Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Macron geht erneut ein Risiko ein

  • Der französische Präsident Emmanuel Macron möchte Thierry Breton zum französischen EU-Kommissar für Binnenmarkt, Industrie und Digitalwirtschaft machen.
  • Doch der ehemalige Wirtschaftsminister arbeitet gerade in der IT-Branche. Deswegen werden nun Vorwürfe über mögliche Interessenskonflikte laut.
  • Bereits Macrons erste Kandidatin für den Job war vom Europaparlament abgelehnt worden.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel, und Leo Klimm, Paris

Thierry Breton ist Alleskönner. Er hat Mathematik gelehrt, Firmen gegründet, Milliardenkonzerne saniert, war französischer Wirtschaftsminister und auch mal Chef eines Freizeitparks. Sogar Science-Fiction-Romane hat er geschrieben ("Softwar"). Und vor allem: Als moderater Konservativer gilt Breton in Frankreich schon länger als "Macron-kompatibel". Als einer, dem Staatschef Emmanuel Macron eine größere Aufgabe anvertrauen könnte. Jetzt ist es so weit. Breton, zurzeit noch Chef des IT-Dienstleisters Atos, soll EU-Kommissar werden, zuständig unter anderem für Binnenmarkt, Industrie und Digitalwirtschaft. Macron hat ihn am Donnerstag nominiert - als Ersatz für die von Finanzaffären belastete Sylvie Goulard, die Anfang Oktober vom Europäischen Parlament abgelehnt worden war.

Breton, 64, scheint es nicht zu stören, zweite Wahl zu sein. Er fühle sich "sehr geehrt", sagt er. Doch er ist sich offensichtlich bewusst, dass ihn die Parlamentarier nach dem Eklat um Goulard besonders streng prüfen werden. Schon wird wegen seines Vorlebens als Industriekapitän der Vorwurf von Interessenkonflikten laut. Breton beeilte sich daher am Donnerstag zu erklären, er widme sich "ab sofort der Vorbereitung auf die Anhörungen", die ihn im EU-Parlament erwarten. Breton nimmt die Sache ernst. Schwäche kann er sich nicht leisten, genauso wenig wie Macron einen zweiten Reinfall.

An Breton gefällt Macron gerade das, was ihm die Opposition zu Hause in Paris zum Vorwurf macht: dass er ein Wandler zwischen der Welt der Wirtschaft und der Politik ist. "Er wird nicht als Bürokrat an die europäischen Themen herangehen, und das ist dem Präsidenten wichtig", heißt es in Macrons Umfeld.

Unter Staatschef Jacques Chirac war Breton, ein gelernter Ingenieur, von 2005 bis 2007 Wirtschaftsminister. Seine Bilanz als Reformer mag nach den zwei Jahren gemischt gewesen sein. Dafür bewies er schon damals Bewusstsein für mögliche Interessenkonflikte: Die Zuständigkeit für den Elektronikhersteller Thomson und für den Telekomkonzern France Télécom, die er beide zuvor saniert hatte, gab er als Minister an den Regierungschef ab. Seit 2009 schon lenkt er Atos. Der IT-Konzern, in dem Breton eine ganze Siemens-Sparte aufgehen ließ, ist unter seiner Führung stark gewachsen. Für die Aussicht auf den EU-Job gibt er zum Monatsende die Unternehmensleitung auf.

Das Präsidialamt in Paris verweist zum heiklen Punkt möglicher Interessenkonflikte auf Bretons Praxis als Minister. Es deutet sich also an, dass der Bewerber als EU-Kommissar Dossiers an andere abgeben will, die Interessen seiner Ex-Arbeitgeber berühren. Französische EU-Politiker üben trotzdem heftige Kritik: Atos sei Geschäftspartner der Brüsseler Institutionen und profitiere bei Forschungsprojekten von EU-Subventionen. "Es wird Interessenkonflikte geben", prophezeit Yannick Jadot, ein grüner Europaparlamentarier.

Aus dem Élysée verlautbart, die designierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen habe Breton dennoch bereits als Goulard-Ersatz akzeptiert. "Wenn wir ihn vorschlagen, bedeutet das, dass er passt", heißt es in Paris spitz. Das ist ein Seitenhieb auf von der Leyen. Als Goulard durchfiel, hatte Macron offen seinen Ärger über von der Leyen gezeigt, die seiner Ansicht nach die französische Kandidatin im Parlament nicht genug abgesichert hatte.

Es wird nichts aus von der Leyens Plan, so viele Kommissarinnen wie Kommissare zu haben

Auch die Tatsache, dass Macron statt einer Frau nun einen älteren Herrn nach Brüssel schickt, wertet mancher dort als Rache an der künftigen Kommissionschefin, die vor ihrer Wahl ein nach Geschlechtern ausgewogen besetztes Team versprochen hatte. Nachdem das Parlament aber zwei Frauen und einen Mann abgelehnt hat - außer Goulard eine Rumänin und einen Ungarn - ist dieses Ziel in weite Ferne gerückt. Am Donnerstag rühmte sich von der Leyen bei einem Auftritt in Helsinki dennoch, die neue Kommission werde die weiblichste der Geschichte der EU.

Schon am Montag wird Breton in Brüssel zum Vorstellungsgespräch erwartet; auch Ungarn hat den derzeitigen EU-Botschafter in Brüssel, Olivér Várhelyi, bereits als Ersatzkandidaten benannt. Von der Leyen sagte am Donnerstag, sie hoffe nun, dass auch Rumänien bald einen neuen Kandidaten vorschlägt. Dort ist kürzlich die Regierung gestürzt, was die Nachnominierung stocken lässt. Alle drei Kandidaten müssen dann noch vom EU-Parlament bestätigt werden.

Möglich, dass die Abgeordneten am Ende sogar noch einen vierten Kommissar überprüfen müssen: Den Europäischen Verträgen entsprechend werde sie nach dem ersten November auch Großbritannien auffordern, einen Kandidaten zu benennen, sagte von der Leyen am Donnerstag - jedenfalls, wenn das Land bis dahin noch nicht aus der EU ausgetreten ist.

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SZ vom 25.10.2019
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