NahostkonfliktWie Emmanuel Macron versucht, den Realitäten zu trotzen

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Diplomatische Partner in der Nahostpolitik: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (li.) und der saudische Kronprinz und Premier Mohammed bin Salman, hier im vergangenen Dezember.
Diplomatische Partner in der Nahostpolitik: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (li.) und der saudische Kronprinz und Premier Mohammed bin Salman, hier im vergangenen Dezember. (Foto: Bandar Aljaloud/AP)

Frankreichs Präsident startet eine neue Initiative für Frieden im Nahen Osten – und für einen palästinensischen Staat. In einigen arabischen Ländern stößt Macron auf Wohlwollen. Aber es fragt sich, ob er seinen Einfluss überschätzt.

Von Tomas Avenarius und Oliver Meiler, Berlin/Paris

Emmanuel Macron wählt vorsichtige Worte für seinen neuesten diplomatischen Vorstoß zu Nahost, viel Konjunktiv – alles andere wäre auch kühn. Doch die Initiative des französischen Präsidenten ist dann doch wuchtig genug, dass sie ein lautes Echo auslöst, gerade in der arabischen Welt.

Auf der Rückreise aus Ägypten, wo er bei seinem Staatsbesuch ein palästinensisches Flüchtlingslager in der Nähe von Gaza besucht hatte, sagte Macron zum Fernsehsender France 5, dass er zu einer „kollektiven Dynamik“ für die Befriedung des Nahen Ostens beitragen wolle. „Wir müssen Richtung Anerkennung eines palästinensischen Staates gehen, und darum werden wir in den kommenden Monaten in diese Richtung gehen.“ Er denke, dass der Moment komme, dass das der richtige Weg sei. Macron schickte dann aber gleich nach, zu dieser Dynamik gehöre es auch, dass jene Länder, die einen palästinensischen Staat forderten, gleichzeitig Israel und dessen Existenzrecht anerkennen müssten, „und das tun mehrere von ihnen nicht“. Gemeint war in erster Linie Iran.

Ein „arabischer Wiederaufbauplan“ – wie könnte der aussehen?

An Macrons politischer Initiative ist also noch vieles ungefähr und hypothetisch, auch einen Rückzieher lässt er sich mit seiner Formulierung „in den kommenden Monaten“ offen. Als Frist gilt Juni, dann soll bei den Vereinten Nationen in New York eine Konferenz zum Nahen Osten stattfinden, bei der Frankreich und Saudi-Arabien den Vorsitz haben werden.

Es geht Macron offenbar darum, möglichst der Dynamik etwas entgegenzusetzen, die das Gespann aus Benjamin Netanjahu und Donald Trump entfesselt hat: Israels Regierungschef fühlt sich von Washington bestärkt auf seinem militärischen Kurs; und Trump würde bekanntlich die Palästinenser am liebsten aus Gaza vertreiben, um dort eine neue Riviera am Mittelmeer entstehen zu lassen, ein großes Immobilienprojekt. Macron beteuert, er habe mit beiden über seine Initiative gesprochen, mit Netanjahu und Trump. Was dabei herauskam, hat er allerdings nicht gesagt. Überschätzt der Franzose seinen Einfluss?

Macron (Mitte) besuchte Anfang dieser Woche mit Ägyptens Präsident Abdel-Fattah al Sisi (re.) ein Krankenhaus im nördlichen Sinai, das palästinensische Patienten behandelt.
Macron (Mitte) besuchte Anfang dieser Woche mit Ägyptens Präsident Abdel-Fattah al Sisi (re.) ein Krankenhaus im nördlichen Sinai, das palästinensische Patienten behandelt. (Foto: AP)

Dass Macrons Initiative in Kairo auf Interesse stößt, versteht sich von selbst. Mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi – und dem jordanischen König Abdallah – hat er die arabischen Führer getroffen, die als Nachbarn Israels von der Palästinenserfrage am stärksten betroffen sind. Für diese beiden Nationen ist der Gedanke an ein Scheitern des Projekts eines palästinensischen Staats und eine erneute Vertreibung der Palästinenser durch Israel ein Albtraum.

