Machtwechsel:Feindliche Übernahme

Viel wird sich ändern, sehr viel, verspricht der neue US-Präsident - und rückt damit seine Vorgänger und das "Establishment" in ein schlechtes Licht. Barack Obama wahrt trotzdem die Form.

Von Sacha Battyany

Die Faust. Wie er sie ballt. Zunächst die Rechte. Immer wieder die Rechte. Dann reckt er beide Fäuste in die Luft. Wie ein Boxer, der seinen Gegner gerade mit einem KO-Schlag niedergestreckt hat. Triumphal. Dies ist sein Moment. Auch wenn er sagt, dass es die Stunde aller Amerikaner sei und dass dieser 20. Januar 2017 als der Tag in die Geschichte eingehen werde, an dem Amerika den Amerikanern zurückgegeben wird.

Nur wenige Minuten zuvor, um Punkt zwölf Uhr mittags, High Noon, hatte Donald Trump die Rechte zum Schwur erhoben, die Eidesformel gesprochen und Gottes Segen erbeten. Nun ist er der 45. Präsident der Vereinigten Staaten, und nun hält er die Rede, die seine Helfer zuvor als philosophisch angepriesen hatten. Doch wer an diesem Tag einen anderen Trump erwartet und vielleicht erhofft hatte, der sieht sich getäuscht. Trump spricht als Präsident wie als Wahlkämpfer. Brutal. Markig. Voller Verachtung für seine Gegner.

"Viel zu lange", sagt er, habe eine kleine privilegierte Politikerkaste in Washington all die Vorteile genossen, "während das Volk die Kosten getragen hat. Das Establishment hat sich selbst geschützt, aber nicht die Bürger unseres Landes." Und er verspricht einfach alles: geschlossene Grenzen, bessere Schulen, ein Ende der Gewalt an den Brennpunkten der Großstädte. "Diese Verwüstung endet hier und jetzt." Als könne er, Donald Trump, das von den Stufen des Kapitols aus einfach anordnen. "Amerika", sagt er, "wird wieder gewinnen." Vor allem aber verspricht er Jobs, kündet von "zwei einfachen Regeln: Kauf von Amerikanern, stelle Amerikaner ein." Und dann vielleicht der Schlüsselsatz der Rede: "Wenn wir uns schützen, wird es zu großem Wohlstand und großer Stärke führen." Das Wort für Schutz lautet im Amerikanischen protection, von dort ist es nicht mehr weit zum Protektionismus, die Abkehr von all den Regeln, mit denen die USA in den vergangenen Jahren einen freien Umgang mit der Welt gepflegt hatten. Nicht mehr. "America first", ruft der neue Präsident zum Ende seiner Rede und zitiert seinen eigenen Wahlkampfslogan, "Amerika zuerst."

Hunderttausende verfolgen Donald Trumps 16-minütige Inaugurationsrede unter einem dunklen Wolkenhimmel. Das sind viele, aber bei Weitem nicht so viele Menschen wie bei Barack Obamas erster Inauguration 2009. Damals, vor allem, war alles heiter und friedlich. Nun aber recken Demonstranten hinter Absperrgittern Plakate in die Luft, auf denen steht: "Jetzt beginnt das dunkle Zeitalter." Und in den Straßen der Innenstadt kommt es zu Rangeleien. Dutzende werden festgenommen.

Bei einem Mittagessen im Kongress bittet der 70-Jährige die Anwesenden dann, sich zu Ehren der früheren Außenministerin und First Lady Hillary Clinton zu erheben. "Ich war geehrt, als ich erfahren habe, dass der frühere Präsident Bill Clinton und Hillary Clinton heute kommen würden und ich möchte Sie bitten, aufzustehen", sagt Trump. Der Weg vom Kapitol zum Regierungssitz ist eine Parade - im Schritttempo. Der frisch vereidigte Präsident steigt mehrmals aus der Limousine aus und geht ein Stück des Weges zum Weißen Haus zu Fuß. Begleitet wird er dabei von seiner Frau - First Lady Melania - und seinem zehnjährigen Sohn Barron.

Die Stadt hatte sich seit Wochen auf den Tag vorbereitet. An jeder Straßenecke konnte T-Shirts kaufen, Obama, Trump, Monica Lewinsky, Martin Luther King — die jüngere amerikanische Geschichte auf buntem Jersey für 20 Dollar. Die Restaurants haben ihre Öffnungszeiten verlängert, "weil wir alle ein paar Drinks gebrauchen", wie es in der Washington Post hieß. Auch die Metro bat vorsorglich um Verständnis, es könne alles etwas chaotisch werden, was mit Hohn quittiert wurde, weil die U-Bahn in der Stadt immer Verspätung hat.

