Süddeutsche Zeitung

EU-Reform:Macrons Wünsch-dir-was ist problematisch

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Der französische Präsident versucht die Europäer mit seinem Appell an den Kontinent wachzurütteln. Konkrete Pläne, wie sich seine Ideen umsetzen lassen, bleibt er schuldig.

Kommentar von Stefan Kornelius

In Europa hat nun tatsächlich der Wahlkampf begonnen, ausgelöst von Frankreichs Präsidenten, der mit einem einzigen Zeitungsartikel mehr Erregung erzeugt, als das die Spitzenkandidaten der großen Parteien mit all ihren Auftritten vermutlich vermögen. Das ist erst einmal nicht schlecht. Emmanuel Macron ist ein vorzüglicher Kommunikator. Dass er sich aufs Visionäre versteht, hat er bereits in seiner Sorbonne-Rede zu Europa hinreichend bewiesen.

Prinzipiell schadet es nicht, wenn ein Politiker mit kontinentaler Wirkkraft das Wahlvolk aus der Lethargie rüttelt. Eine wuchtige Vision von Europa ist besser als zehn Dystopien vom Zerfall und der Entdemokratisierung. Ein schillerndes und leuchtendes Europa lässt sich leichter wählen, als ein Trübsals-Europa, das all seine Krisen nur mit Müh und Not in den Griff bekommt und zur Fortbewegung Trippelschritte bevorzugt.

Die Frage ist aber: Wie viel populistische Euphorie ist erlaubt, um die populistischen Defätisten in Europa kaltzustellen? Oder noch konkreter: Was darf ein französischer Präsident fordern oder gar in Aussicht stellen, ohne am Ende auch liefern zu müssen? Die Antwort auf diese Frage ist sehr davon abhängig, ob sie für ein französisches oder ein deutsches Publikum gegeben wird.

Nach dem Gelbwesten-Aufstand hat Macron das Land schwindlig geredet

Zwei Mal in seiner kurzen Zeit an der Spitze des französischen Staates hat Macron das Publikum mit der Kraft seiner Visionen mobilisiert: Im Wahlkampf für das Präsidentenamt 2017 und im Überlebenskampf nach dem Gelbwesten-Aufstand hat er das Land schwindlig geredet mit seiner Vorstellung eines dynamischen, gerechten und modernen Frankreichs. Das ist seine große Gabe, und mehr als in Deutschland hängt politischer Fortschritt in Frankreich auch von der Mobilisierungsfähigkeit der Gesellschaft ab. In Deutschland hingegen herrscht das Prinzip des aufgeklärten Verwaltungs-Fortschritts. Staats- und Parteienstruktur erzwingen den Kompromiss und lassen jeden verdächtig erscheinen, der zu große Sprüche riskiert.

Deswegen muss man den Appell sowohl an den französischen wie auch an den deutschen Bedürfnissen messen: Er taugt als Aufbauspritze gegen die europäische Wahlmüdigkeit, aber nicht als Handlungsanleitung. Wie schon in der Sorbonne-Rede bleibt Macron in den konkreten Themen vage. Er wiederholt sich, bleibt aber Antworten schuldig, wo bitte er die politische Bereitschaft von 28 Staaten hernehmen will, Klima, Mindestlohn, soziale Grundsicherung, einen europäischen Sicherheitsrat, die Asylregelung und am Ende einen Art Reformkongress als Gemeinschaftsprojekt anzugehen. Vor allem mit diesem Vorstoß hin zu einer "Europakonferenz" weckt Macron schlechte Erinnerungen an den Verfassungskonvent und provoziert den Widerstand vieler Mitgliedsstaaten.

Wie schon in der Sorbonne-Rede schwingt bei Macron die Vorstellung von einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit. Das kann nicht im deutschen Interesse sein, nicht einmal als Gedankenspielerei für einen Wahlkampf, weil eine Spaltung den Zerfall der EU beschleunigen und nicht aufhalten wird. Macrons Wünsch-dir-was ist also nicht ganz ungefährlich. Eine wichtige Erfahrung hat der Präsident in der Innenpolitik ja gerade gemacht: Wer Milch und Honig verspricht, aber erst mal Wasser liefert, der erntet den Protest.

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Quelle:
SZ vom 06.03.2019
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