École nationale d'administration in Frankreich:Ein bisschen weniger Elite

École nationale d'administration in Frankreich: Eine außergewöhnliche Institution mit Tradition: Die Ena ist die wichtigste Kaderschmiede Frankreichs

Eine außergewöhnliche Institution mit Tradition: Die Ena ist die wichtigste Kaderschmiede Frankreichs

(Foto: PATRICK HERTZOG/AFP)

Die Verwaltungshochschule Ena gilt als wichtigste Kaderschmiede Frankreichs und Symbol für den elitären Staat. Jetzt hat Macron sie reformiert - und spricht von einer "Revolution". Stimmt das? Ein Besuch in Straßburg.

Von Kathrin Müller-Lancé, Straßburg

Außen am Schulgebäude sind schon neue Tafeln mit dem Namen "Institut national du service public" angebracht, im Innenhof hängen noch zwei Schilder mit der Aufschrift "École nationale d'administration". Hat man vergessen, die auszutauschen? Aber nein, erklärt die Pressesprecherin der Hochschule. Die habe man absichtlich dort hängen lassen, um an die Tradition dieser außergewöhnlichen Institution zu erinnern.

Tatsächlich ist die École nationale d'administration (Ena) nicht irgendeine Verwaltungshochschule, sondern die wichtigste politische Kaderschmiede Frankreichs - und Symbol für die homogene Elite, die noch immer viele hohe Posten im Land besetzt. Sie hat vier Präsidenten hervorgebracht, etliche Premierminister, Regierungsmitglieder und Abgeordnete. Für die Absolventinnen und Absolventen hat sich sogar ein eigener Begriff etabliert: "énarques" ("Enarchen").

Präsident Macron, übrigens selbst Absolvent der Elite-Hochschule, sprach von einer "Revolution", als er vor einem Jahr ankündigte, die Ena zu reformieren. Das ehrgeizige Vorhaben erzählt viel davon, wie Macron gesehen werden wollte und will: als Erneuerer und Reformer. Mit dem Versprechen, den französischen Staat zu entstauben und gerechter zu machen, war der Präsident zu seiner ersten Amtszeit angetreten. Ist ihm das mit dem Umbau der Elite-Hochschule gelungen?

Keine Abschaffung oder Revolution - aber wenigstens eine Reform

Zunächst muss man sagen: Macron hatte 2019 sogar schon die "Abschaffung" der Ena versprochen - als Antwort auf die Proteste der Gelbwesten. So weit ist es nicht gekommen. Vielmehr hat Macrons Regierung begonnen, die Hochschule zu reformieren und mit ihr Teile der französischen Verwaltung. Die Kritik kam prompt, von zwei Seiten: Die Konservativen werfen ihm vor, eine Institution zu zerstören. Die Linke sieht in der Reform nur Symbolpolitik.

École nationale d'administration in Frankreich: Die neue Schulleiterin Maryvonne Le Brignonen.

Die neue Schulleiterin Maryvonne Le Brignonen.

(Foto: Frederick Florin/AFP)

Macron ist übrigens nicht der erste französische Präsident, den eine Reform der Ena beschäftigt. Auch Nicolas Sarkozy hatte immer wieder davon gesprochen - ohne konkretes Ergebnis. François Mitterrand hatte die Schule in den Neunzigerjahren im Zuge von Dezentralisierungsbemühungen immerhin von Paris nach Straßburg verlegt.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres heißt die Ena also Institut national du service public (INSP). Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert, das Gebäude ist noch immer dasselbe, ein ehemaliges Straßburger Gefängnis. An der holzgetäfelten Wand im Eingangsbereich hängen noch immer die Klassenfotos aller Jahrgänge. Auf dem der "Promotion Voltaire" - jeder Jahrgang darf sich einen Namen aussuchen - ist der junge François Hollande zu sehen, auf dem der "Promotion Sédar Senghor" Emmanuel Macron.

Die Erwartungen der Franzosen an den öffentlichen Dienst hätten sich verändert, begründet die neue Schulleiterin Maryvonne Le Brignonen die Reform. Sie schaut von einer Videowand in einem der Konferenzräume der Schule, sie musste spontan für ein Meeting nach Paris. So ganz scheint das mit der Dezentralisierung nicht geklappt zu haben.

