Europa soll ein Zufluchtsort für Forscher aus der ganzen Welt werden, ein politisches Exil gewissermaßen für „wissenschaftliche Flüchtlinge“, wie es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag in einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne nannte. Und da es sich dabei in erster Linie um Wissenschaftler aus den USA handelt, mithin die Crème der globalen Forschung, ist der „Appell der Sorbonne“, den Macron zusammen mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission, an die Welt richtet, schon eine denkwürdige Sache. Die gewählte Terminologie ist bewusst dramatisch, intoniert auf die besonderen Zeiten.
Zu den Eigenarten dieser Zeit gehört auch, dass in politischen Reden der Name Donald Trump bewusst nicht erwähnt wird, selbst dann nicht, wenn es offensichtlich um ihn geht. In diesem Fall geht es um Trumps Angriffe auf die freie Wissenschaft, um Budgetkürzungen bei der Forschung auf gewissen Gebieten, um den Konflikt mit den Top-Universitäten in den USA. Es geht auch um internationale Forscher, die sich wegen des politischen Klimas gar nicht mehr trauen, in die Vereinigten Staaten zu reisen.
Europa hofft, in vielen Forschungsfeldern aufzuholen
„Choose Europe for Science“, also „Entscheidet euch in der Wissenschaft für Europa“, so nennt sich das Programm. Es ist die ausgeweitete Version des Slogans „Choose France for Science“, eine ursprünglich französische Initiative, die sich Frankreich mit seinen hohen Staatsschulden aber allein nicht leisten kann. Und ohne zusätzliches Geld lassen sich die Besten nicht anlocken, zumal man in diesem Wettbewerb auch mit anderen demokratischen Zufluchtsorten konkurriert, etwa mit Großbritannien, Australien, Kanada.
In Paris und Brüssel ist man überzeugt, dass Trumps Kurs eine Chance ist, den Rückstand Europas auf vielen Forschungsfeldern zu korrigieren. Macron sagte in seiner Rede, der Umgang „einer der größten Demokratien der Erde“ mit der Wissenschaft sei ein „großer Fehler“, über den man sich nur wundern könne. Der Erfolg der USA basiere ja zu einem schönen Teil auf ihrem Forschungsmodell.
Ursula von der Leyen porträtierte Europa als Heimat der freien Wissenschaft. Ihre Rede begann sie mit der polnisch-französischen Physikerin und Chemikerin Marie Curie, deren Vermächtnis in den Sälen der Sorbonne noch lebendig ist. Es folgt ein möglichst scharfer Kontrast zur Situation in den USA. „Wir sind uns alle einig“, sagte sie, „dass die Wissenschaft keinen Pass, kein Geschlecht, keine ethnische Zugehörigkeit und keine Zugehörigkeit zu einer politischen Partei hat.“
Wissenschaftliche Freiheit und Zusammenarbeit müssten „stets im Mittelpunkt unserer Institutionen und unserer Infrastruktur stehen“. Deshalb sei sie gekommen: Europa werde sich immer für die Wissenschaft entscheiden – und sich stets dafür einsetzen, dass die Forscher der Welt sich für Europa entscheiden. Der Ruf gilt offensichtlich auch nach innen, denn auch in der EU gibt es Mitgliedstaaten wie Ungarn, die Universitäten aus politischen Gründen unter Druck setzten. Europa müsse „die Heimat der akademischen und wissenschaftlichen Freiheit bleiben“, sagte von der Leyen.
Wissenschaftler werden mit vielen Millionen Euro angelockt
Die Initiative „Choose Europe“ soll aus mehreren Elementen bestehen. Erstens: aus zusätzlichem Geld. Von der Leyen verspricht 500 Millionen Euro zusätzlich für die Jahre bis 2027, um Europa „zu einem Magneten für Forscherinnen und Forscher zu machen“. Der Betrag, den Wissenschaftler erhalten können, wenn sie nach Europa kommen, soll verdoppelt werden, und das Geld schneller verfügbar sein. Macron verhieß, dass Frankreich seinerseits weitere 100 Millionen Euro zuschießen werde.
Zweitens will die Europäische Kommission Nachwuchsforscher stärker unterstützen, mit höheren Vergütungen und längeren Verträgen. Drittens soll der Weg von wissenschaftlichen Durchbrüchen hin zu innovativen Geschäftsmodellen beschleunigt werden. Und viertens, sagte von der Leyen, wolle man die „Einreise von Spitzenforschern beschleunigen und vereinfachen“. All dies, angekündigt unter kursorischem Verweis auf baldige Gesetzesinitiativen der Kommission.
Einige französische Universitäten haben ihre Lockkampagnen allerdings bereits gestartet, etwa die Aix-Marseille Université. In wenigen Wochen sind allein aus den USA etwa 300 Bewerbungen von Forschern eingegangen, die meisten von ihnen US-Staatsbürger. 600 000 bis 800 000 Euro, verteilt auf drei Jahre – so viel sollen Forscher, die dann einmal genommen werden, jeweils verdienen in der Provence.
Die Uni im Süden Frankreichs wirbt also nicht so sehr mit Geld, mit amerikanischen Universitäten kann sie nicht mithalten: In Frankreich verdienen Wissenschaftler im Durchschnitt halb so viel wie die Kollegen in den USA. Stattdessen locken Aix-en-Provence und Marseille mit „Forschung an der Mittelmeerküste“ und einer „besseren Lebensqualität“, wie es in der Ausschreibung heißt. Gesucht werden unter anderem Astrophysiker, Onkologen, Umweltwissenschaftler und Experten in Genderstudien. In manchen dieser Suchprofile hört man das Echo von Trumps Namen.
Macron schloss seine Rede mit der leicht erweiterten Formel dessen, was französische Präsidenten ans Ende jeder Rede setzen, als Siegel für alle Zeiten: „Es lebe die Forschung, es lebe die freie und offene Wissenschaft. Vive l'Europe, vive la République, vive la France.“