Deshalb hat Ägypten der aberwitzigen Trump-Vision einer „arabischen Riviera“ in Gaza – samt der vom „Dealmaker“ lächelnd implizierten Vertreibung – einen „arabischen Wiederaufbauplan“ entgegengestellt. Auch hier steht naturgemäß eine Stärkung der fehlenden palästinensischen Staatlichkeit im Zentrum. So soll die palästinensische Autonomiebehörde aus dem Westjordanland anstelle der islamistisch-terroristischen Hamas in Gaza die Feder führen. Ob das realistisch ist, ist völlig offen.

Saudi-Arabien versteht sich als Führungsmacht

Eine arabische Vorreiterschaft bei allen diplomatischen Initiativen dürfte aber fraglos den Saudis zufallen. Das drückt Macrons Vorschlag klar aus: Das Königreich versteht sich als arabische und islamische Führungsmacht. Es hat aber trotz inzwischen halbwegs guter Beziehungen zu Israel weder eine Botschaft im Land noch einen Friedensvertrag mit dem jüdischen Staat. Die Saudis hatten bereits die Führungsrolle in der Formulierung der „Arabischen Friedensinitiative“ von 2002, die damals eine Normalisierung der Beziehungen aller arabischen Staaten zu Israel vorsah, aber nie an Boden gewann.

Bedingung der in den folgenden Jahren von arabischer Seite immer wieder bekräftigten Initiative war die Anerkennung eines Palästinenserstaats mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem, einer Rückkehr zu den Grenzen von 1967 und einer fairen Lösung des Flüchtlingsproblems. Dies aber sind Ideen, denen die heutige rechtsgerichtete Regierung Israel kaum zustimmen würde. Im Gegenteil – Israel tut nicht erst seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 alles Erdenkliche, eine halbwegs gerechte Zwei-Staaten-Lösung unmöglich zu machen.

Frankreichs Kolonialvergangenheit ist Hilfe und Ballast zugleich

De facto hat Israel unter Netanjahu jedes Interesse an Zweistaatlichkeit verloren. Dies zeigt sich daran, dass Israel unverhohlen auf weitere Landnahme im Westjordanland und inzwischen wohl auch in Gaza setzt. Zudem sind einige Punkte, die mit Zweistaatlichkeit verknüpft sind, für Israel ein No-go-Thema. Das Rückkehrrecht der inzwischen rund sechs Millionen Flüchtlinge etwa ist für Israel als jüdischem Staat mit knapp 10 Millionen Bewohnern – zwei Millionen davon sind arabische Israelis –  inakzeptabel.

Das lässt Zweifel daran aufkommen, welche Erfolgschance Emmanuel Macrons Pläne haben. Fraglich ist auch, wie viel an Führungsrolle bei der Lösung der nach wie vor entscheidenden Nahost-Frage die Saudis mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich teilen wollen. Für Paris spricht, dass es einen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat. Gegen eine hervorgehobene Rolle spricht die koloniale Vergangenheit der Franzosen, die sich bis heute gern in innerarabische Angelegenheiten einmischen, etwa in Libanon.

Der offizielle deutsche Standpunkt wäre mit einer von Macron offenbar angestrebten arabisch-europäischen Initiative, vorbei an der Nahost-Dominanz der USA, kaum vereinbar. Berlin beharrt auf der Möglichkeit einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung, die in bilateralen Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern gefunden werden soll. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass die von Israel durch die Siedlungspolitik geschaffene Realität diese kaum noch vorstellbar erscheinen lassen.

Frankreich, Mitglied der G-7-Staaten und Vetomacht im Sicherheitsrat, wäre jedenfalls das erste große westliche Land, das Palästina anerkennen würde. 148 Länder der Welt haben diesen Schritt schon gemacht. Als sich im vergangenen Jahr Spanien, Irland, Norwegen und Island dazu entschlossen hatten, wurde Macron für seine Zögerlichkeit in der Sache kritisiert. Überhaupt warf man ihm seit dem 7. Oktober 2023 oft vor, dass er keine klare Linie habe.

Allerdings muss man sagen, dass Macrons Lage nicht einfach ist: In Frankreich lebt die größte jüdische Gemeinde Europas – und die größte muslimische. Jede Entwicklung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern reibt die Franzosen auf, auch innenpolitisch. Die Linke begrüßt Macrons Vorstoß nun einhellig, sie drängt ihn schon lang zur Anerkennung eines palästinensischen Staates. Die extreme Rechte wiederum wirft ihm vor, Gaza der Hamas ausliefern zu wollen. Die Debatte hat eben erst begonnen.

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