Machtwechsel in Ägypten:Obamas Zurückhaltung stellt die USA ins Abseits

Ägyptische Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo

Ägyptische Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo

(Foto: Getty Images)

Obama macht in seiner Erklärung zum Machtwechsel in Ägypten deutlich, dass Amerika bereit ist, den Sturz des gewählten Präsidenten Mursi zu akzeptieren - solange das Militär nicht an der Regierung bleibt. Das Ziel des US-Präsidenten ist nach wie vor, sein Land aus den nahöstlichen Händeln herauszuhalten. Doch als Ergebnis dieser Taktik fühlen sich alle von den USA verraten.

Von Hubert Wetzel

In einer Erklärung des amerikanischen Präsidenten ist jedes einzelne Wort wichtig. Genauso wichtig ist freilich jedes Wort, das nicht in der Stellungnahme steht. Die Mitteilung, die das Weiße Haus in der Nacht zu Donnerstag zu den Vorgängen in Ägypten veröffentlichte, war in dieser Hinsicht beispielhaft: Er sei, so ließ Präsident Barack Obama sich zitieren, "tief besorgt" darüber, dass das ägyptische Militär Präsident Mohammed Mursi "entfernt" und die Verfassung ausgesetzt habe. Er unterließ es allerdings, diese Entmachtung offiziell als einen "Putsch" zu bezeichnen. Genauso wenig wies Obama darauf hin, dass Mursi nicht irgendein Staatschef war, sondern ein Präsident, den die Ägypter erst vor einen Jahr frei gewählt hatten.

Die erste Auslassung hat wohl vor allem rechtliche Gründe. Die USA leisten Ägypten jedes Jahr Militärhilfe im Wert von etwa 1,5 Milliarden Dollar. Ein großer Teil davon sind Zahlungen, die Kairo wiederum zum Kauf von US-Militärgütern verwenden muss. Laut Gesetz dürfen jedoch keine Regierungen unterstützt werden, die durch einen Putsch oder ein Dekret der Armee an die Macht gekommen sind. Indem Obama die Absetzung Mursis nicht ausdrücklich als coup definiert, lässt er sich Spielraum: Er zwingt seine Regierung zunächst nicht, die Zahlungen zu kappen, die von Experten immer wieder als mögliches politisches Druckmittel gesehen werden.

Dilemma der US-Regierung

Die zweite Auslassung hat hingegen politische Gründe. Sie zeigt, in welchem Dilemma die amerikanische Regierung steckt: Einerseits ist klar, dass Washington es nicht mit Vergnügen sieht, wenn ein so wichtiger arabischer Verbündeter wie Ägypten von einem Präsidenten regiert wird, der das Land Schritt für Schritt in eine islamische Autokratie verwandelt. Obama teilte den ägyptischen Befehlshabern daher offen mit, dass er nicht an bestimmten Personen oder Parteien hänge. Eine künftige politische Rolle für die Muslimbrüder forderte er nicht explizit, er verlangt lediglich, dass viele verschiedene Parteien, darunter auch religiöse, die Möglichkeit haben müssten, am politischen Leben teilzunehmen.

Andererseits sind die Zeiten vorbei, in denen eine US-Regierung Militärputsche begrüßen konnte, nur weil sie vielleicht ihren Interessen dienten. Mehrmals mahnte Obama in seiner Erklärung deswegen die Einhaltung demokratischer Prinzipien an, ausdrücklich fordert er eine schnelle Rückkehr zu einer "demokratisch gewählten, zivilen Regierung". Im selben Atemzug darauf hinzuweisen, dass Mursi eben das war - ein demokratisch gewählter, ziviler Präsident -, hätte seltsam ausgesehen.

Obama begreift China als größte geopolitische Herausforderung

De facto ist die Haltung der USA, die in Obamas Erklärung zum Ausdruck kommt, diese: Washington akzeptiert den Sturz einer gewählten Regierung, solange das ägyptische Militär nicht auf Dauer selbst an der Macht bleibt. Die Rolle der Armee als Garant für Ordnung und Stabilität wird anerkannt. Ob diese Doppeldeutigkeit den Einfluss Amerikas in Kairo erhöht oder mindert, ist noch ungewiss.