Le Brignonen spricht von "sozialer" und "geografischer Vielfalt". Und mit der Reform der Ena gehe tatsächlich auch eine Reform des öffentlichen Dienstes einher, erklärt sie. Bisher war es so, dass die jeweils Besten eines Jahrgangs automatisch Anrecht auf Spitzenposten in der französischen Verwaltung hatten. Dieses Prinzip, umgangssprachlich als "la Botte", "der Stiefel", kritisiert, soll es in Zukunft nicht mehr geben. Statt direkt als Finanzinspektorin oder Mitarbeiter des Rechnungshofs die öffentliche Verwaltung zu kontrollieren, sollen sich die Absolventen in Zukunft erst einmal selbst in der Praxis beweisen.

Warum aber hat man die Ena nicht gleich komplett abgeschafft? "Weil wir immer noch, wie 1945, wollen, dass der Zugang zum öffentlichen Dienst transparent und nach objektiven Kriterien erfolgt", sagt Le Brignonen. Tatsächlich wurde die Ena nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um die französische Verwaltung, die weitestgehend mit den Nazis kollaboriert hatte, zu erneuern. Die hohen Posten in der neuen Republik sollten nach Leistung und nicht mehr durch Beziehungen besetzt werden - mit Leuten, die sich den Werten der Republik verschrieben fühlten.

Die Aufnahmeprüfung bestehen vor allem die aus dem richtigen Milieu

Das gut gemeinte meritokratische Prinzip hat sich über die Jahre jedoch ins Gegenteil verkehrt: Die anspruchsvolle Aufnahmeprüfung bestehen vor allem die, die aus dem richtigen Milieu kommen - und die vorher die richtige "Classe préparatoire", einen oft teuren und ebenfalls selektiven Vorbereitungskurs, belegt haben. Die Zahl der Arbeiterkinder unter den Ena-Studierenden lag in den vergangenen Jahren meist unter fünf Prozent. "Das sind sehr geschlossene Kreise, die sich selbst reproduzieren", sagt der Journalist Vincent Jauvert, der sich seit Jahren kritisch mit der französischen Elite beschäftigt.

In der Cafeteria der Ena, kurz vor neun Uhr an einem Freitagmorgen im März, als nächstes steht "Haushaltsvollzug" auf dem Stundenplan. "Wir hängen an der Ena und ihrem guten Ruf", sagt der 27-Jährige Philémon Perrot. "Wir haben hart dafür gearbeitet, um hier hinzukommen." Doch dass sich die Schule öffnen muss, sehen auch die Studierenden hier ein. "Da übernehmen zum Teil 25-Jährige Spitzenpositionen, die vorher noch nie richtig gearbeitet haben", sagt Robin Lagarrigue. Er gehört mit 32 Jahren zu den älteren Studierenden, vorher war er bereits im Landwirtschaftsministerium beschäftigt.

Um den Zugang zu der Eliteschule zu erleichtern, gibt es seit dem vergangenen Jahr immerhin spezielle Vorbereitungskurse mit einem festen Kontingent an Plätzen. Dieses Stipendium richtet sich an junge Menschen, die nicht aus den üblichen wohlsituierten Verhältnissen kommen. Trotzdem ist der Zugang noch immer hoch selektiv: Nur ein Bruchteil der Bewerberinnen und Bewerber ergattert einen der begehrten Plätze. Mit ihrer Aufnahme an die Eliteschule - auch daran ändert sich nichts - sind die Studierenden bereits Beamte auf Probe, der Staat zahlt ihnen ein monatliches Gehalt von etwa 1700 Euro.

Die Reform der Ena allein, da sind sich die Studierenden einig, werde Frankreichs Elitenproblem natürlich nicht lösen. "Die Ena steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber man kann nicht von ihr verlangen, dass sie alle Ungleichheiten im französischen Bildungssystem ausgleicht", sagt die 24-jährige Julia Flot. "Das geht ja schon viel früher los, in der Schule, nach dem Abitur." Um an Eliteschulen wie der Ena eine Chance zu haben, müsse man zum Teil schon den richtigen Vorbereitungskurs oder sogar das richtige Gymnasium besucht haben.

Journalist Jauvert findet die Reformbemühungen dennoch bemerkenswert. "Macron hat da etwas angestoßen, von dem er selbst womöglich gar nicht mehr politisch profitieren wird." Ob Macrons Reformen Symbolpolitik sind oder die Elite-Hochschule tatsächlich demokratisieren werden, wird sich erst in ein paar Jahren abzeichnen. Wenn es tatsächlich gelänge, die Institution zu öffnen, könne man schon von einer kleinen Revolution sprechen, sagt Jauvert. Er sagt aber auch: "Wir Franzosen sind gut darin, uns nach der Revolution einen neuen Adel zu schaffen."

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