Süddeutsche Zeitung

Niedersachsen:Stresstest in Hannover

Die Grünen in Niedersachsen brauchen eine ganze Nacht, um sich nach dem Machtwort von Kanzler Scholz zu sortieren. Ihre Reaktion ist dann deutlich empörter als die von Robert Habeck. Die SPD verhält sich geschmeidiger.

Von Peter Fahrenholz, München

Wenn in der Politik eine Reaktion auf sich warten lässt, hat das nur selten damit zu tun, dass die Akteure erst mal in Ruhe darüber nachdenken müssen. In der Regel ist es ein Zeichen dafür, dass es Probleme gibt, sich auf eine Sprachregelung zu verständigen. Die Grünen in Hannover, die bei der Landtagswahl gerade eben ein zwar gutes, aber doch klar hinter den eigenen Erwartungen gebliebenes Ergebnis erzielt haben, sind von dem Machtwort des Kanzlers kalt erwischt worden. In den Sondierungsgesprächen, die zur Bildung einer rot-grünen Koalition in Hannover gerade begonnen haben, soll aufseiten der Grünen große Aufregung geherrscht haben.

Die Nacht, die sie gebraucht haben, um sich öffentlich zu äußern, hat diese Aufregung jedenfalls nicht gedämpft. Während Wirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin davon sprach, das Machtwort des Kanzlers sei ein Weg, mit dem er gut arbeiten und leben könne und damit ein Entspannungssignal sendete, klang das in Hannover deutlich anders. Das Vorgehen des Kanzlers sei "in hohem Maße irritierend" und in der Sache "unnötig und ohne fachliche Grundlage". So heißt es in der Erklärung der beiden Grünen-Spitzenkandidaten Julia Willie Hamburg und Christian Meyer. Die beiden Grünen erinnern daran, so wie es zuvor schon Jürgen Trittin, die niedersächsische Anti-AKW-Ikone, getan hatte, dass die Richtlinienkompetenz des Kanzlers nichts mit dem Abstimmungsverhalten frei gewählter Abgeordneter zu tun habe.

Die SPD in Hannover wurde von der Entscheidung aus Berlin ebenso überrascht wie die Grünen. Sie hatte schon am Abend reagiert. Die Haltung von Ministerpräsident Stephan Weil und seines Umweltministers Olaf Lies lässt sich auf den Nenner bringen: Den Ball flach halten und den künftigen Koalitionspartner nicht noch weiter auf die Palme treiben. Also wies Weil darauf hin, dass Niedersachsen stets signalisiert habe, dass man einen Weiterbetrieb des AKWs Emsland über den Jahreswechsel hinaus für unnötig halte, aber nun als Land die Voraussetzungen für einen begrenzten Weiterbetrieb schaffen werde. Und Lies gab dem Machtwort des Kanzlers gar den Spin, dass damit die "unsägliche Debatte um eine Laufzeitverlängerung endgültig vom Tisch ist".

In der Sache lagen SPD und Grüne immer nahe beieinander. Beide halten den Beitrag, den das AKW in Lingen zur Stromversorgung noch liefern kann, für unbedeutend. Aber die SPD war in dieser Frage immer geschmeidiger. Wenn es zwar nicht viel nützt, aber auch nicht schadet, kann man es auch machen - so war die Linie der Sozialdemokraten. Auswirkungen auf die Koalitionsverhandlungen wird die Anweisung des Kanzlers ohnehin nicht haben. Darauf haben sich SPD und Grüne noch am Montagabend verständigt.

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