Maduro gegen Guaidó:Warum der Machtkampf in Venezuela noch nicht entschieden ist

Das System Maduro ist zäh - es überlebt dank der Privilegien, die vor allem das Militär genießt. Hat Oppositionsführer Guaidó seine Kräfte überschätzt?

Kommentar von Sebastian Schoepp

Seit Januar müht sich der Oppositionelle Juan Guaidó, das zu erringen, was ihm seiner Meinung nach und der Meinung der westlichen Welt zufolge zusteht: die Macht in Venezuela. Doch weder Demonstrationen, Sanktionen, noch die zur politischen Waffe umfunktionierten Hilfslieferungen haben am Status quo etwas ändern können.

Nicolás Maduro erwies sich als zäh - und die Weltöffentlichkeit begann, sich an das karibische Zwei-Präsidenten-System zu gewöhnen. Die Demonstrationsbegeisterung in Caracas schwand. Die Venezolaner, durch das Chaos abgehärtet, zeigten jene Eigenschaft, die sie seit Jahr und Tag trainieren: irgendwie überleben. Oder sie wanderten eben aus. Juan Guaidó brauchte einen Befreiungsschlag. So blies er zum Aufstand.

Was hinter den Kulissen abgelaufen ist, in den verwinkelten, konkurrierenden Machtzirkeln von Caracas, ist für Außenstehende nicht zu durchschauen. Guaidó behauptet, er habe Signale aus dem Regierungslager erhalten, das Militär als eigentlicher Machtfaktor werde zu ihm überlaufen. Doch die Generäle richten sich stets danach, wer die besten Garantien gibt. Sie wollen Pfründe und Privilegien behalten, alles beim Alten belassen, egal was sich ändert. Ihr Garant war stets Nicolás Maduro.

Selbst Trump weiß, dass ein forsches Eingreifen die Reihen um Maduro eher schließen würde

Juan Guaidó kann solche Garantien nicht geben, weil er nicht die Macht dazu hat, nicht mal in den eigenen Reihen. Er steht einer diffusen Bewegung vor: Da sind aufrechte Demokraten und verzweifelte junge Menschen dabei, viele Gebildete aus dem Mittelstand.

Da sind aber auch Typen wie der aus dem Hausarrest befreite Scharfmacher Leopoldo López, der ehemalige Geheimdienstler Hugo "El Pollo" Carvajal, der bei einem Besuch in Madrid verhaftet wurde, weil ihn die US-Drogenpolizei sucht, oder der frühere Putschist Otto Gebauer Morales, der sich in Berlin als Botschafter andiente und auf kühle Distanz traf. Auch im Auswärtigen Amt dämmert es, dass man sich wohl etwas voreilig auf eine Seite geschlagen hat.

Womöglich hat Juan Guaidó auch aus Verzweiflung gehandelt, in der Hoffnung, die USA oder rechtsgerichtete Nachbarländer würden zur Invasion schreiten. Vielleicht hat er versucht, seine Festnahme zu provozieren, vor der die USA stets gewarnt haben. Aber selbst Donald Trump weiß, dass ein forsches Eingreifen in Venezuela die Reihen um Maduro eher schließen würde.

Maduros Lager wird zwar schwächer, ist aber nach wie vor stark. Wer die Bilder der regierungstreuen Demonstranten anschaut, sieht viele ältere oder älter werdende Menschen aus den barrios, wie in Venezuela die Armenvierteln heißen. Sie verehren Maduros verstorbenen politischen Ziehvater Hugo Chávez mit religiöser Inbrunst, weil er ihnen nach ihrem eigenen Empfinden Würde und Stimme verliehen hat, weil er kubanische Ärzte in die Baracken schickte und Ölgeld verteilte.

Diese Menschen wollen an der chavistischen Revolution festhalten, auch wenn die längst zur ranzigen Diktatur geworden ist. In Maduros Netz von Abhängigkeiten, Patronage und Opportunismus, diesem in Tausenden Komitees und Milizen organisierten Apparat nach dem Modell Kubas und Nicaraguas, finden manche immer noch den Halt, den sie in Guaidós liberalem Versprechen eines freien Marktes nicht spüren. Es ist ein Modell ohne Nachhaltigkeit, aber wer im Armenviertel wohnt, denkt nur daran, wie er den nächsten Tag übersteht. So wie Nicolás Maduro.

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