Macron-Besuch:"Wir alle sind gemeinsam sehr wachsam"

Macron-Besuch: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plädiert schon lange für eine stärkere Souveränität Europas bei der Verteidigung.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plädiert schon lange für eine stärkere Souveränität Europas bei der Verteidigung.

(Foto: John Thys/AFP)

Beim Treffen von Kanzler Scholz mit Präsident Macron in Berlin geht es auch darum, welche Rolle Europa im Ukraine-Konflikt spielen kann. Beide wollen ein altes Gesprächsformat wiederbeleben.

Von Daniel Brössler, Berlin, und Nadia Pantel, Paris

Vor dem Essen ruft die Pflicht. Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Gast Emmanuel Macron müssen tun, was der französische Präsident schon in seinen Jahren mit Angela Merkel perfektioniert hat. Es gilt, deutsch-französische Einigkeit zu zelebrieren. Dort, wo es sie gibt. Und dort, wo es gut wäre, wenn es sie gäbe. Das war so beim Antrittsbesuch von Scholz vor sechs Wochen in Paris, das war so beim EU-Gipfel in Brüssel, und das kann nicht anders sein beim ersten Berlin-Besuch des französischen Präsidenten seit dem Amtsantritt des sozialdemokratischen Kanzlers. Was sich allenfalls geändert hat, ist die Lage. Sie ist noch ernster geworden.

Als Scholz Macron am Dienstagabend im Kanzleramt empfängt, ist es keine 24 Stunden her, dass beide an einer Videoschalte von US-Präsident Joe Biden mit den wichtigsten europäischen Verbündeten zur Ukraine-Krise teilgenommen haben. Es sei so, "dass wir die Situation ernst nehmen, denn sie ist ernst", macht Scholz nun an der Seite von Macron deutlich. "Wir alle sind gemeinsam sehr wachsam", pflichtet der französische Präsident bei. Man verfolge "in Echtzeit" die Situation und bereite für den Fall der Fälle gemeinsame Antworten vor. Das Weiße Haus hatte Russland nach der Videoschalte "massive Konsequenzen und hohe wirtschaftliche Kosten" für den Fall angedroht, dass es militärisch gegen die Ukraine vorgeht.

Weder Scholz noch Macron haben am Dienstagabend die Absicht konkreter zu werden. Ihre Hauptbotschaft ist eine andere und sie wird während des gemeinsamen Auftritts auch dann deutlich, wenn sie gar nicht über die hochbrisante Lage an der russisch-ukrainischen Grenze sprechen. Niemand soll auf den Gedanken kommen, es könnte haken in der neuen Paarung Macron-Scholz. "Wir haben eine feste Überzeugung: Wir müssen zusammenarbeiten. Wir müssen Kompromisse entwickeln und es darf niemals zu einem Missverständnis kommen", sagt Macron. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich seien von "allergrößter Bedeutung für unsere beiden Länder", ergänzt Scholz. Es sei eine "Führungsaufgabe der jeweils Verantwortlichen, dafür zu sorgen, dass diese Freundschaft eine Zukunft hat. Das werden wir machen".

Macron will den Eindruck vermeiden, er mache sein eigenes Ding

Im Élysée war schon vor der Abreise Macrons betont worden, dass man in dieser "sehr angespannten Situation" die eigene Position "sehr genau mit Deutschland abstimmen werde". Man werde sich einer gemeinsamen Analyse der Lage versichern, damit man sich einig sei, "wie man handelt, wenn die Situation sich verschlimmert". Vermieden werden soll der Eindruck, Macron mache sein eigenes Ding etwa bei einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, das für Freitag angesetzt ist, um einen "Weg der Deeskalation" zu suchen. "Anspruchsvoll" werde das, sagt Macron in Berlin, denkt aber auch laut über eine gemeinsame Reise mit Scholz nach Moskau nach.

Erst einmal sollen an diesem Mittwoch in Paris russische, ukrainische, deutsche und französische Diplomaten zusammenkommen, um nach längerer Pause wieder im sogenannten Normandie-Format zu verhandeln. Versucht werden soll, humanitäre Maßnahmen voranzubringen, also den Austausch von Gefangenen, die Versorgung Bedürftiger und die Öffnung von Checkpoints. Auch über andere Einzelheiten der Umsetzung des 2015 geschlossenen Minsker Abkommens zur Befriedung des Donbass soll gesprochen werden. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, die Umsetzung zu verschleppen. In Paris soll es etwa um ein Datum gehen, an dem die Ukraine und die Separatisten über ein Gesetz zum Status des Donbass diskutieren.

Macron und Scholz betonen unisono die Bedeutung, die sie den Versuchen beimessen, die Normandie-Verhandlungen wieder in Gang zu kriegen - steht es doch für das europäische Bestreben, Verantwortung für den Frieden auf dem eigenen Kontinent zu übernehmen. Ukrainische Überlegungen, die USA mit ins Boot zu holen, werden in Paris und in Berlin abgelehnt. Sowohl der Präsident als auch der Kanzler machen aber auch klar, dass das nur eines von vier Foren zur Entschärfung der Lage ist - neben den amerikanisch-russischen Gesprächen, denen mit der Nato und innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Es sei gelungen, "dass plötzlich viele Gesprächsformate neue Aktualität erlangt haben, die lange nicht mehr funktioniert haben", lobt Scholz. Die Aufgabe sei es nun, alle diese Möglichkeiten zu nutzen, um über die Beziehungen zu sprechen "und ernsthafterweise auch zu streiten und aus der Lage herauszukommen, in der wir uns jetzt befinden". Macron betont die "Einheit der Europäer und ihrer Bündnispartner". Es sei gut, dass Amerikaner und Russen redeten, wichtig sei aber auch der Dialog der Europäischen Union mit Russland. Macron spricht dabei auch vom "Willen, einen gemeinsamen Sicherheitsraum in Europa zu schaffen".

Schon vergangene Woche hatte Macron vor dem Europäischen Parlament in Straßburg eine "gemeinsame Sicherheitsordnung" Europas gefordert. Europa müsse eine "Macht des Friedens" sein, die den Dialog mit Russland suche. Das fügt sich in seine seit Jahren wiederholte Idee einer stärkeren "europäischen Souveränität" in der Verteidigung. Als Abkehr von der Nato will Macron das aber ausdrücklich nicht verstanden wissen. Verwiesen wird in Paris auf die Teilnahme französischer Soldaten an der Nato-Präsenz in Litauen, Estland und bald auch in Rumänien. Anders als Deutschland ist Frankreich nach Angaben aus dem Élysée bisher von der Ukraine nicht um Waffenlieferungen gebeten worden. Man höre jedoch in allen Fragen der logistischen Unterstützung "sehr aufmerksam" auf die Wünsche aus der Ukraine.

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