Die Amtseinführung amerikanischer Präsidenten folgt einem strengen Ritual. Der neue holt den alten Präsidenten im Weißen Haus ab. Dann fahren sie zum Kapitol, auf dessen Stufen schon die Würdenträger des Staates auf sie warten. Zunächst ist der Vizepräsident an der Reihe, dann nimmt der oberste Richter dem neuen Präsidenten den Amtseid ab. Die Familie des neuen Präsidenten war schon am Donnerstag in Washington eingeflogen, wo am Abend vor dem Lincoln-Memorial ein Willkommens-Konzert stattfand; es offenbarte, was Donald Trump gerne verschweigt. Er tritt sein Amt mit sinkenden Umfragewerten an und kam jüngst nicht über 40 Prozent Zustimmung. Auch unter Musikern - und Künstlern generell - hat er wenige Freunde. Der Countrysänger Toby Keith und die Rockband 3 Doors Down standen am Donnerstagabend auf der Bühne. Bruce Springsteen, Jennifer Lopez, The Beach Boys hatten abgesagt. Und nicht nur sie: Mehr als 60 demokratische Kongressmitglieder hatten angekündigt, der Inauguration fernzubleiben. Einige protestierten gegen Trumps "Politik der Spaltung". Andere kritisierten die "ungeklärte Beziehung zu Wladimir Putin", der sich nach Erkenntnissen der US-Geheimdienste in die Präsidentschaftswahlen eingemischt hatte.

Donald Trump, 19. 1. 2017

"Wir haben viele smarte Leute. Ich sage Ihnen was, eine Sache, die wir herausgefunden haben: Wir haben mit Abstand das Kabinett mit dem höchsten IQ, das es je gab."

Die Wochen zwischen der Präsidentschaftswahl im November und den ersten Tagen im Weißen Haus werden in den USA "Honeymoon" genannt. Traditionell schießt die Beliebtheitskurve des neuen Präsidenten in diesen Flitterwochen nach oben. Amerika liebt den Wandel. Trumps Flitterwochen aber sind zu Ende, noch ehe er einen Fuß ins Weiße Haus gesetzt hat.

Schon als Kandidat der Republikaner hatte er polarisiert, er polarisierte auch als President elect und sieht sich nun mit der Tatsache konfrontiert, dass an diesem Samstag, seinem ersten vollen Tag im Amt, Hunderttausende im ganzen Land gegen ihn protestieren wollen. 250 000 Menschen werden beim Women's March in Washington erwartet. In Hunderten Städten soll es ähnliche Märsche geben. "Wir wollen dem Präsidenten zeigen, dass wir seine Amtszeit von Beginn an kritisch begleiten", sagt Cassady Fendlay, eine Sprecherin der Protestaktion.

Der scheidende Präsident Barack Obama hat angekündigt, sich rar machen zu wollen, schon deshalb, "weil ich meine eigene Stimme im Fernsehen nicht ertrage". Er wolle mit seinen Kindern zusammen sein und "vielleicht etwas schreiben", sagte Obama. An die Adresse Trumps gerichtet, zog er aber mehrere rote Linien: Er werde sich zurückmelden, falls er systematische Diskriminierung beobachte, falls die Presse eingeschüchtert werde oder falls man Kinder, die in den USA aufgewachsen seien, abschieben wolle.

Zu Recht bangt Obama um sein politisches Erbe. Trump hat seinen Wählern versprochen, viele Verordnungen, Gesetze und Abkommen zu annullieren, die unter seinem Vorgänger in Kraft gesetzt wurden. So soll Obamas Gesundheitsreform fallen. Trump hat zudem angekündigt, Obamas Klimaverordnungen rückgängig zu machen, "gleich am ersten Tag im Oval Office"; und er will in den ersten Wochen einen neuen Richter für den Obersten Gerichtshof ernennen.

Im Oval Office wartet ein Brief von Barack Obama auf seinen Nachfolger

Bevor sich der neue und der alte Präsident aber in die Haare geraten, tranken sie am Freitag im Weißen Haus ganz gesittet Tee, in Begleitung ihrer Gattinnen. Auch das gehört zum Protokoll, so wie die Übergabe der Nuklearcodes. Irgendwann zwischen Tee und Hummer erhielt Trump ein Briefing über die Funktionsweise des Atom-Koffers. Der sogenannte Football wird ihm von nun an von einem Offizier hinterhergetragen. Als Präsident kann Trump mit den im Koffer enthaltenen Codes, ohne Autorisierung durch den Kongress, einen Atomschlag anordnen. Und am Ende des Inaugurationstages wird Trump wohl zum ersten Mal am Schreibtisch im Oval Office gesessen haben, in dessen Schublade ein Brief von Obama auf ihn wartet. Auch das gehört zur Tradition. Der Vorgänger hinterlässt dem Nachfolger ein paar persönliche Zeilen.

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