Politik in Frankreich:Präsident sucht Partei

President Macron Visit To Porte De Versailles Vaccination Center Paris

Das Ziel hat Emmanuel Macron fest im Blick. Aber der Weg dorthin ist noch nicht ganz klar.

(Foto: Gaillard Romain/Abaca)

Emmanuel Macron ist populär, aber seine "La République en Marche" ist schwach. Und Konkurrenz droht längst nicht mehr nur durch Marine Le Pen. Besuch beim Jahrestreffen einer nervösen Bewegung.

Von Nadia Pantel, Avignon

Fröhlich soll es sein, so viel ist sicher. Zur Eröffnung der Veranstaltung wurden den Teilnehmern daher gelbe, rosa und blaue Fahnen in die Hand gedrückt, sie reißen sie in die Luft, als der Bass der Es-geht-los-Musik einsetzt. Ein kleines Meer aus Bonbonfarben. Keine Slogans, kein Parteilogo, auf den Fahnen steht so etwas wie ein Arbeitstitel: "Majorité présidentielle", die Mehrheit des Präsidenten. Und da ist er auch schon, Jubel im Saal: Emmanuel Macron schreitet zur Pyramide des Louvre in Paris. Auf der großen Leinwand laufen zur Eröffnung des Jahrestreffens von La République en Marche (LREM) die Bilder des Abends des Wahlsieges 2017. "Wir sind stark, weil wir einen Kapitän haben", wird LREM-Fraktionschef Christophe Castaner kurz darauf sagen.

Die Sache ist nur, dass noch nicht so klar ist, welche Mannschaft eigentlich hinter diesem Kapitän steht. Beziehungsweise, um es anders zu sagen: In Frankreich suchen gerade alle Parteien ihre Präsidentschaftskandidaten. Nur nicht Macron, der sucht eine Partei. Oder eine Bewegung, oder ein "gemeinsames Haus", wie es in der französischen Presse zuletzt hieß.

Macron selbst hat solide Popularitätswerte. Zwischen 30 und 40 Prozent der Franzosen, je nach Befragung, haben ein positives Bild des Präsidenten. Das sind Werte, die deutlich über denen seiner Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande liegen. Macron hat gute Chancen, 2022 wiedergewählt zu werden. Doch seine Partei La République en Marche, der Macron selbstbewusst seine Initialen EM aufdrückte, ist schwach geblieben. 314 Abgeordnete wurden 2017 für La République en Marche in die Nationalversammlung gewählt, inzwischen sind so viele aus der Fraktion ausgetreten, dass sie nur noch 268 sind. Auch für französische Verhältnisse ein beeindruckender Mitgliederschwund. Bei der Kommunalwahl konnte LREM keine wichtigen Städte gewinnen, bei der Regionalwahl keine einzige Region. Fragt man führende LREM-Mitglieder nach der Schwäche der Partei, sagen sie, "die Bewegung" müsse nur wachsen und "ihre Hände zu neuen Partnern ausstrecken".

In einem Workshop wird erklärt, wie man Wähler gewinnt

Wie auch immer das Konstrukt aussehen wird, auf das Macron sich für seine Wiederwahl stützen will, seine Basis findet man an diesem Wochenende in Avignon auf dem "Campus de la Majorité". 4500 Menschen sind gekommen, Interessierte, Mitglieder, Abgeordnete, Minister und Ministerinnen. Es ist eine Mischung aus Klassentreffen, Selbstfindung und Leistungsschau. Hier sitzt ein kleines Grüppchen auf Papphockern um den Europastaatssekretär Clément Beaune herum und lässt sich die Außenpolitik der Regierung erklären. Dort wird Gesundheitsminister Olivier Véran zum Impffortschritt gratuliert. Und in einem Workshop wird erklärt, wie man neue Wähler gewinnt: "Ihr müsst ins Gespräch kommen."

Frédérique Taupin und Priska Portoferri sind aus Colombes bei Paris angereist. Sie wollen sich in Avignon darauf vorbereiten, für Macron "von Haus zu Haus zu gehen, die Leute zu überzeugen". Portoferri ist Filmproduzentin, Taupin Grundschullehrerin, sie haben sich über die LREM-Gruppe in ihrer Stadt kennengelernt. Beide sind über 40 und beide sagen, sie haben 2017 zum ersten Mal "wirklich mit Überzeugung gewählt", und zwar Macron. Sie nennen ihn "pragmatisch, mutig, brillant". "Die Leute haben sich während der Pandemie dank Macron beschützt gefühlt", sagt Taupin. "Wir sind kein Fanklub", sagt Portoferri, "aber Macron ist einer der wenigen Politiker, die wirklich mit den Leuten debattieren können."

