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Machtwechsel in Spanien:Spaniens neuer Regierungschef, ein Wackelkandidat

Der Sturz von Ministerpräsident Rajoy hat Sozialisten-Chef Sánchez überraschend ins Amt geholfen. Doch der Traum von einer Linksregierung könnte schneller vorüber sein als erhofft.

Von Thomas Urban, Madrid

Für den Chef der spanischen Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez, ergab sich eine unverhoffte Chance: Als Oppositionsführer in Madrid war er blass und glücklos geblieben, die traditionsreiche Partei konnte unter seiner Führung nur noch ein Fünftel der Wähler hinter sich bringen. Doch ein Gerichtsurteil gab ihm nun die Möglichkeit zu einem entscheidenden Schlag gegen seinen alten Widersacher, den konservativen Premierminister Mariano Rajoy. Ein Gericht befand nämlich, dass die von Rajoy geführte Volkspartei (PP) aktiv an einem dichten Korruptionsnetzwerk beteiligt war und verurteilte sie zu einer Geldbuße von 245 000 Euro - eine beispiellose Schmach für die Konservativen.

So musste Rajoy - bei seinen Landsleuten zunehmend unbeliebt - nach sieben Jahren abtreten. Zwar hat er Spanien mit einem strikten Sparprogramm aus der tiefen Krise geführt, in die das Land wegen einer irrationalen Wirtschaftspolitik seines Vorgängers, des Sozialisten José Luís Zapatero, geraten war. Während Rajoys Regierungszeit sank die Arbeitslosigkeit von 27 auf 15 Prozent. Mit seinem Kurs war er der wichtigste Verbündete der deutschen Bundeskanzlerin in Südeuropa; er blockte alle Versuche ab, eine gemeinsame Front der "Südländer" gegen das "Spardiktat aus dem Norden" aufzubauen.

Bei Sánchez, der am Samstag von König Felipe VI. im Amt vereidigt wurde, hingegen ist nicht klar, welchen Wirtschaftskurs er einschlagen wird. Er stützt sich vor allem auf die linksalternative Gruppierung Podemos, die mit Finanzdisziplin nichts im Sinn hat. Sánchez selbst ist ein begeisterter Verfechter der EU, auch hat er als Assistent einer spanischen Europa-Abgeordneten Erfahrungen in Brüssel gesammelt. Bei allen Differenzen wird er sich bemühen, ein zuverlässiger Partner zu sein. So wird Spanien anders als vermutlich Italien trotz aller innenpolitischer Instabilität kein Krisenfall werden, der die EU bedroht.

Auch Sánchez Partei hat mit einer Korruptionsaffäre zu kämpfen

Allerdings ist längst nicht ausgemacht, wie lange sich Sánchez im Amt halten kann. Zwar hat er in dem zersplitterten Parlament in Madrid, in dem unberechenbare Regionalparteien den Ausschlag geben, eine knappe Mehrheit gegen Rajoy zusammengebracht. Doch bedeutet dies keineswegs, dass er nun langfristig regieren wird.

Vielmehr dürfte ihm nichts anderes übrig bleiben, als möglichst rasch Neuwahlen anzusetzen. Und da ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die PSOE weiter einbricht - bei allen Umfragen nach der Wirtschaftskompetenz schneidet die Partei schlecht ab. Es ist der lange Schatten des früheren Premiers Zapatero, der zwar gesellschaftspolitische Reformen durchgesetzt hat, in der Wirtschaft aber kaum punktete. Die PSOE hat zudem mit eigenen Korruptionsaffären zu kämpfen, nämlich in ihrer Hochburg Andalusien, wo ihre Amtsträger fast eine Milliarde EU-Gelder veruntreut haben.

Sollten die Konservativen einen attraktiven Nachfolger für den unpopulären Rajoy aufstellen, könnte der Traum von einer Linksregierung schnell vorüber sein. In der Tat deuten die Umfragen derzeit eher auf eine bürgerliche Koalition hin, dieses Mal geführt von der liberalen Bürgerpartei, den Ciudadanos. Sánchez hätte dann einen klassischen Pyrrhussieg erzielt. Die andere Variante wäre eine fragile Minderheitsregierung. Sánchez wäre dann in derselben Lage wie zuletzt Rajoy: Er könnte seine Macht in jedem Moment verlieren.

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SZ vom 02.06.2018/dd
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