Vor ein paar Tagen wurden die USA in Ägypten noch der Komplizenschaft mit Mursi beschuldigt. Einige Demonstranten auf dem Tahrir-Platz hielten Plakate hoch, auf denen sie Washington beschuldigten, die Muslimbrüder gegen den Willen des Volkes an der Macht halten zu wollen.

Zur Hassfigur wurde Anne Patterson, die US-Botschafterin in Kairo, eine 63 Jahre alte, erfahrene Karrierediplomatin. Ihr Fehler war, dass sie auf Einladung der Muslimbrüder bei einer Veranstaltung aufgetreten war, wo sie die demokratische Legitimität Mursis bekräftigt hatte. Es sei unklar, ob der Protest auf der Straße zu einem besseren Ergebnis führe als Wahlen, sagte Patterson. In den Augen der Mursi-Gegner auf dem Tahrir machte sie das zur Steigbügelhalterin der Islamisten.

Unter Außenpolitikern in Washington gibt es inzwischen eine heftige Debatte über die amerikanische Rolle in Ägypten in den vergangenen zwei Jahren. Die Obama-Regierung hatte nach dem Sturz des alten Machthabers Hosni Mubarak - eines langjährigen Verbündeten der USA - die Wahl von Mursi zunächst begrüßt, obwohl dieser aus dem islamistischen Milieu stammt. Offenbar wollte Obama ein Szenario wie in Gaza vermeiden, wo Amerika die Palästinenser zunächst zu Wahlen ermutigt hatte. Den Wahlsieger - die radikale Hamas - schneidet Washington aber seither. Einige Beobachter werfen der Obama-Regierung nun jedoch vor, nicht früh genug reagiert zu haben, als Mursi begann, das gesamte Staatswesen zu islamisieren. Obama habe sich in dem Machtkampf zwischen dem Präsidenten und den Demonstranten nicht auf eine Seite festlegen wollen, kritisierte der Kolumnist Josh Kraushaar vor einigen Tagen im National Journal. Das Ergebnis: Beide Seiten fühlen sich von Amerika verraten, beide Seiten bezichtigen Washington, ihnen geschadet zu haben.

Unterbrechen die USA ihre Militärhilfe für Ägypten

Hinter Obamas Zurückhaltung steckt jedoch mehr als Unschlüssigkeit. Der Präsident zeigt seit seinem Amtsantritt wenig Bereitschaft, sich in die zahlreichen Konflikte des Nahen Ostens einzumischen. Das hat zum einen wohl mit der Erkenntnis zu tun, dass Amerikas Einfluss auf derart machtvolle innenpolitische Umwälzungen, wie sie der arabische Frühling gebracht hat, höchst begrenzt ist.

Zum zweiten ist es auch Obamas erklärtes Ziel, Amerika aus den nahöstlichen Händeln herauszuziehen. Als große geopolitische Herausforderung sieht Obama den Aufstieg Chinas zur rivalisierenden Macht im Pazifik - nicht mehr die undurchsichtigen Endlos-Querelen des Nahen Ostens. Diese Maxime prägt seine Politik in Ägypten genauso wie in Syrien. Auch dort will Obama um jeden Preis vermeiden, dass die USA in eine innere Auseinandersetzung verwickelt werden.

Seiner Erklärung zufolge hat Obama die betroffenen Ministerien in Washington angewiesen, die US-Unterstützung für Ägypten zu überprüfen. Der Vorsitzende des für die Auslandshilfe zuständigen Ausschusses im Senat, der Demokrat Patrick Leahy, hat bereits erkennen lassen, dass er die Zahlungen zumindest unterbrechen möchte, bis Ägypten eine neue, gewählte Regierung hat. Ein anderes Druckmittel steht Washington derzeit nicht zur Verfügung. Ob die Aussicht auf ein mögliches Ende der Militärhilfe die Armee allerdings beeindruckt, weiß niemand so genau. Vom Putsch gegen Ägyptens ersten frei gewählten Präsidenten hat es sie jedenfalls nicht abgehalten.

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