Verteidigungspolitik:Macron düpiert die Nato

Verteidigungspolitik: Offener Dissens: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) und Nato-Generalsekreträr Jens Stoltenberg am Donnerstag in Paris.

Offener Dissens: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) und Nato-Generalsekreträr Jens Stoltenberg am Donnerstag in Paris.

(Foto: Bertrand Guay/AP)
  • Der Zwist zwischen Frankreich und der Nato hält weiter an.
  • Nato-Generalsekretär Stoltenberg konnte den Konflikt bei einem Besuch in Paris nicht entschärfen.
  • Frankreichs Präsident Macron hatte das Verteidigungsbündnis als "hirntot" bezeichnet.

Von Daniel Brössler, Berlin, Matthias Kolb, Brüssel, und Nadia Pantel, Paris

Die Spannungen zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sind am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Pariser Élysée-Palast deutlich geworden. Stoltenberg sagte, dass die Nato so schlagkräftig sei wie seit Jahren nicht. Macron hingegen sagte, die letzten zwei Nato-Gipfel seien nur der Frage gewidmet gewesen, wie man die finanzielle Beteiligung der USA an der Nato senken könne. Dies sei eine "nicht hinnehmbare Kluft" zu den tatsächlichen politischen Herausforderungen, vor denen die Allianz stünde.

Stoltenberg besuchte Macron wenige Tage vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten in London, wo eigentlich das 70-jährige Jubiläum der Militärallianz gefeiert werden sollte. Die Bemerkung Macrons, wonach die Nato "hirntot" sei, macht den Mini-Gipfel nun noch unberechenbarer - und das liegt nicht mehr nur an US-Präsident Donald Trump.

Beim Auftritt mit Stoltenberg wiederholte Macron die umstrittene Formulierung zwar nicht, hielt jedoch an seiner Position fest, dass es zwischen den Mitgliedern der Allianz grundlegende Fragen zu klären gebe. Es müsse neu darüber diskutiert werden, wie Europa verteidigt werden könne. Dazu sei auch ein "klarsichtiger, robuster, fordernder Dialog" mit Russland nötig, den er "ohne naiv zu sein" begonnen habe. Weder Russland noch China seien gemeinsame Feinde der Nato, sondern "der Terrorismus, der alle unsere Länder getroffen hat". Macron stellte die rhetorische Frage, ob Europa dadurch sicherer geworden sei, dass der Dialog mit Russland fehle.

Stoltenberg wandte sich gegen den Vorwurf, der Nato mangele es an einer gemeinsamen Strategie. "Die Nato ist die einzige Plattform, auf der Europa und die USA gemeinsam strategische Fragen diskutieren. Wir tun das täglich", so Stoltenberg. "Die Europäische Union kann Europa nicht verteidigen. Eine starke EU und eine starke Nato sind zwei Seiten derselben Medaille."

Macron hatte vorher über die neue "europäische Sicherheitsarchitektur" gesprochen, die er seit Monaten skizziert. Frankreich will die militärische Abhängigkeit der EU von den USA reduzieren. Stoltenberg sagte, er begrüße Frankreichs verstärktes Engagement in der europäischen Verteidigungspolitik. Die Diskussion müsse aber "auf die richtige Art und Weise" angestoßen werden. Dies kann als Seitenhieb auf Macrons eskalierende Kommunikationsstrategie gelesen werden.

Dessen Economist-Interview ist in Brüssel weiter ein omnipräsentes Thema. Neben der "Hirntod"-Äußerung wundern sich viele über das offensive Werben um Wladimir Putin und eine mögliche Annäherung an Russland. Überrascht und mitunter auch wütend wurde in der Nato-Zentrale aufgenommen, dass Macron Ende Oktober einen Brief an Putin geschrieben hatte, wonach dessen Vorschlag für ein Moratorium für Mittelstreckenwaffen in Europa es verdiene, "eingehend geprüft zu werden". Damit wich Paris von der offiziellen Nato-Linie ab: Stoltenberg hatte das Angebot bereits Ende September abgelehnt.

"Wir brauchen mehr Zusammenhalt", sagt Außenminister Maas über Europa

Diplomaten bezeichnen Putins Offerte als "vergiftet" und "hinterlistig". Denn alle anderen 28 Nato-Mitglieder teilen die Überzeugung der USA, dass Russland den INF-Vertrag zum Verbot von Mittelstreckenraketen seit Jahren bricht und Dutzende Marschflugkörper vom Typ 9M729 (in der Nato heißen sie SSC-8) stationiert hat. Daher waren die USA im August aus dem bilateralen INF-Vertrag ausgestiegen. Die 9M729-Raketen können bis auf Portugal jedes EU-Land erreichen, weshalb Putins Vorschlag als unglaubwürdig eingestuft wird. Schließlich würde er einen Zustand zementieren, der Moskau bevorteilt. Die Nato-Staaten verfügen kaum über Kapazitäten im Kurz- und Mittelstreckenbereich, also mit Reichweiten bis 5500 Kilometer.

Macrons Klarstellung an der Seite Stoltenbergs, er habe das Moratorium nicht akzeptiert, dürfte die Besorgnis in der Allianz nur wenig mindern. Frankreich hatte zwar das Antwortschreiben an Moskau den Partnern in Kopie übermittelt, weshalb Diplomaten betonen, dass Macron "keine Sympathie" für Putins Vorschlag habe. Dennoch stützt das Vorgehen den Brüsseler Eindruck, dass Frankreichs Präsident zwar mehr Kooperation anmahne, aber bevorzugt alleine lospresche und die Sorgen der Balten und Skandinavier vor Moskau nicht ernst nehme.

Auch in Berlin hat die Irritation über Macron eher noch zugenommen. Wohl auch deshalb widmete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch einen erstaunlich großen Teil ihrer Rede der Generaldebatte der Nato. Macrons "Hirntod"-Äußerung wird in der Bundesregierung so verstanden, dass Macron die Allianz praktisch aufgegeben hat und sie durch eine rein europäische Verteidigung ersetzen will. Das aber hält man für abenteuerlich. Europa sei nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, warnte Merkel.

Am Donnerstag legte Außenminister Heiko Maas (SPD) nach, und zwar noch klarer als bisher. "Gedankenspiele über eine Entkoppelung amerikanischer und europäischer Sicherheit machen mir Sorgen, nicht nur mit Blick auf unsere eigene Sicherheit", sagte er bei einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Sie entzweien auch Europa. Wir brauchen aber keine neuen Gräben. Wir brauchen mehr Zusammenhalt", kritisierte er.

Tatsächlich sind östliche Nato-Staaten wie Polen höchst alarmiert. In der Nato sehen sie die Rückversicherung gegenüber Russland. Die französische Diagnose halte man für falsch, sagte Polens Außenminister Jacek Czaputowicz zu Wochenbeginn in Berlin, denn die Allianz finde "die richtigen Antworten auf die Herausforderungen im Osten". Die Äußerungen Macrons dienten nicht der wichtigen Einheit im Bündnis". Ausdrücklich dankte er Merkel und Maas für ihren Widerspruch. Nach Jahren der Distanz wegen des Streits über Rechtsstaatsdefizite in Polen nähern sich Berlin und Warschau wieder an. Auch das ist ein Nebeneffekt von Macrons Politik.

Er gab bei der Pressekonferenz mit Stoltenberg zu Protokoll, er sei glücklich, dass die Allianz den Weckruf gehört habe und nun über grundsätzliche Fragen diskutiert werde. Die Nato könne auf Frankreich zählen, auf "sein Engagement und seine Armee". Paris sei "daher ein zuverlässiger und fordernder Partner".

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