Selbst als er vor ein paar Wochen geohrfeigt wurde, habe er das einfach weggesteckt, "seine Security musste ihn festhalten, damit er nicht sofort zurück in die Diskussion geht". Und die lauten Gegner von Macron? Für die Macron-Unterstützerinnen sind das Links- oder Rechtsextreme und Leute, die "aus Prinzip immer dagegen sind", sagt Portoferri. Sie warten eigentlich nur auf eines: Dass Macron seine Kandidatur offiziell erklärt und sie loslegen können.

Zweifelnde Stimmen hört man kaum in Avignon. Wer extra hierher gereist ist, will noch fünf weitere Jahre Macron. Und so besteht ein großer Teil des Treffens darin, die Unterstützer mit Argumenten und Euphorie zu betanken. "Ob an der Kaffeemaschine im Büro oder in den sozialen Netzwerken: Wir müssen die Bilanz von Macron verteidigen." Auf der Bühne steht Marlène Schiappa, Macron-Vertraute der ersten Stunde und heute beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft. Schiappa ist an diesem Samstagmittag zuständig für die Euphorie. "Kein Präsident hat in fünf Jahren so viel geschafft wie Macron!", ruft Schiappa. Was "unsere Bewegung" ausmache? "Mut, die gängigen Pfade zu verlassen" und "Wohlwollen im Umgang". Nur wofür diese neue, an der Macht etwas alt gewordene Mitte konkret stehen soll, bleibt unklar. "Unser Projekt ist es, zu investieren, damit jeder Einzelne sich sein Leben selbst aussuchen kann", steht auf den Jutebeuteln, die an die Besucher verteilt werden. Einen griffigeren Slogan gab es wohl nicht. LREM hält an der alten Erzählung fest, dass sie "handle, wo andere nur reden" und das Beste von Links und Rechts vereine.

Marine Le Pen droht rechts überholt zu werden

Nur hat sich Frankreichs politische Landschaft in den vergangenen vier Jahren verändert. Macron ist längst nicht mehr der Einzige, der die alten Parteien für überholt erklärt. Die politische Landschaft ist zu einem unübersichtlichen Archipel kleiner Inselchen geworden. Und nicht einmal auf die Feinde ist mehr Verlass. Vier Jahr lang galt es als lähmend sicher, dass Macron in einer Stichwahl auf die Rechtsextreme Marine Le Pen treffen wird. Doch nun droht Le Pen rechts von dem ungebremst hetzenden Éric Zemmour überholt zu werden.

Asnieres Sur Seine, France September 26, 2021 - La Journee des Conservateurs meeting organized to discuss the place of

Éric Zemmour bei einer Veranstaltung in der vergangenen Woche.

(Foto: Vincent Isore/imago)

Obwohl Zemmour noch nicht offiziell Kandidat ist, fällt sein Name in Avignon in fast jeder Rede, der von Le Pen kaum. Will man ans Gute glauben, dann nimmt man den LREM-Politikern ab, dass sie ehrlich erschüttert sind von Zemmours Positionen und deshalb so viel über ihn reden. Denkt man ein wenig zynischer, fällt einem auf, dass LREM von einem starken Zemmour profitieren könnte, weil er Le Pen schwächt.

Ohnehin sind es nicht die Feinde, sondern ein Freund, der die Macron-Unterstützer in diesen Tagen so richtig nervös macht. Am Samstagmittag wird eine Videobotschaft von Édouard Philippe eingespielt. Drei Jahre lang, bis Sommer 2020 war Philippe Premierminister. Eine Rolle, die er so souverän ausfüllte, dass er zum beliebtesten Politiker Frankreichs wurde. Heute ist er das nach wie vor und außerdem Bürgermeister von Le Havre. Und, wie er ständig betont, ein "loyaler, aber freier" Unterstützer Macrons. Kommende Woche wird Philippe nun so frei, dass er am 9. Oktober eine eigene Partei gründet. "Ich lade euch alle nach Le Havre ein", sagte Philippe den Zuhörern in Avignon. Und in den folgenden zwei Tagen wollte die versammelte Hauptstadtpresse nur noch eines wissen: Baut sich da ein Konkurrent auf? Im Gegenteil, betonen die LREM-Parteispitzen, Philippe erweitere einfach die Mehrheit des Präsidenten. Und irgendwann war das "völlig entspannte" Verhältnis zu Phillippe so oft beteuert, dass es ein bisschen wirkte wie lautes Singen, wenn man allein im Wald ist.

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