ihn die Treppe hinunter . . ."

Am Abend dieses denkwürdigen Tages sind 183 Berliner tot - aber die Revolution hat gesiegt, vorläufig. Es ist der 18. März 1848.

Am nächsten Tag ordnet der König den Abzug der Truppen aus Berlin an. Zumindest für kurze Zeit träumen viele von Einheit, Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit - und feiern die Toten als Helden der Revolution.

Die Demokratie wurde mit Mut errungen

Berlins Kultursenator Klaus Lederer erinnerte am Donnerstag an die Opfer, die für Freiheit und Demokratie kämpften. "Wir sollten den 18. März 1848 als einen Tag der deutschen Geschichte erinnern, der am Anfang unserer demokratischen Gesellschaft steht", sagte der Linke-Politiker in einer Mitteilung. "Wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Demokratie nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sie wurde erstritten und errungen." Der 18. März solle daher als Gedenktag in der Gesellschaft wahrgenommen und begangen werden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte einen Kranz auf dem "Friedhof der Märzgefallenen" nieder. Man müsse sich bewusst machen, "dass es immer wieder mutige Menschen waren, die für die Demokratie in Deutschland gekämpft haben und auch dafür gestorben sind", sagte das Staatsoberhaupt.

Gedenken an die Gefallenen: Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender am Donnerstag in Friedrichshain. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Dieser Friedhof liegt heute am Südende des Volksparks Friedrichshain auf einer kleinen Anhöhe, fast versteckt hinter einem riesigen Krankenhaus. Wenig erinnert auf dem kleinen Areal an eine Ruhestätte, nur am Rand sind noch einige Grabsteine für die Revolutionsopfer erhalten, darunter auch ein Gedenkstein für Gustav von Lenski. Eine kleine Ausstellung mit Namen "Am Grundstein der Demokratie" zeugt von der Geschichte vor 173 Jahren.

Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gärt es in Europa, Aufklärer und Philosophen haben neue Ideen der Staatsführung entwickelt und Kritik an Kleinstaaterei und Monarchie geübt; auch im Deutschen Bund wächst die Unzufriedenheit mit den Fürsten, liberale Vordenker formulieren freiheitliche Forderungen. Die Februarrevolution in Paris 1848, die mit der Ausrufung der Republik endet, entfacht auf dem ganzen Kontinent ein Feuer revolutionärer Begeisterung.

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In allen deutschen Großstädten werden nun lautstark "Märzforderungen" erhoben: Presse- und Versammlungsfreiheit, unabhängige Gerichte, Recht auf "sinnvolle Arbeit", konstitutionelle Rechte und die Einberufung eines deutschen Parlaments. Und überall in Deutschland hat dieser Druck der Straße unerwartet schnell Erfolg: Die Monarchen geben nach und berufen liberale Regierungen ins Amt. Die Deutschen haben zum ersten Mal eine richtige Revolution zustande gebracht.

Etwa 270 Zivilisten sterben in Berlin

Nur der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zögert zunächst, er hofft, die Lage durch die Präsenz seiner Truppen in der Hauptstadt unter Kontrolle halten zu können. Die Bürger sind empört, der wichtigste Punkt ihres Forderungskatalogs vom 17. März lautet: "Zurückziehung der militärischen Macht, Organisation einer bewaffneten Bürgergarde."

Einen Tag später hebt der König die Zensur auf, beruft den ständisch verfassten Landtag ein und bekennt sich zur Notwendigkeit einer Verfassung für alle deutschen Staaten. Die große Menschenmenge vor dem Schloss reagiert nicht mit einhelliger Zustimmung auf die Botschaft. "Die Soldaten fort! Das Militär zurück!", wird gerufen. Die Truppen erhalten Befehl, den Schlossplatz zu räumen, dabei lösen sich zwei Schüsse - und der Aufstand bricht los.

Rund um das Schloss errichten die Revolutionäre Barrikaden, um ein Vordringen der Soldaten in die Wohnviertel zu verhindern. Es ist ein ungleicher Kampf, der Feuerkraft der Truppen haben die Zivilisten kaum etwas entgegenzusetzen, außer ihren Mut und den Glauben an eine gerechte Sache. Das rücksichtslose Vorgehen des Militärs führt zu einer starken Solidarisierung innerhalb aller Bevölkerungsschichten.

Beteiligt an den blutigen Kämpfen sind aber mehrheitlich Handwerker, Arbeiter, Obdachlose und Jugendliche, die meist aus den Arme-Leute-Vierteln stammen; das zeigt die Bilanz der letztlich 270 zivilen Toten am 18. und 19. März. Bürgerlich ist dieser Teil der Berliner Revolution nicht - Leutnant Lenski ist insofern eine Ausnahmeerscheinung.

Der Mediziner Rudolf Virchow ist Zeuge der Auseinandersetzungen: "Gestern mittag begann der erste Kampf, 12 Stunden lang hallte die Stadt wider von dem Donner der Kanonen und des Kleingewehrfeuers - heute ist das Volk siegreich hervorgegangen, und kaum hat das Königtum einige armselige Trümmer gerettet. In diesem Augenblick feiert Berlin diese Revolution, und die Stadt tönt wider von Freudenschüssen an allen Ecken."

Ein König in Schwarz-Rot-Gold

Friedrich Wilhelm IV. erkennt betrübt seine Niederlage, gibt den "Einwohnern meiner geliebten Vaterstadt" sein "königliches Wort", die Straßen und Plätze von den Truppen zu räumen - und stellt sich an die Spitze der Bewegung. Persönlich nimmt er an der Ehrung der zivilen Opfer teil, die von überall her auf den Schlossplatz getragen werden. Eine liberale Regierung wird eingesetzt. Am 21. März unternimmt der König einen Umritt durch Berlin, mit einer schwarz-rot-goldenen Binde am Arm, und redet von "Deutschlands Freiheit und Deutschlands Einigkeit". Und davon, dass Preußen fortan in Deutschland aufgehen werde. Das Volk jubelt.

Die Märzgefallenen werden am 22. März auf dem Gendarmenmarkt aufgebahrt, 100 000 Menschen sind gekommen, die ganze Stadt ist in Schwarz-Rot-Gold geschmückt. Auch der Maler Adolph Menzel ist herbeigeeilt und versucht, die Spontanität der Massen, den unorganisierten Optimismus der Berliner festzuhalten. Nach dem Gottesdienst bewegt sich der Trauerzug vier Stunden lang durch die Stadt. Es sind kaum Uniformen zu sehen, die Beerdigung der 20 getöteten Soldaten auf demselben Friedhof haben die Berliner abgelehnt, es ist ein Tag der Toten des Volkes.

Auf dem Schlossplatz muss sich der König einer weiteren Demütigung unterziehen, Menzel notiert: "So oft nun ein neuer Zug Särge vorbeikam, trat der König barhaupt heraus und blieb stehen, bis die Särge vorüber waren. Sein Kopf leuchtete von ferne wie ein weißer Flecken. Es mag wohl der fürchterlichste Tag seines Lebens gewesen sein."

Die alten Mächte stehen wieder auf

Doch nicht nur in Preußen, wo reaktionäre Einflüsterer den König beeinflussen, gewinnen die gegenrevolutionären Kräfte alsbald wieder die Oberhand. Das Paulskirchen-Parlament steht vor einem allzugroßen Berg von Problemen, die nicht alle gleichzeitig gelöst werden können. Die alten Mächte lösen die Versammlung gewaltsam auf. Friedrich Wilhelm IV. wittert als einer der Ersten "gesetzlosen Zustand" und einen "Abgrund an Anarchie" und löst schon am 5. Dezember 1848 staatsstreichartig die linksorientierte Berliner Nationalversammlung auf. Die Demokratiebewegung hat verloren.

Adolph Menzel übrigens hat sein Werk "Die Aufbahrung der Märzgefallenen" nicht fertiggestellt - aber signiert. Experten mutmaßen, er habe es bewusst unvollendet gelassen. So, wie auch die Revolution 1848 nicht vollendet wurde. Vorerst jedenfalls.

(Die Passagen über die Vorgänge in Berlin von 1848 wurde zuerst veröffentlicht auf der SZ-Historienseite von 28.5.2011)

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